Der Stadtarchiv-Bau und seine Vorgänger

Die Norishalle in Nürnberg: nicht schön, aber schützenswerte Architektur

7.6.2022, 10:03 Uhr
Seit 1969 setzen die Betonfronten der neuen Norishalle einen brutalistischen Akzent im Stadtbild. An Stelle von Ornament und Malerei wirkt der Bau vor allem durch seine reiche Kubatur und deren Licht- und Schattenspiel. 

© Sebastian Gulden Seit 1969 setzen die Betonfronten der neuen Norishalle einen brutalistischen Akzent im Stadtbild. An Stelle von Ornament und Malerei wirkt der Bau vor allem durch seine reiche Kubatur und deren Licht- und Schattenspiel. 

Die Norishalle, jener graue Gigant am Altstadtrand, ist Nürnbergs bedeutendster Vertreter des "Béton brut".

Dabei fing alles ganz unspektakulär an: Bis die Nürnberger 1875 bis 1876 den Stadtmauerzug zwischen Pegnitzufer und Katharinengasse zu Gunsten zweier Zufahrten zur Altstadt und eines Volksschulhauses schleifen ließen, erstreckte sich hier ein Abschnitt der Marientormauer mit dem Wehrturm "Blaues C", vorgelagertem Zwinger und Grabenturm. In einer Gebäudegruppe drunten am Pegnitzeinfluss betrieb das Ehepaar Uebelacker seinerzeit eine Fabrik für Blechwaren.

Ein Palast der verspielten Ingenieurskunst

Als 1882 die erste Bayerische Landes-Gewerbe-, Industrie- und Kunstausstellung auf dem Maxfeld (dem heutigen Stadtpark) vorbei war, ließ man die von Adolf Gnauth entworfenen Bauten wieder abreißen – zumindest fast alle: Der Kunstpavillon, in dem man Werke der Bildenden Künste vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart präsentiert hatte, durfte weiterleben. Seine Grundkonstruktion aus Eisenfachwerk, Ziegeln und großen Glasflächen erlaubte es, ihn zu zerlegen und – mit einigen Anpassungen – 1895 am Marientorgraben wieder aufzustellen.

 Um 1905 brachte Gnauths  erste Norishalle ein wenig Weltausstellungs-Atmosphäre an den Rand der  Nürnberger Altstadt.

 Um 1905 brachte Gnauths  erste Norishalle ein wenig Weltausstellungs-Atmosphäre an den Rand der  Nürnberger Altstadt. © Ansichtskarte Verlag Wilhelm Hoffmann (Sammlung Sebastian Gulden)

Der lichterfüllte, filigrane Ingenieurbau mit Bauschmuck und zwei Türmen in Formen der Neorenaissance passte ideal zu seiner künftigen Nutzung als Bayerisches Gewerbemuseum – zumindest bis 1897, als dessen Neubau gleich nebenan vollendet wurde. Anschließend diente die Halle als Verkehrsmuseum. Auf dem freien Grund drunten an der Agnesbrücke errichtete Architekt Josef Schmitz 1901/1902 den malerischen Bau der städtischen Poliklinik, der sich weit besser in das Bild Alt-Nürnbergs einfügte als Gnauths Ausstellungshalle.

Lifting in der Neuen Sachlichkeit

Gnauths Techniktempel, der erfüllt war vom Geist der zukunftsgläubigen Ära der Weltausstellungen, verkörperte mit seinem verspielten Zierrat genau das, was die Architekturtheoretiker der jungen Moderne am Historismus so verachteten. Und so erhielt der Bau anlässlich der neuerlichen Umwidmung zum Ausstellungsgebäude für zeitgenössische Kunst nach Planung von Oberbaurat Walter Brugmann 1927 bis 1928 ein "Facelift", das ihn auf seine Grundformen reduzierte.

Damals bürgerte sich auch der heute gebräuchliche Name "Norishalle" ein. Immerhin, die nüchternen Fassaden erhielten durch Wilhelm Nida-Rümelin eine monumentale Bemalung mit Darstellungen der Bildenden Künste. Brugmann, offenbar ein ausgesprochener Wendehals, ließ die Darstellung, die ihn zusammen mit dem unter Zwang geschassten Oberbürgermeister Hermann Luppe zeigte, nach der Machtübernahme der Nazis entfernen.

