Ein eigenes Klosett und viel Platz für Kinder

6.4.2020, 19:42 Uhr
Ein eigenes Klosett und viel Platz für Kinder

© Fotos: Verlag der Zeitschrift für Wohnungswesen (Sammlung Sebastian Gulden), Boris Leuthold

In Zeiten, in denen Wohnraum für Mittel- und Geringverdiener rar gesät ist, scheint es wie eine Fieberfantasie: Die Stadt baut Wohnungen für ihre Angestellten. Gibt’s doch gar nicht! Doch, das gibt es beziehungsweise das gab es: Auf Grundlage eines Gutachtens beschloss der Nürnberger Magistrat im Jahr 1899 für seine Arbeiter und Bediensteten "gesunde und behagliche Mietwohnungen gegen mäßige Mietpreise" zu schaffen.

Gesagt und. . . naja, mit ein wenig Verzögerung auch getan! Noch 1899 begannen die Planungen; die 11 Reihenhäuser mit insgesamt 33 Wohnungen waren 1901 vollendet. Als Baugrund wählte die Stadt eine Fläche an der Muggenhofer Straße zwischen Johann-Sebastian-Bach- und Lortzingstraße im Stadtteil Seeleinsbühl. Das war damals ziemlich ab vom Schuss, doch dank der Straßenbahnlinie an der nahe gelegenen Fürther Straße war der Weg zur Arbeit und in die Innenstadt nicht allzu fern. Allein die Düfte, die bei ungünstigem Wind von der Kläranlage an der Pegnitz hinüberwehten, schmälerten die Wohnqualität mitunter ein wenig.

Oberstes Gebot bei der äußeren Gestaltung des Baukörpers war es, auf unnötigen dekorativen Schnickschnack zu verzichten, dabei aber "alles Einförmige, Schablonenhafte und Kasernenmäßige zu vermeiden". Getreu dem Prinzip des "Decorum", das der englische Architekt A. W. N. Pugin geprägt hatte, sollten Funktion und Gestaltung in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen.

Der städtische Ingenieur Friedrich Küfner löste das Problem, indem er die Fassaden durch den Wechsel von verputzten Ziegelwänden und Sandsteinelementen, unterschiedliche Eingangsportale und flache Erker, die Dachlandschaft dagegen durch verschiedenartige Zwerchhäuser, Schweifgiebel und Gauben auflockerte. Neben Fenster- und Türeinfassungen in Formen des Jugendstils und der Neugotik stellt ein Relief mit dem Großen Wappen der Stadt Nürnberg, dem Frauenadler, das am Giebel an der Kreuzung Muggenhofer und Johann-Sebastian-Bach-Straße angebracht ist, den einzigen skulpturalen Bauschmuck dar.

Ein eigenes Klosett und viel Platz für Kinder

© Fotos: Verlag der Zeitschrift für Wohnungswesen (Sammlung Sebastian Gulden), Boris Leuthold

Großer Komfort

Wer hier einziehen durfte, hatte das große Los gezogen, denn die Zwei- und Dreizimmerwohnungen boten Komfort, von dem viele Bewerber auf dem privatwirtschaftlichen Wohnungsmarkt nur träumen konnten: Statt Gemeinschaftsklo "auf halber Treppe" verfügte jede Einheit über eine eigene Küche mit Speisekammer und ein privates Klosett. Der große Hof, den die Häuser einfassten, diente als Spielplatz und Erholungsfläche für die kleinen und großen Bewohnerinnen und Bewohner – Betreten der Rasenfläche ausdrücklich erlaubt!

Unter den Mietern der Anlage fand man 1904 vor allem Beamte im unteren Dienst, Angestellte und Handwerker vor, darunter den Maschinenschlosser Eduard Kinast, den Amtsboten Andreas Albrecht und den Schutzmann Johann Boellmann mit ihren Familien. Die Koopmanns bewohnten die Dreizimmerwohnung im Erdgeschoss des Hauses Muggenhofer Straße 84. August Koopmann, gebürtig aus Eystrup an der Weser und Schaffner bei der Nürnberg-Fürther Straßenbahn, hatte einen kurzen Weg zur Arbeit, der ihn über das Ackerland hinüber zum Depot an der Maximilianstraße führte. Auf seinem Weg konnte er Tag für Tag beobachten, wie die Stadt um sein Zuhause herum wuchs, Straßen gebaut, Fabrik um Fabrik und Mietshaus um Mietshaus in die Höhe schossen. Ehefrau Philomena kümmerte sich derweil um den Haushalt und die beiden gemeinsamen Kinder, die zwölfjährige Etta und den dreijährigen Nachzügler Hermann.

Das Wohnbauprojekt, das die Stadt für ihre Mitarbeiter angestoßen hatte, machte leider keine Schule – es war von Beginn an als Versuchskaninchen geplant und sollte nur fortgesetzt werden, so es sich als rentabel herausstellte. Neben der Anlage in Seeleinsbühl – auch hier wurde nur die Hälfte der als Viereck geplanten Gesamtanlage ausgeführt – entstand gleichzeitig eine weitere, wesentlich bescheidenere an der Luisenstraße in Gleißhammer.

Erst 1918 entstand mit dem Nürnberger Wohnungsbauverein, der später in der WBG aufging, eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die dann nicht nur städtischen Bediensteten, Arbeitern und Angestellten, sondern allen Bedürftigen unter die Arme griff. Auch die Wohnanlage an der Muggenhofer Straße, die mittlerweile unter Denkmalschutz steht, wird heute heute von der WBG verwaltet. Möge sie eine Erinnerung (und Mahnung) an uns und folgende Generationen sein, wie wertvoll und schön kommunaler Wohnungsbau sein kann!

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