Demo in Nürnberg: Was treibt "Querdenker"-Gründer Michael Ballweg an?

12.10.2020, 09:59 Uhr
Demo in Nürnberg: Was treibt

© Foto: Michael Matejka

Es ist ein weitmaschiges, gelbes Netz, das sich Marlies über Mund und Nase gebunden hat. Normalerweise sind Zitronen im Supermarkt so luftdurchlässig verpackt. Marlies, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, drückt mit diesem zweckentfremdeten Gewebe aus, was viele hier im weitläufigen Nürnberger Westpark denken. Masken, sagt die 55-Jährige, seien sinnlos und für Kinder sogar gefährlich.

Um die Kinder soll es bei dieser Demo schließlich gehen, auch wenn die große Mehrheit der laut Polizei 2800 Menschen längst erwachsen ist. "Schüler/-innen gegen die Maskenpflicht" ist sie überschrieben. Viele, die vor der Bühne im Chor nach "Freiheit" und "Liebe" rufen und beide Arme hochreißen, tragen keinen Mund-Nasenschutz. Die Polizei, die im Nürnberger Westen mit einem Großaufgebot angerückt ist, kontrolliert allenfalls an den Eingängen zum Gelände. Drinnen fällt das verhasste Stück Stoff dann wieder.

"In Freiheit aufwachsen"

Neben Marlies hält Claudia, 62, ein selbstgemaltes Transparent hoch. "Maskenzwang ist Kindesmisshandlung" steht da in Großbuchstaben. Harte Worte, die Hausfrau und vierfache Mutter "möchte, dass meine Kinder und Enkel in Freiheit aufwachsen". Die Freiheit sei in Gefahr, denn die Einschränkungen wegen der Pandemie seien mit den Infektionszahlen nicht zu begründen, sagt die Demonstrantin, die sich vor Corona noch nie politisch engagiert hat.

Demo in Nürnberg: Was treibt

© Foto: Michael Matejka

Es sind nicht nur politische Novizinnen wie Marlies und Claudia, die Mitbegründer Michael Ballweg mit seiner "Querdenker"-Bewegung mobilisiert. Es seien, das sagen seine Gegner, auch Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker, die durchaus anderes im Sinn hätten als lediglich Liebe und Freiheit. Die Nürnberger Allianz gegen Rechtsextremismus etwa hat kurz vor Ballwegs Auftritt im Westpark vor einer Teilnahme und dem Schulterschluss mit den Rechten gewarnt. Am 1. August waren in Berlin bei einer "Querdenker"-Demo Reichskriegsflaggen zu sehen gewesen, die auf rechtsextremen Zulauf hindeuteten.

Fans wollen Selfies

"Sehen Sie irgendwo solche Fahnen?", fragt Michael Ballweg im Vorfeld der Kundgebung triumphierend und zeigt auf die sich langsam füllende Rasenfläche. Keine einschlägigen Fahnen zu sehen. Der 45-jährige ehemalige IT-Unternehmer aus Stuttgart muss sich fürs Gespräch mit der Presse von der stählernen Absperrung, die neben der Bühne aufgestellt wurde, regelrecht losreißen. Zu viele Fans wollen ein Selfie mit ihm. Michael, wie sie ihn nennen, ist für sie ein kumpelhafter Anti-Corona-Star, einer von ihnen.

Legere Cargohosen, weißes Shirt mit "Querdenker"-Aufdruck, freundliches Lächeln. Der Stuttgarter, dessen Bewegung es nach seinen Angaben inzwischen in 93 deutschen Städten gibt, wirkt eher wie ein Biedermann denn ein Brandstifter. Immer wieder zieht er auf Fragen hin sein Handy aus der Tasche und wischt Belege herbei für überzogene Maßnahmen und die gefährlichen Schadstoffe, die sich in den verordneten Masken angeblich sammeln.

Harmloser Slogan

Wer eine getragene Maske in eine Petrischale lege, der könne das beobachten. "Da wächst alles Mögliche", so Ballweg, und das sei nicht gesund. Seit längerem macht ein entsprechendes Foto einer Petrischale auf Facebook die Runde. Seine Botschaft gilt allerdings als widerlegt. Spricht man die Berliner Reichskriegsfahnen erneut an, gefriert Ballwegs Freundlichkeit ein wenig ein und er holt sich die Bundestagsdrucksache Nummer 19/22083 aufs Handydisplay, in der von einem "relativ geringen Anteil von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene" bei der Demo die Rede ist.


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Wie wird man zum Gründer einer Bewegung, die vor einem halben Jahr noch keiner kannte und die in Nürnberg mit dem harmlosen Slogan "Zeige dein Lächeln" wirbt? Nach einer selbst verordneten zweiwöchigen Quarantäne am Beginn der Pandemie sei ihm aufgegangen, dass zwei Grundrechte in Gefahr seien, sagt der Stuttgarter: die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit. Dass die Zahlen der Infizierten nichts über wirklich Erkrankte aussagen würden, sei seine nächste Erkenntnis gewesen. Eine, die er mit den Menschen draußen auf dem Rasen teilt, die Fotos von Angela Merkel hochhalten, unter denen "Keine Hygiene-DDR" steht.

Politik sei "hilflos"

Michael Ballweg zog vors Bundesverfassungsgericht, seither ist er bundesweit bekannt, kandidiert im November für das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters und nummeriert die wachsende "Querdenker"- Szene nach der jeweiligen Telefon-Vorwahl durch. "Zellteilung de Luxe", nennt das der Moderator euphorisch, der jetzt loslegt.


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Ganz hinten im Park, jenseits der rot-weißen Polizeiabsperrung, steht ein Paar aus Fürth mit vielen anderen. Sie alle wollen keine Maske aufsetzen, wie das die Auflagen von den Demonstranten verlangen, und bleiben deshalb auf Distanz. Er glaube nicht an Verschwörungstheorien, sagt der Mann gleich zu Beginn des Gesprächs. Aber die Zahlen seien völlig verzerrt, die Politik sei hilflos und scheue es, Fehler einzuräumen. Er selbst leide auch wirtschaftlich unter den Corona-Regeln.

"Reine Willkür"

"Wo sind denn die ganzen Kranken?", fragt die Frau an seiner Seite. Sie sei im März positiv getestet worden und das Gesundheitsamt habe mit seinen täglichen Anrufen Angst und Schrecken bei ihr verbreitet. Hier unter freiem Himmel eine Maskenpflicht zu verordnen, sei doch "reine Willkür". Auch die beiden Fürther erklären, sie seien vor Corona völlig unpolitisch gewesen.

Dass "die Politik" hier wenig Vertrauen genießt, hat Michael Ballweg längst erkannt. Vertreter von Parteien dürften nicht auf die Bühne, sagt er. Die meisten hier würden auch die Presse gerne nach Hause schicken, die sie als Teil eines großen Komplotts sehen. Dario, siebte Klasse, spricht trotzdem, auch wenn seine Eltern sagen, er müsse nicht mit der Zeitung reden. Er bekomme schlecht Luft unter der Maske, wenn er Pause habe, erzählt der Schüler. Jetzt setzt sich der Demo-Zug in Bewegung, Rufe nach Freiheit und Liebe beschallen den Westring.

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