Die Schallplatten drehen sich wieder

1.8.2009, 00:00 Uhr
Die Schallplatten drehen sich wieder

© Lodhi

Norbert Walden (60), der Besitzer des «musicandbooks» in der Jakobstraße, verbindet mit dem Hören einer Schallplatte vor allem ihre klangliche Wärme: «Wer intensiv Musik hört, der landet irgendwann automatisch beim Vinyl. Gerade im Klassikbereich ist das ein wahrer Kunstgenuss.» Erstaunlich findet er, dass seit etwa zwei Jahren wieder mehr jüngere Kunden in seinen Laden kommen, die sich nicht für die CDs interessieren. Nein, es muss das «Schwarze Gold» sein. Sogar ein paar Teenager waren neulich da, um sich Scheiben von Elvis und Buddy Holly zu kaufen. Hatten wohl den verstaubten Telefunken in Papas Keller entdeckt...

Vinyl als Geldanlage?

Die Geschichte der Schallplatte ist bis heute geprägt von Hochs und Tiefs: Seine ersten Versuche, Ende des 19. Jahrhunderts Platten in Serie herzustellen, muss der deutsche Erfinder Emil Berliner mangels Interessenten aus der Industrie selbst finanzieren. Trotzdem setzt sich um den Jahrhundertwechsel die Schellackplatte - bestehend aus Hartgummi, Schieferpulver und Baumwollflock - immer mehr durch. Zusammen mit dem zeitgleich entwickelten Abspielgerät, dem Grammophon. Während der beiden Weltkriege folgen Rückschläge, viele prominente Künstler wie die Comedian Harmonists dürfen nach der Machtergreifung der Nazis nicht mehr auftreten.

Als 1958 die Schellack-Fertigung endgültig eingestellt wird, erlebt die seit einigen Jahren parallel in den USA aus Polyvinylchlorid (PVC) gefertigte Vinylschallplatte einen Boom, der erst mit Einführung der CD zu Beginn der 80er Jahre schrittweise abebbt. Ein Ende auf Raten scheint unausweichlich. Aber dann geschieht, was kaum ein Fan zu glauben gewagt hatte: In Zeiten, in denen der Normalbürger dem technischen Fortschritt kaum mehr folgen kann und sich fast jeder seine Lieblingsstücke aus dem Netz herunter laden kann, meldet sich das gute alte Vinyl zurück und wird sogar mancherorts als krisensicheres Anlageobjekt gefeiert.

Woher die neue Leidenschaft kommt, versucht Patrick Frank (25), der auf seiner abwechselnd in Kabine und Club Stereo stattfindenden Party «Kommodore Klub» immer mehr Vinyl auflegt, aus der Sicht des DJs zu erklären: «Bei mir sind wohl hauptsächlich die menschliche Sammelleidenschaft und die liebevolle Optik schuld».

Patrick kauft seine Platten überwiegend im Monoton, einem Musikladen, der sich unweit vom «musicandbooks» ebenfalls in der Jakobstraße, befindet. Seit fünf Jahren bietet Inhaber Tobias Leitmann (40) hier einen Rundumschlag von Indie über Elektro bis Jazz und erfreut sich einer treuen Stammklientel: «Die Leute sind froh, wenn sie persönlich mit jemanden sprechen und sich die Sachen vor Ort anhören können». Im Monoton geht über 50 Prozent Vinyl über den Ladentisch. Besonders viele Abnehmer finden momentan die neuen Alben der Indie-Altmeister von Sonic Youth und Dinosaur Jr. Für Tobias eine logische Entwicklung: «Der Musikgenießer gibt sich längst nicht mehr damit zufrieden, sich eine MP3 aufs Handy zu laden.»

Für ihn bedeutet der Kauf einer Schallplatte den Kauf eines kleinen Kunstwerkes. Angefangen bei der besser sichtbaren Gestaltung des Covers über das Frequenzspektrum der Musik - CDs und MP3s sind «Kompressionsformate», die Dynamik wird nivelliert, bestimmte Frequenzbereiche abgeschnitten - bis zu einem Hauch von Nostalgie. Und dem gibt man sich doch gerade in Zeiten von Web 2.0 und der ganzen Alltagshektik gerne mal für ein paar Minuten hin . . .

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