Die tiefen Schatten der Renaissance

11.7.2012, 11:07 Uhr
Die tiefen Schatten der Renaissance

© Illustration: Patrick Cieslik

Genau von dort schießt Unwetter, Hagelschlag oder Feuer vom Himmel. Der Betrachter ist irritiert: Der Bock und das Wetter lenken den Blick von links nach rechts, die Hexe und die Marschrichtung der Putten weisen jedoch gegenläufig, dem Unwetter entgegen. Und selbst das berühmte Dürer-Monogramm ist seitenverkehrt. Ausdruck einer verkehrten Welt? Oder hatte der Meister einen über den Durst getrunken?

„Die Hexe“ ist das einzige Bildnis Dürers zur Hexenthematik (der Kupferstich „Vier Hexen“ zeigt lediglich vier nackte Frauen und verdankt seinen Titel der Phantasie Joachim Sandrarts). Das Bild zeigt geradezu idealtypisch die geistige Zerrissenheit der Epoche um 1500. Nach vorne drängen Humanismus, Renaissance, Wiederentdeckung antiker Texte, beginnende Selbstsicherheit des Bürgertums. Doch so licht die Renaissance strahlt, umso tiefer sind ihre Schatten. In die andere Richtung drängen vehementer als je zuvor Aberglauben, Lebens- und Todesangst, Höllenfurcht und Dämonenschrecken, Massenhysterie und sexuell motivierter Frauenhass – schlimmer als im tiefsten Mittelalter.

Die Anfänge der „Hexerei“ und ihrer Verfolgung reichen zurück bis in die Antike. Sie wurzelt in den vorchristlichen Glaubensvorstellungen, heidnischen Bräuchen des Flur- und Viehsegens, der Ernte- und Fruchtbarkeitsfeste, der Heilkrautmedizin und der Rauschdrogenerfahrungen mittels Giftpilz, Tollkirsche, Stechapfel und Bilsenkraut. Diverse Mittelchen suggerierten ihren Konsumenten Flugerlebnisse, andere sorgten für eine diskrete Abtreibung. Die Kirche stand diesen Gebräuchen ambivalent gegenüber: manch Kleriker tat sie als Aberglauben und Humbug ab; andere Kleriker sahen dagegen das Wirken bösartiger Mächte – und beriefen sich auf Exodus 22, 17: „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.“

Im Jahre 1232 vollzog Papst Gregor IX. eine folgenschwere Entscheidung: Er machte die Ketzerverfolgung zur Chefsache, belegte Ketzerei mit der Todesstrafe, gründete das Heilige Offizium und betraute die Dominikaner mit der Inquisition. Da Hexerei einen Pakt mit dem Teufel voraussetzt, wurde sie gleichermaßen als Ketzerei betrachtet.

Ein grimmiges Wortspiel legte die Bezeichnung Dominikaner als „Hunde des Herrn“ (Domini Canes) aus. Ein solcher Dominikaner war der Prior Heinrich Institoris (um 1430–1505) aus Schlettstadt im Elsass. 1480 wütete er in Konstanz und Schwaben, allerdings schlug ihm auch beträchtlicher Widerstand entgegen. 1484 erwirkte er von Papst Innozenz VIII. eine Bulle, die ihn mit inquisitorischer Vollmacht über ganz Süddeutschland ausstattete. Ein Jahr später scheiterte ein Hexenprozess in Innsbruck. Der Bischof Georg Golser hielt Institoris schlichtweg für verrückt und empfahl ihm, ins Kloster zurückzukehren. Institoris verkroch sich und schrieb in einem halben Jahr den „Malleus maleficarum“, den „Hexenhammer“ nieder – als Gebrauchsanweisung für Hexenjäger, Richter und Verhörer. 1486 erschien das monströse Werk in Speyer und brachte vieltausendfaches Leid über Mitteleuropa.

