Endstation Abstellgleis? Nürnberg kämpft um die Linie 9

9.9.2011, 07:00 Uhr

"Ich kann mich gar nicht an eine Zeit ohne Straßenbahn erinnern". Für Elise Engelhardt, die seit fast 20 Jahren einen Blumenladen in der Pirckheimerstraße betreibt, ist die Linie Neun untrennbar mit ihrer Kindheit verknüpft. Doch es sind nicht die nostalgischen Erinnerungen, die sie für den Erhalt der Straßenbahn kämpfen lassen – es ist die pure Angst um ihre Existenz. Viele ihrer Stammkunden sind älter und eingeschränkt in ihrer Mobilität. Für sie ist die Neun der bequemste Weg um zu dem kleinen Laden zu gelangen, der sich direkt neben der Haltestelle befindet. Engelhardt befürchtet, dass diese Kunden künftig fort bleiben werden – der Weg von der U-Bahn sei vielen doch zu weit. Auch um die Laufkundschaft sorgt sie sich. "Die Leute sehen das Schaufenster aus der Straßenbahn und steigen dann noch schnell aus um etwas mitzunehmen, das sie entdeckt haben". Mit dem Ende der Straßenbahn würde auch dieser Kundenstamm wegfallen.

Ausweg, dringend gesucht

Doch Elise Engelhardt ist mit ihren Ängsten nicht allein. In vielen der kleinen Geschäfte rund um die Pirckheimerstraße regiert in diesen Tagen ein Gemisch aus Angst, Wut und Hoffnung. Angst vor der wirtschaftlichen Zukunft ohne die Linie Neun, Wut auf die Politiker, die dies nach Ansicht mancher Ladenbetreiber verschuldet haben, und der Hoffnung, dass ebenjene Politiker vielleicht doch noch eine annehmbare Lösung für die verfahrene Situation finden können. Dass die Straßenbahn in ihrer jetzigen Form nicht fortbestehen kann, daran gibt es nichts mehr zu rütteln – mit einem parallelen Weiterbetrieb von der Straßenbahnlinie 9 und der U 3 würden der Stadt die dringend benötigten Zuschüsse des Bundes für den U-Bahn-Ausbau fehlen, da dieser dies als unwirtschaftlich ansieht. Aber eine geänderte Streckenführung der Neun könnte einen möglichen Ausweg bieten, der etwa Gerhard Mangold ein gutes Stück versöhnen würde.

Der Goldschmiedemeister macht sich vor allem Sorgen um die Zukunft seiner Tochter, die das Familienunternehmen mittlerweile von ihm übernommen hat. "Momentan kommen bestimmt so 30 bis 40 Prozent unserer Kunden mit der Straßenbahn" berichtet Mangold. Auch zu seinen Kunden zählen viele ältere Menschen, die ungern mit der U-Bahn fahren würden. Dass die Linie Neun wegen eines Wirtschaftlichkeitsgutachtens eingestellt werden soll kann er nicht nachvollziehen. "Vom Bahnhof bis Maxfeld fahren doch auch die U-Bahn und die Straßenbahn parallel. Und hier soll das plötzlich unwirtschaftlich sein?" Doch wenn die Neun schon weichen muss, dann erscheint ihm eine neue Streckenführung über Plärrer und Stadtpark als einzig möglicher Ausweg, auf den er hofft – "sonst wird das hier eine tote Straße".

Penlder und Händler gegen das Gleissterben

Kein Wunder, dass Mangold und Engelhardt sich da in die Reihe ihrer vielen Einzelhandels-Kollegen gesellten, die mit dem "Arbeitskreis Nord" Unterschriften gegen die Stillegung der Linie Neun gesammelt haben. Wie sehr das Thema die Menschen in und um die Pirckheimerstraße bewegt, lässt sich auch an dem beachtlichen Erfolg der Aktion ablesen: Über 6.000 Menschen setzten ihren Namen auf die Listen, die im Juli Oberbürgermeister Maly übergeben wurden. Doch nicht allen Protesten liegt die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft der Geschäfte zu Grunde. Melanie Jansen vom Haarstudio No. 51 etwa glaubt nicht, dass sie künftig weniger Schöpfe zwischen die Finger bekommt: "Die meisten unserer Kunden kommen mit dem Auto her oder wohnen sowieso in der Nähe." Aber da sie als Pendlerin selbst jeden Morgen mit der Straßenbahn zur Arbeit kommt, wäre es ihr schon lieber, wenn sie auch künftig nicht auf die Neun verzichten müsste.

Wie Jansen geht es Vielen. Wer sich an den Haltestellen in Thon oder der Prickheimerstraße nach den Meinungen der Pendler über das geplante Aus der Linie 9 umhört, dem fliegt auch der ein oder andere Kraftausdruck um die Ohren. Sie fürchten längere Fahrten zur Arbeit, häufigeres Umsteigen oder die längeren Fußwege, die sie künftig in Kauf nehmen müssten. Manch einer steigt auch einfach nicht gerne herunter in die Finsternis und wird den Ausblick aus dem Straßenbahnfenster auf das vorüberziehende Nürnberg vermissen. Die Sorgen sind vielfältig, der Tenor ist jedoch derselbe: Die Neun soll bleiben.

Abgeschnitten von der Außenwelt?

Doch nicht nur Händler und Pendler sind betroffen - Helga Steinbach etwa denkt weniger an die Geschäfte als vielmehr an die Anwohner, wenn sie sich für die Linie 9 stark macht. "Das ist hier eine stark bewohnte Gegend und viele brauchen die Straßenbahn um in die Stadt zu kommen. Gerade auch die Älteren werden dann künftig stärker eingeschränkt." Und Monika Hausner gibt zu bedenken, dass der Stadtteil um die Pirckheimerstraße "ohne die Linie 9 komplett abgeschnitten wird". Eine Geisterstraße? Das möchte niemand, kein Händler, Pendler oder Anwohner. Sie alle hoffen jetzt auf die nächste Sitzung des Verkehrsausschusses am 15. September. Dann soll über Anträge der CSU und der GRÜNEN, die die Straßenbahn mit neuer Streckenführung erhalten wollen, abgestimmt werden.

"Bimmel, bimmel, bimmel" – mit dem vertrauten Klingeln verschwindet die Linie Neun um die nächste Ecke, hinein ins Abendrot. Ob sie auch im nächsten Sommer wieder ihre Kreise durch die nördliche Altstadt ziehen wird? Elise Engelhardt hat trotz der öffentlichkeitswirksamen Diskussion wenig Hoffnung: "Die Pirckheimerstraße stirbt aus".

35 Kommentare