Der neue Roman von Lucas Fassnacht

7.1.2021, 06:00 Uhr
Der neue Roman von Lucas Fassnacht

© Sony Pictures

Der Mann hat Chuzpe! Im Nachwort seines weit über 600 Seiten dicken Romans "Die Mächtigen" (Blanvalet Verlag, 672 Seiten, 20 Euro) über die vernetzte Welt gibt der junge Autor Lucas Fassnacht durchaus sympathisch zu, dass er von seinem Thema zunächst einmal gar keine Ahnung hatte.

Altgriechisch hat der 1988 Geborene, der in der Nähe von Nürnberg lebt, an der FAU studiert. Im Erlanger E-Werk sorgte er jahrelang mit der Reihe „Lesen für Bier“ sowie als Organisator und Moderator von Poetry Slams für Aufsehen. Nun verstrickt er sich in Codes und IT-Probleme: "Mein Computer und ich führen eine rumpelige Zweckbeziehung. Heavy Wizardry beginnt für mich bei Word Makros. Habe ich also (...) fröhlich, aber blind mit IT-Begriffen jongliert? Aber sicher! Ist alles Humbug? Hoffentlich nicht."

Bemerkenswerte Selbstironie

Fassnacht hat sich "Hilfe" gesucht und er hat Freunde gefunden, die ihm, dem Altphilologen, die Eigenschaften asymmetrischer Verschlüsselungsverfahren erklärten und verständlich machen konnten, "warum es einen Blockchain-Hype gab". Und mit bemerkenswerter Selbstironie bittet der Autor um Nachsicht: "Seid milde mit mir – ich habe mein Studium damit verbracht, Texte zu übersetzen wie: ‚So entgingen dem Narren die Männer, // welche sich unter der wollenen Schafe Bäuche gebunden‘."

Der neue Roman von Lucas Fassnacht

© Foto: Erlenwein

Nun, derartige Sätze stehen tatsächlich nicht im Thriller "Die Mächtigen". Dafür solche: "Um den Ängsten zu begegnen, haben wir uns entschlossen, DLT zu verwenden . . . DLT stand für Distributed-Ledger-Technologie und beschrieb die kryptografische Verkettung von Datensätzen sowie deren Steuerung auf unabhängige Systeme."

Oder: "Weil die neuen Rechner schnell genug wären, um jedes relevante Verschlüsselungssystem zu knacken, das derzeit existiert. Alle Daten, die irgendwie mit dem Internet verbunden sind, wären einsehbar. Und glaub mir, alle Daten werden mit dem Internet verbunden sein. Auch das ist nur eine Frage der Zeit."

Das führt natürlich weit weg von der Altphilologie, dafür tief hinein in unsere moderne Gegenwart mit all ihren undurchsichtigen, blinkenden Oberflächen, in die Gefahren, die im weltweiten Netz lauern und hin zu den dunklen Gestalten, die sich per Mausklick in alle möglichen Sphären, vornehmlich die verborgenen persönlichen schleichen: "Wir leben in einer post-privaten Ära".

Und genau das hat sich Lucas Fassnacht zum Thema gewählt: Es geht um Macht in der Finanzwelt, um die Skrupellosigkeit erfolgreicher Banker, um Transaktionssysteme, Hacker und Gamer, um Geldwäsche und Steuerhinterziehung – ach: Es geht eigentlich um alles, was die Welt heute so furchtbar macht. In seiner breit angelegten Story spannt er den Bogen von China bis zur Haustür, vom französischen Geheimdienst zu dunklen Räumen, die nicht greifbare Realität, aber trotzdem irgendwo vorhanden sind.

Fassnachts erzählerische Phantasie ist überbordend, seine Lust an Crime und Thrill unstillbar. Immer wieder gibt es in "Die Mächtigen" überraschende Wendungen, der Fall wird mysteriös: Was mit der harmlos nützlichen Idee begann, eine Software für den gesamten europäischen Zahlungsverkehr zu entwickeln, mündet in mörderische Machenschaften.

Der anfangs unbedarfte Autor mag selber staunend und erschrocken vor diesem Dschungel gestanden haben, und gerade deshalb geht es ihm, der ja nun einst in einem eher überschaubaren klassischen Universum "zuhause" war, darum, die Perversion der Schutzmechanismen für die Finanzwelt aufzudecken. Denn trotz der Kreation von Blockchain-Technologie, die den Finanzmarkt sicher, transparent und gerecht machen sollte, sei das übergeordnete Ziel der Mächtigen die Manipulierbarkeit der Finanzmärkte.

Wer da noch durchblickt, ist längst stinkereich und braucht diesen Thriller nicht mehr; wer sich gruseln will ob der Dreistigkeit, mit der mit Milliarden jongliert wird, der nehme ihn zur Hand. Ein voluminöses, beachtliches Debüt des Nürnbergers für alle, die spannend unterhalten werden wollen und nicht nur träge an den Bäuchen "wollener Schafe" hängen.

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