Disziplin und Abstand: So war der Neustart an Nürnbergs Schulen

28.4.2020, 15:48 Uhr
Neuntklässler an der Nürnberger Theo-Schöller-Schule sitzen mit 1,50 Meter Abstand in der Klasse und sprechen mit ihrem Klassenlehrer darüber, wie sich der Neuanfang für sie anfühlt.

© Michael Matejka Neuntklässler an der Nürnberger Theo-Schöller-Schule sitzen mit 1,50 Meter Abstand in der Klasse und sprechen mit ihrem Klassenlehrer darüber, wie sich der Neuanfang für sie anfühlt.

Chantal hätte ihre Freundin am liebsten umarmt, als sich die beiden in der Theo-Schöller-Schule nach fünf Wochen Corona-Zwangspause wiedergesehen haben. Doch in der Nürnberger Mittelschule gilt wie in allen Schulen, in die heute die Abschlussklassen zurückkehrten, der staatliche Hygieneplan. Und der sieht Umarmungen nicht vor. Stattdessen haben sich die Klassenzimmer in Bühnenbilder verwandelt, in denen nur streng durchchoreografierte Bewegungen möglich sind. Seit vergangenem Mittwoch haben Lehrkräfte in der Theo-Schöller-Schule Räume vermessen und mit Klebeband Kreuze auf den Fußboden geklebt, damit die 1,50 Meter Abstand zwischen den Tischen eingehalten werden. Jeder Neuntklässler hat jetzt einen Arbeitsplatz für sich. Tuscheln mit der Freundin? Unmöglich. Zum Freund gehen, um ihm mal schnell bei einer Aufgabe zu helfen? Nicht drin.


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Damit der Abstand stimmt, haben die 80 Neuntklässler jetzt acht statt vier Klassenzimmer. Doch was im Normalfall ein Traum wäre, nämlich dass die Schulen mehr Platz zum Lernen haben, ist in der Coronakrise kein Grund zur Freude. Chantal würde lieber eng neben ihrer Freundin sitzen und quatschen. "Die Zeit zu Hause war schwierig, wenn man immer nur telefonieren kann, gehen einem die Gesprächsthemen aus", sagt die 15-Jährige. Um mit seinen Freunden in Kontakt bleiben, müsse man sich in die Augen sehen. Das immerhin geht jetzt wieder.

Zwischen Lernlust und totaler Antriebsschwäche

Auch die Lehrer freuen sich, dass sie ihre Klassen wiedersehen. Um einige Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen haben sie sich Sorgen gemacht. Andere haben sie telefonisch bei ihren Bewerbungen für eine Lehrstelle beraten. In der Coronakrise ist das eine besondere Herausforderung. "Heute haben wir keinen Unterrichtsstoff durchgenommen, Ankommen war die Devise", sagt Chantals Klassenlehrer Thomas Steigerwald. Er lobt, wie diszipliniert die Jugendlichen sind. "Unsere Angst, dass sich viele nicht an die Hygieneregeln halten, war unbegründet." Ihm sitzen heute nur zehn statt 21 Mädchen und Jungen gegenüber. Er zeigt ihnen Fotos, um ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel das eines Schiffs, das sich durch hohe Wellen kämpft. Das erinnere ihn an seine eigene Situation, sagt ein Neuntklässler.


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Seine Stimmung schwanke zwischen Lust aufs Lernen und totaler Antriebsschwäche. Die Politik fahre in der Krise einen Schlingerkurs. Und der Unterstand des Kapitäns sei wie sein kleines Zimmer, in dem er sich oft eingesperrt gefühlt habe. Einige Kinder haben Angst um ihre Gesundheit, sie legten auch im Unterricht den Mundschutz nicht ab, obwohl sie ihn beim Lernen nicht tragen müssen. Chantals Mitschüler Ayhan steht mit seiner Meinung ziemlich allein da, dass das mit dem Abstandhalten eine coole Sache ist. "Ich muss nur einmal husten und alle laufen weg", sagt der 16-Jährige und will einen coolen Eindruck machen.

Nürnberger Christkind in Abiturvorbereitungen

Schulleiterin Siglinde Schweizer hat eher das Gefühl, dass auf vielen Neuntklässlern "etwas lastet, das sind nicht die Kinder, die wir vor fünf Wochen heim geschickt haben." Sie begrüßte die Jugendlichen im Treppenhaus. Klebebandstreifen auf den Stufen und Pfeile an den Wänden geben dort vor, auf welcher Hälfte Kinder und Lehrkräfte nach oben oder unten gehen dürfen. Wer durch die Schule läuft, muss eine Maske tragen, aber nicht alle Jugendlichen hatten heute eine dabei. "Wir haben von der Stadt und der Regierung welche bekommen, aber die haben nicht für alle gereicht", sagt die stellvertretende Schulleiterin Lisa Kaiser. Ihr tue es weh, den Kindern "keine Wärme geben zu können, sie nicht mal drücken zu können, wenn das jemand besonders braucht."

Im Labenwolf-Gymnasium bereiten sich seit heute die 91 Abiturienten wieder im Präsenzunterricht auf die Prüfungen vor. Klebebänder in den Fluren sucht man in der Schule im Nürnberger Norden aber vergeblich. "Wir haben an der Hardware nichts verändert, nur ein paar Tische aus den Klassen geräumt", sagt Schulleiter Harald Behnisch.

Wie in der Mittelschule verbringen die Jugendlichen die Pausen in der Klasse. "Es ist komisch, mit Mundschutz in der Schule herumzulaufen", sagt Benigna Munsi. Das Nürnberger Christkind macht am Labenwolf Abitur. Daheim habe sie via Zoom mit einer Freundin gelernt. Die 17-Jährige hält nichts davon zu jammern, aber dass alle Schüler heute Morgen gleich im Eingang von einer Lehrerin begrüßt wurde, habe sie doch beruhigt. Wie Mitschüler Jasper findet sie es gut, sich jetzt ganz auf die fünf Abiturfächer konzentrieren zu können.

"Und das mit dem Abstandhalten kriegen wir Älteren schon hin." Wirklich bitter sei es, dass die Abiturfeier wohl maximal als lockere Zusammenkunft im Schulhof unter Einhaltung des Mindestabstands denkbar sei, findet Jasper. Nach den harten Schuljahren und dem aktuellen Stress hätte er sich ein rauschendes Fest wirklich gewünscht.


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