Die kurze Entstehungszeit erklärt sich dadurch, dass Institoris auf eigene Schriften aufbaute, sich aber auch dreist aus zahlreichen Vorläufertraktaten bediente. So ist der „Hexenhammer“ kein originelles Werk, wohl aber ein Kompendium der bisherigen Literatur zu Dämonologie und Hexerei. Warum sind gerade Frauen für das Böse anfällig? Gemäß den Genesis-Auslegungen der Kirchenväter galt die Frau als nicht eigenständiges Wesen (geschaffen aus Adams Rippe), als anfälliger für Versuchungen aller Art (Eva griff als erste zu), sowie als triebhaft und dumm (sowieso). Institoris deutet den Ausdruck „Femina“ theologisch: als Kombination der Silbe Fe für „Fides“ (also Glaube) und „minus“. Die Frau ist also schwächer im Glauben als der Mann – und damit anfälliger für den Teufel. Der fährt vorzugsweise von hinten- oder untenrum in den sündhaften Leib. So ist im „Hexenhammer“ nachzulesen: „Alle Hexenkraft stammt von der Fleischeslust, die in Frauen unstillbar ist, und um diese Lust zu stillen, lassen sie sich selbst mit dem Teufel ein.“

Zu den hexerischen Schandtaten zählt der „Hexenhammer“ unter anderem: Naturkatastrophen und Missernten, Krankheiten, Unfruchtbarkeit und Fehlgeburt, Wegzaubern des Penis, Flugstunden und Hexensabbath. All dies gelinge mit Hilfe von Zaubersalben, die die Hexen durch das Kochen von Babys und abgetriebenen Föten gewännen. Schutz dagegen versprechen Weihwasser und geweihte Amulette, Gebet und Buße. Allein die Inquisitoren sind gefeit, da Gott persönlich ihnen beistehe.

Wer einmal in die Fänge der Justiz geriet, war so gut wie verloren. Die Anzeige erfolgte durch anonyme Denunziation, der Kläger trat gar nicht in Erscheinung. Die Folter war schon schrecklich genug, doch das eigentlich Teuflische lag in der Struktur des Verhörs, das keinen Ausweg bot: Widerstand eine Frau der Pein oder fiel sie in Ohnmacht, verdankte sie dies ihrer Hexenkunst. Beging sie im Kerker Selbstmord, hatte ihr der Teufel den Hals umgedreht. Der Richter durfte der Hexe sogar versprechen, ihr bei einem Geständnis das Leben zu schenken. Das Todesurteil sprach dann ein anderer Richter aus.

So heißt es im Hexenhammer: „Der Richter kann zum Besten des Glaubens und des Staatswesens verklausulierte und hinterlistige Mittel anwenden, weil doch der Apostel sagt: ,Da ich verschlagen war, habe ich sie mit List gefangen’.“ So steht es allerdings nicht in der Bibel. Institoris hatte wohl den zweiten Korintherbrief im Sinn. Da schreibt Paulus: „Nun gut, ich bin euch nicht zur Last gefallen. Aber bin ich etwa heimtückisch und habe euch mit Hinterlist gefangen?“

Als Heinrich Institoris 1505 in Mähren starb, hatte er 200 Hexen persönlich auf den Scheiterhaufen gebracht. Über die Zahl derer, die er als Schreibtischtäter auf dem Gewissen hat, kann man nur spekulieren; in Europa sollen an die 60000 Männer, Frauen und Kinder auf dem Scheiterhaufen gelandet sein. Bis 1669 brachte es der „Hexenhammer“ zu 29 Auflagen. Damit ist er ein monströses Denkmal seiner Epoche: Ein Psychopath sammelt die abergläubischen Vorstellungen von 43 Traktaten aus den vergangenen 160 Jahren, tüftelt sie zu einer ausgeklügelten Systematik aus, verbreitet das Ganze mit der modernen Technik des Buchdrucks und wirkt damit weit über seine Zeit hinaus.

Beließ es Albrecht Dürer nur bei seiner vieldeutigen „Hexe“, so widmete sich sein Lieblingsschüler Hans Baldung Grien dem Thema mit großer Begeisterung. Allerdings zeigen seine deftigen Gemälde, Zeichnungen und Holzschnitte wollüstig-pralle, durchwegs verlockende Weibsgestalten, während die allgemeine Graphik jener Zeit Hexen als alt und hässlich präsentiert. Von daher bleibt unklar, ob Grien an Hexen „glaubt“ oder sich über die ihnen angedichteten Phantasien lustig macht.
 

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