Aus dem Museum Industriekultur
Dreh für "Kunst + Krempel" in Nürnberg: "Hüten Sie diesen Schatz!"
10.10.2021, 10:41 Uhr
Könnte Max erröten, würde er leuchten wie eine Tomate. So viele Komplimente innerhalb weniger Minuten erhielt er wohl noch nie in seinem 71-jährigen Leben. Die Dame im roten Blazer, die ihn fest im Genick packt, nennt ihn einen "jungen Mann". Sein "leichter Buckel" scheint ihr zu gefallen. "Die Augen stehen toll, die Nase ist gut geschnitten. Er lächelt, ist kaum bespielt und kann gut sitzen. Ein sensationell guter Erhaltungszustand."
Zeitzeuge der ersten Spielwarenmesse
Max ist nur ein Teddybär und schweigt zu dieser Analyse. Seine Besitzerin Veronika Bauer aus Roth sagt nur wenig mehr, die Aufregung verschlägt ihr fast die Sprache. Samstagfrüh ist sie mit ihm ins Nürnberger Museum Industriekultur gefahren: Max, wir dürfen zum Film! Die Fernsehsendung "Kunst + Krempel" hat hier für drei Drehtage Station gemacht.
Max räumt also im Scheinwerferlicht Lob von Gutachterin Anke Wendl und ihrem Kompagnon Mathias Ernst ab. Die Auktionatorin aus Rudolstadt und der Museumsmacher aus Soltau betreuen den Bereich Spielzeug, der einen ganzen Vormittag lang immer wieder wie im Bilderbuch auf Nürnbergs Geschichte als Spielzeugstadt verweist. Denn Bauers Teddybär stammt von der ersten Spielwarenmesse im Jahr 1950. Das weiß sie von ihrer Mutter, diese arbeitete bei Trix Modellbahnen und bekam das Plüschtier damals vom Chef als Dankeschön an die Belegschaft.
"Jopi"-Teddy mit Haartönung
Doch erst die beiden TV-Experten enthüllen ihr die ganze Geschichte: Sie ordnen Max dem Nürnberger Teddymacher Josef Pitrmann ("Jopi") zu, der zu den 350 Ausstellern der ersten Messe zählte. Das Mohairfell bekam mit einer Gitterfärbetechnik dunkle Spitzen. "Die Größe, der Erhalt - das ist ein ganz besonderer Wert. Man kann ihn nur mit großer Freude anschauen", urteilt Ernst. "Er wäre heute locker um die 600 Euro wert."
Veronika Bauer freut sich auch. "Verkaufen will ich ihn auf keinen Fall, aber endlich weiß ich, wo er herkommt. Und wie es hier zugeht, ist sehr interessant." Die Dreharbeiten machen Eindruck auf die Gäste, viele von ihnen bekennende Langzeit-Fans der vor 36 Jahren erfundenen Sendung, einer sogar schon Stammgast dank seiner kostbaren Vasen. Mehr als 30 Mitarbeiter des BR huschen durchs Museum, um zwischen Oldtimern die Antiquitäten in Szene zu setzen. Und fast immer kommen irgendwelche Herzens- und Familienangelegenheiten mit ans Licht, die sie, trotz Konzentration auf die Technik, zum Lächeln bringen.
Heftiger Protest gegen rassistische Figuren im Spielzeugmuseum
Seit der Corona-Pandemie lädt der Sender die Kunstbesitzer anhand schriftlicher Bewerbungen ein; die offene Vorab-Begutachtung entfällt. 1500 Zuschriften gingen für die Nürnberger Aufzeichnung ein, 75 kamen zum Zug und werden nun zu 15 bis 20 Folgen verarbeitet. "Unser Auswahlprozess ist streng, wir nehmen mehr Kunst als Krempel", erklärt Marcus Meyer, einer der verantwortlichen Redakteure. Wenn sich ein Objekt dann vor der Kamera doch als Plunder herausstellt, störe das aber nicht - im Gegenteil. "Die Story ist das eine, der Wert das andere. Der Wert hängt stark vom Markt ab und kann sich ändern."
Das "Schätzen", um das es bei "Kunst + Krempel" geht, ist also im doppelten Sinne gemeint: finanziell wie emotional. Ramponiert, aber unbezahlbar ist zum Beispiel ein anderer Brummbär, den ein Ehepaar aus Erlangen präsentiert: Seine Mutter hatte ihn einst in Bremen über den Weltkrieg gerettet, ihm selbst diente er lange als einziges Spielzeug, erzählt Jürgen Wöltjen. Anhand der Nähte erkennen die Experten ein Nürnberger Bing-Fabrikat. "Ich bin begeistert, dass der Bär aus Nürnberg kommt", antwortet Wöltjen. "Eigentlich bin ich ihm mein Leben lang gefolgt. Jetzt hat er sein Altenteil bei uns auf dem Sofa. Mit 100 Jahren noch so rüstig sein wie er - das ist ein Ziel."
Seltene Großvater-Puppe von Steiff
Mit höflicher Hingabe ordnen die beiden Fachleute Hampelmann-Musikanten nach Oberammergau ein, entlarven eine Puppenküche vom Dachboden als Koproduktion von Bing mit dem Erzgebirge, lassen ein 50er-Jahre-Blechmotorrad im Kreis knattern.
Als teuerste Stücke erweisen sich die vom Nürnberger Unternehmen Carette gefertigte Aufzieh-Limousine eines Nürnbergers und eine seltene "Foxy Grandpa"-Puppe von Steiff, eingereicht aus dem schwäbischen Heidenheim. Jeweils mehr als 100 Jahre alt und mehr als 4000 Euro wert. "Hüten Sie diesen Schatz!", rät man den Grandpa-Eltern.
Für die weiteren Dreheinheiten schleppen Kandidaten aus ganz Süddeutschland außerdem Designobjekte herbei, von der Kaffeemaschine bis zum Faltstuhl, eine "Schöne Nürnbergerin" und viele andere Gemälde, dazu Porzellan-Pinguine und Mariä-Himmelfahrt-Skulpturen.
TV-Ausstrahlung über viele Monate
Geerbt, gesammelt oder gefunden - die menschelnde Mischung der Themen gefällt auch den Gutachtern, die teils seit vielen Jahren mitmachen. "Die Sendung ist nicht geskriptet, das macht sie so echt. Manches erkennen wir erst, wenn wir den Gegenstand in Händen halten", sagt Mathias Ernst vom Spielmuseum Soltau und lacht. "Eigentlich machen wir Improvisationstheater." Beim Abrufen des Fachwissens könne schon mal was haken - Anke Wendl ärgert sich, dass sie vorhin eine Nürnberger mit einer Sonneberger Stofftierfirma verwechselt hat.
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Der Drehort hat sie dagegen bezaubert: "Hier kann man Industriegeschichte begreifen, für das Museum will ich noch mal wiederkommen." Obwohl überraschenderweise keine Modelleisenbahnen dabei waren, sind beide angetan von den Schätzen des Tages. Ein blauer Bär mit Taschenfach von Diem, der Steiff-Großvater: Bei jeder Sendung seien Raritäten dabei, "die wir noch nie gesehen haben und bei denen wir glänzende Augen kriegen". Das meint Ernst nicht aufs Geld bezogen. "Unser Wunsch ist, dass die Dinge wertgeschätzt werden."
Die Nürnberger Folgen werden ab 6. November, 19.30 Uhr, in loser Folge in den kommenden Monaten im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt. Weitere Informationen hier.
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