Schonungslos, aber mit Stil

Das war viel Geschichtsklitterung für nichts, denn nach der Bombenkatastrophe vom 2. Januar 1945 war all das ohnehin perdu. Lange lag der Grund am Gewerbemuseumsplatz brach – bis 1969, als die neue Norishalle nach rund fünfjähriger Bauzeit öffnete. Als Planer hatte man den Fürther Architekten Heinrich Graber gewonnen, dem sein Weggefährte Thomas Hinterholzinger unlängst eine lesenswerte Biografie gewidmet hat (ISBN 9-783943-713350).

Nach dem Umbau durch Walter Brugmann war 1928 von dem ursprünglichen Bau nur die Grundform erhalten. Dafür zierten die schlichten Fassaden reiche Malereien. 

Nach dem Umbau durch Walter Brugmann war 1928 von dem ursprünglichen Bau nur die Grundform erhalten. Dafür zierten die schlichten Fassaden reiche Malereien.  © unbekannt, Stadtarchiv Nürnberg

Im Jahr 2000 fanden das Naturhistorische Museum und das Stadtarchiv Nürnberg in der Norishalle ihre neue Heimstatt. Graber dachte die Grundidee des neusachlichen Umbaus der 1920er Jahre ins Extreme weiter: Die neue Norishalle imponiert innen wie außen, ganz im Sinne des zeitgenössischen Brutalismus, durch schonungsloses Zeigen von Konstruktion und Material, in diesem Falle des Sichtbetons, des "Béton brut". Die geschichteten Baumassen mit ihren Vorsprüngen, Terrassen, Fensterbändern, Flach- und Sheddächern sowie die waagrechte Brettschalhaut betonen die Horizontalität des Bauwerkes.

Schönheitsempfinden ist ein miserabler Gradmesser

Im Inneren sorgt ein Atriumhof mit Brunnen – auch dieser aus Sichtbeton – für Tageslicht in den tiefen Innenräumen, dient Personal und Besuchern als grünes Refugium. Der maximale Kontrast der Architektur mit der umliegenden Bebauung und insbesondere dem frühneuzeitlichen Tor am Pegnitzeinfluss gleich nebenan mag vielen Betrachtern als freche Barbarei erscheinen, doch wenn wir ehrlich sind, ist unsere Idee von Architektur, die sich behutsam ins Vorhandene einfügt, eine ziemlich neue Erfindung, die die Altvorderen meist wenig interessierte.

Wäre es nach der Bayerischen Versicherungskammer und der Stadt gegangen, hätte die Norishalle nur das nördliche Ende eines ganzen Ensembles brutalistischer Betonarchitektur werden sollen. Allein, das wahnwitzige "Köma"-Projekt von Gerhard G. Dittrich, ein Kultur- und Geschäftszentrum, für das fast die gesamte Königs- und Marientormauer mitsamt dem Künstlerhaus vernichtet werden sollte, landete pünktlich zur Vollendung der Norishalle nach unerwartet großem Widerstand im Papierkorb der Architekturgeschichte.

Ausstellung im Stadtarchiv

Grabers Norishalle ist ein wunderbarer Beleg dafür, dass die Frage, ob ein Objekt Denkmalschutz genießen sollte oder nicht, Experten vorbehalten bleiben sollte. Schutz verdient, was uns und künftigen Generationen anschaulich und in typischer Weise von Geschichte, Kunst, Städtebau, Wissenschaft und Volkskunde der Vergangenheit berichtet. Und das tut die Norishalle wie kaum ein anderes Bauwerk seiner Entstehungszeit in Nürnberg. Persönliches Schönheitsempfinden, das bei jedem Menschen anders ist, dagegen ist ein miserabler Gradmesser, der unsere bauliche Überlieferung mehr oder minder dem Zufall überließe.

Das belegt auch die aktuelle Ausstellung "Beton. Raum. Kunst. Architektur und Skulptur in Nürnberg", die noch bis 9. Oktober im Großen Foyer des Stadtarchivs in der Norishalle zu sehen ist (geöffnet Di.–Do. und Sa.–So., 10–17 Uhr, Di., bis 21 Uhr, Eintritt frei). Vieles, was hier präsentiert und mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung mehr und mehr geschätzt wird, wäre unter anderen Vorzeichen längst der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Aber der Mensch ist ja lernfähig. Hin und wieder jedenfalls.

 Mit dem Atrium im Inneren des Komplexes schuf Heinrich Graber einen von Beton- und Glasfronten umfriedeten grünen Hort der Ruhe inmitten des Verkehrsgetöses. 

 Mit dem Atrium im Inneren des Komplexes schuf Heinrich Graber einen von Beton- und Glasfronten umfriedeten grünen Hort der Ruhe inmitten des Verkehrsgetöses.  © Sebastian Gulden

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