"Eine Rechtsreform ist überfällig"

16.10.2019, 08:00 Uhr

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Frau Sünderhauf, ist das Wechselmodell das bessere Betreuungskonzept?

Hildegund Sünderhauf: Es ist eine Alternative zum Residenzmodell, die immer dann bedacht werden sollte, wenn die Rahmenbedingungen eine wechselnde Betreuung ermöglichen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Schule oder Kita von den Wohnungen beider Elternteile aus gut erreicht werden können. Die psychologische Forschung zeigt eindeutig, dass ein funktionierendes Wechselmodell Kindern ein gutes Aufwachsen ermöglicht, trotz Trennung der Eltern. Es gibt sogar deutliche Hinweise darauf, dass es Kindern im Wechselmodell besser geht als bei der klassischen Form mit einem Wochenendvater. Das erlaubt aber nicht den Umkehrschluss, dass die Kinder bei diesem Modell grundsätzlich unglücklich sind. Im Wechselmodell landen eben auch viele Familien, die verhältnismäßig gut mit der Trennung umgehen.

Warum ist eine Aufteilung der Erziehungsarbeit denn oft die bessere Wahl?

Sünderhauf: Es tut den Kindern gut, wenn sie möglichst viel Alltag mit beiden Elternteilen haben. Viele getrennt lebende Väter bemängeln, dass sie nur noch für die Freizeitbespaßung zuständig sind. Das hat zur Folge, dass die Beziehung zu den Kindern über die Jahre abflacht. Dabei wollen viele Männer mehr Verantwortung übernehmen.

Wie oft wird das Wechselmodell denn bereits gelebt?

Sünderhauf: Eine große Studie des Allensbach-Institutes zeigt, dass das gar nicht mehr so selten ist. Mittlerweile teilen sich 18 Prozent der Paare nach einer Scheidung die Verantwortung für die gemeinsamen Kinder in Form eines Wechselmodells. 77 Prozent halten es sogar für die optimale Betreuungsform. Das heißt, es praktizieren weniger Familien, als es wollen.

Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Die Elternteile bräuchten sich doch nur zu einigen und könnten ihren Alltag dann so regeln, wie sie wollen.

Sünderhauf: Bisher scheitert das Konzept oft an rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen. Meistens kümmern sich nach einer Trennung überwiegend die Mütter um das Kind. Sie gelten dann als alleinerziehend, haben steuerliche Vorteile, bekommen eher einen Kitaplatz und haben oft auch Anspruch auf Unterhalt. Es gibt viele wirtschaftliche Gründe, aus denen heraus sich vor allem Mütter gegen das Wechselmodell sträuben.

Das heißt also, dass die Väter da oft den Kürzeren ziehen?

Sünderhauf: Die Jugendämter sind oft sehr mütterzentriert, was unter anderem an der Struktur der Mitarbeiter liegt. Dort arbeiten in der Regel überwiegend Frauen, die Beratung ist stark am Modell "alleinerziehende Mutter und Unterhalt zahlender Vater" orientiert und es gibt dort immer noch viele Vorbehalte gegen das Wechselmodell. Ebenso wie bei Gericht ist es totaler Zufall, an wen man gerät und ob man auf offene Ohren stößt. Das ist rechtsstaatlich betrachtet sehr problematisch.

Also müsste sich aus juristischer Sicht etwas ändern?

Sünderhauf: Eine Rechtsreform ist überfällig! Wichtig ist sie vor allem für alle, die streiten. Es gibt immer mehr Väter, die sich in der Familie engagieren. Zerbricht die Beziehung, werden sie zurückgeworfen auf die traditionelle Rollenverteilung. Gesetzgebung und Rechtsprechung entsprechen hier nicht mehr den aktuellen Lebensverhältnissen. Die elterliche Verantwortung endet nicht, wenn die Paarbeziehung endet. Deshalb empfiehlt unsere Arbeitsgruppe eine Rechtsreform mit dem Ziel, beide Modelle als gleichberechtigte Alternativen zu etablieren.

Gegner des Wechselmodells sagen, das ständige Hin und Her schade den Kindern.

Sünderhauf: Es gibt keine einzige Studie, die das belegt. Im Übrigen müssen die Kinder beim Residenzmodell meistens häufiger pendeln. Wenn sie den anderen Elternteil auch an einem Wochentag sehen, kommen sie auf zwölf Wechsel im Monat, beim Wechselmodell sind es nur vier.

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