Ein Lächeln als Lohn

15.6.2014, 19:52 Uhr
Ein Lächeln als Lohn

© NN

Ein Lächeln als Lohn

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Manchmal verschlägt es auch erfahrenen Ärzten für einen Moment die Sprache: Der neunjährige Junge, der da vor Caius Radu stand, war durch eine extreme Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (im Volksmund Hasenscharte) so entstellt, dass sein Gesicht als solches fast gar nicht mehr auszumachen war. Dennoch ist der Bub dem plastischen Chirurgen nicht allein deswegen im Gedächtnis geblieben. „Das war einfach ein tolles, sehr selbstbewusstes Kerlchen. Eine solch krasse Diskrepanz zwischen Aussehen und Wesen habe ich selten erlebt“, erinnert sich der Nürnberger.

Die Eltern hatten das entstellte Kind in die Schule geschickt, doch die schlimmen Hänseleien der anderen Buben und Mädchen konnten den Neunjährigen nicht brechen. Ein Foto zeigt ihn nach der Operation. Geradezu cool sitzt er da neben seinem Operateur und formt mit seiner kleinen Hand das Victory-Zeichen. Die Klassenkameraden werden über sein „neues“ Gesicht staunen!

Zwei Wochen lang waren Caius und Gabriele Radu zusammen mit zwei weiteren Chirurgen, zwei Anästhesisten, einer OP-Schwester, einem Anästhesie-Pfleger sowie zwei Begleitpersonen in Sittwe, etwa 700 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Rangun. Die lange Reise traten die Radus — begleitet von ihrer 16 Jahre alten Tochter Lea — mit großem Gepäck an. Ihre persönlichen Dinge mussten ins Handgepäck passen, die eigentlichen Koffer waren prall gefüllt mit Verbandsmaterial, OP-Besteck, Medikamente, Sterilabdeckung oder Desinfektionsmittel. „Die OP-Ausstattung in dem Krankenhaus von Sittwe ist in etwa auf dem Stand von 1960“, erzählt Radu. Riesige, dicke Nadeln oder Katzendarm als Nahtmaterial werden dort üblicherweise eingesetzt.

Um sicher und routiniert arbeiten zu können, wollten die Nürnberger Chirurgen deshalb nicht auf ihre gewohnten Instrumente verzichten. Eine oft teure Angelegenheit, weil Fluglinien inzwischen — anders als früher — für solche Hilfseinsätze beim Thema Übergepäck nur noch selten ein Auge zudrücken.

Die Ankunft der Ärzte aus Deutschland, die sich für Interplast Germany, einem gemeinnützigen, weltweit tätigen Verein für Plastische Chirurgie in Entwicklungsländern engagieren, war schon lange im Voraus bekannt. Aus einem Umkreis von rund einhundert Kilometern machten sich die Patienten — häufig Tagelöhner — auf den Weg. Viele kamen mit Booten und waren viele Stunden unterwegs.

Vor Ort gab es dann für einige sicher eine herbe Enttäuschung, denn nicht alle der rund 140 angereisten Personen konnten operiert werden. „Etwa 40 hatten Krankheitsbilder, die außerhalb unserer Fachkompetenz lagen“, erklärt Radu. Und die Kapazität war durch die neun Operationstage ohnehin begrenzt. Am Ende schaffte das Team von Interplast rund 100 Operationen an 90 Patienten.

Pflege im Kloster

„Wir haben uns hauptsächlich für Kinder und Jugendliche mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten oder schlimmen Verbrennungsfolgen mit Verdrehungen an Gelenken und Finger entschieden. Denn je jünger die Patienten sind, desto mehr profitieren sie von den Eingriffen“, erläutert Radu. Solche Operationen könnten auch Ärzte in Myanmar durchführen. Doch in dem Vielvölkerstaat mit etwa 54 Millionen Einwohnern bilden gerade mal vier medizinische Hochschulen etwa 600 Absolventen pro Jahr aus. „Ich schätze, es gibt in Burma insgesamt vielleicht zehn plastische Chirurgen, und die sind mit dem großen Bedarf an solchen Operationen völlig überfordert“, meint Radu.

Dazu kommt, dass die meisten Betroffenen eine solche Operation gar nicht bezahlen könnten. Viele Erwachsene, die ihre Kinder zu den deutschen Ärzten nach Sittwe brachten, konnten auch nicht bleiben, bis sich der Sohn oder die Tochter wieder von der Operation erholt hatten — sie hätten selbst auf ihre karge Bezahlung als Tagelöhner nicht verzichten können. Dank der Mönche in einem Kloster in direkter Nachbarschaft des Krankenhauses konnte diese Problem aber gelöst werden. Dort wurden die Patienten vor und nach der Operation gepflegt und liebevoll umsorgt. Auch Radus Tochter Lea kümmerte sich dort um die Kinder. Für sie war diese Reise ein Erlebnis, das lange nachwirkt, meinen ihre Eltern.

Gabriele und Caius Radu stellen sich schon seit 20 Jahren in den Dienst von Hilfsorganisationen — sei es bei der Versorgung von jungen ausländischen Patienten in Deutschland oder eben bei Reisen nach Indien, in den Niger oder Myanmar. Die Auslandseinsätze liegen ihnen besonders am Herzen, weil sie vor Ort noch viel mehr Menschen helfen können, als wenn für die Patienten eigens eine Reise nach Deutschland organisiert werden muss.

Gabriele Radu — selbst Mutter von drei Töchtern — ist immer wieder bewegt von der Dankbarkeit der Eltern, wenn sie ihre Kinder nach der Operation wieder abholen. Die kleinen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten-Patienten profitieren nicht nur optisch, sie können auch besser essen und sprechen. „Was man da zurückbekommt, ist nicht mit Gold aufzuwiegen“, meint sie. Und solche Einsätze zeigen ihr auch, was sie kann: „Wir plastischen Chirurgen werden hier in Deutschland ja gerne als Schönheitschirurgen abgetan. Dort mache ich Menschen durch rekonstruktive Chirurgie auch schön — in dem Sinn, dass sie in ihrem Land wieder besser leben können.“

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