Der Mann mit dem gnomenhaften Händchen

22.11.2013, 00:00 Uhr
Der Mann mit dem gnomenhaften Händchen

© Reinhard Haberberger

Das Vorprogramm erledigt er selbst, verkleidet als Ulfe, seines Zeichens Lebensabschnittsgefährte von Gymmick und in die Jahre gekommener Kleinkünstler. Zum Warmwerden gibt die ergraute Fönfrisur eine Kostprobe aus dem vollkommen zu Recht vergessenen 80er-Jahre-Pantomime-Zyklus „Flucht aus dem Paradies“ (dauerte im Original zwei Stunden) und schändet unverdrossen ein paar hilflose Exponate des deutschen Schlagerguts („Ich will ’nen Callboy als Mann“, „Tanze Tanga mit mir, weil der Tanga uns schlanker macht …“). Trash as Trash can! Rechtzeitig scheidet Ulfe mit dem Hinweis, den Star des Abends bloß nicht auf seine Hand anzusprechen …

Die ist tatsächlich von Geburt an verkrüppelt. 30 Prozent Behinderung wurden Gymmick einst von einem Arzt bescheinigt. Wie geht man um mit so einer Information? Mit Humor, dem schärfsten Schwert im Waffenschrank der Kunst. „Stein und Brunnen gehen gerade, Schere wird zur Qual“, singt Gymmick in der leisen Eröffnungsnummer über sein „gnomenhaftes Händchen“.

Wie hier die eigene Behinderung thematisiert wird, das ist schon groß. Überhaupt erfährt man an diesem Abend zwischen den Zeilen erstaunlich viel über den Mensch Tobias Hacker. Einem, der lange mit dieser Welt gefremdelt hat und es wahrscheinlich noch immer tut. Ein Nerd alter Schule im besten weil kreativen Sinne, der am Mikrofon stets ganz bei sich ist und gestählt durch zahllose Auftritte landauf landab eine enorme Bühnenpräsenz hat. Und der schnelle Haken schlägt, um der Eindimensionalität vieler Comedy-Kollegen zu entwischen.

Das ist die große Stärke des 40-Jährigen: Die Balance zwischen Hirn und Klamauk, laut und leise, bitter und süß, dem kalauernden Quatschmacher und dem nachdenklichen Pop-Poeten. Absurd ist Gymmicks Humor und immer wieder ziemlich böse und bedrohlich, doch stets wach und klar, mit Herz und Tiefgang.

In Zusammenarbeit mit Regisseurin Claudia Schulz hat Hacker seine Stärken herausgearbeitet und das Gesamtkunstwerk Gymmick präzise gebündelt auf die Bühne gebracht. Zwei Stunden, ein Guss: Da sind viele neue Lieder an Gitarre und Piano, aber auch Kurzfilme, Powerpoint-Präsentationen und kommentierte Cartoons. Nicht nur bei denen muss das Publikum gelegentlich ordentlich um die Ecke denken – weshalb die Lacher bei der Premiere im ausverkauften Gostner Hoftheater oft zeitversetzt kommen.

Stark ist auch der Anti-Nürnberg-Song, den Gymmick auf Alicia Keys’ New York-Hommage „Empire State of Mind“ gedichtet hat und in der er vor jener Stadt warnt, die ihm jüngst einen Kulturpreis verliehen hat. Frechheit siegt, und von Gymmick lernen heißt siegen lernen. Well done, Mister Hacker!
 

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