Engel auf Erden

31.1.2020, 17:55 Uhr
Engel auf Erden

© Foto: Michael Matejka

Evangelos Agelidis aber bewegt sich durch die Gänge, als wäre er hier zu Hause. Mit schnellen Schritten kurvt er um Rollstühle, hält Türen auf, holt seine Begleiter danach wieder ein, um sie mit einem sanften Griff an den Ellbogen um die nächste Ecke zu bugsieren.

Agelidis kennt sich aus. Dabei ist er weder Arzt noch Pfleger. Trotzdem kümmert er sich um Patienten, um Verletzte und Kranke mit griechischen Wurzeln und deren Angehörige. Die nimmt der 74-Jährige oft an die Hand und führt sie durch den Irrgarten aus Korridoren in die Cafeteria. Dort füllt Agelidis mit ihnen Formulare aus, übersetzt oder hört einfach nur zu. "Die Menschen sind oft verängstigt, in Sorge, dazu verstehen sie die Sprache nicht richtig."


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Seit 40 Jahren kümmert sich Evangelos Agelidis in Erlangen um griechische Patienten, die zur Behandlung nach Deutschland kommen. Vor Jahren, während der Krise in Griechenland, ist Agelidis drei- bis viermal die Woche in einer der Kliniken, um zu übersetzen, zu reden. Zu helfen.

Flucht vor der Militärdiktatur

Das macht Agelidis, den Freunde nur Angelos nennen, schon sein ganzes Leben. Gelernt hat er das zu Hause in Serres, einer Stadt in Griechenland an der Grenze zu Bulgarien. Im Haus der Familie erhalten immer wieder Fremde Asyl. Zum Beispiel als nach einer Überschwemmung des nahe gelegenen Flusses Strymonas viele alles verlieren.

Der junge Angelos besucht hier eine Technikerschule und wird für ein Praktikum nach Erlangen geschickt, wo er vor genau 50 Jahren eine neue Heimat findet. Oder finden muss. Nach dem Praktikum kehrt Evangelos Agelidis zunächst zurück, leistet seinen Wehrdienst ab. Dann kommt es in Griechenland zum Putsch. Unter der Militär-Diktatur wird seine Familie eingesperrt, Agelidis aber kann mit Hilfe eines befreundeten Apothekers aus dem Land flüchten.

Unterkunft für Angehörige

Sein Ziel? Erlangen. "Hier hat es mir gefallen." Während seines Praktikums spielt er in einer griechischen Fußballmannschaft. Doch sind es nicht nur die Landsleute, die ihm helfen. "Ich habe bei Siemens sofort einen Vertrag bekommen, viele viele Deutsche haben mich damals — und bis heute — unterstützt."

Seitdem arbeitet er daran, so viel er kann zurückzugeben. In der Klinik begleitet er Patienten zur Bestrahlung, besucht sie nach Operationen, dolmetscht bei Arztgesprächen. Agelidis kümmert sich auch um die Unterbringung der Angehörigen, die oft kaum Geld zur Verfügung haben. "Das benötigen sie für die Behandlung", erklärt der 74-Jährige mit dem gepflegten weißen Bart.

Er strahlt Ruhe und Freude aus

Während er redet, legt er immer wieder die Hand auf den Arm seines Gesprächspartners, mit dem er sofort per Du ist. Er strahlt Ruhe aus, Freude. So hat Angelos auch die Griechische Gemeinde in Erlangen geleitet, über 25 Jahre. Oft haben Agelidis, seine Frau und die beiden Töchter Angehörige von Patienten bei sich daheim untergebracht. Oder bei Gemeindemitgliedern. Irgendwann "wurden mir sogar Wohnungen angeboten, die nicht bezogen waren", erklärt Agelidis. "So eine Unterstützung prägt dich!"

Seinen Akzent hat er sich erhalten. Obwohl Evangelos Agelidis nach seiner Flucht aus Griechenland jeden Nachmittag Deutsch gepaukt hat. Später besucht er eine Programmierschule und wechselt in die EDV-Abteilung der Nürnberger Versicherung. Bis er schon wenig später seine eigentliche Bestimmung findet — im Betriebsrat. "Dort konnte ich mit Menschen sprechen und Menschen helfen. Das hat mich doppelt glücklich gemacht."

Oft verlässt der langjährige Club-Fan aber auch den Arbeitsplatz, um in ein Krankenhaus zu eilen. Während der 74-Jährige anfangs über Kontakte in der alten Heimat oder durch die Griechische Gemeinde gerufen wird, sind es irgendwann die Krankenhäuser selbst, die sich melden. Dann kommt Agelidis, auch dank des Ex-Aufsichtsrats-Chefs Hans-Peter Schmidt. "Wenn Sie gerufen werden, werden Sie freigestellt", habe der damals klipp und klar entschieden.

Plötzlicher Tod des Freundes

Klinikräume schrecken viele Menschen ab, Agelidis nicht. Obwohl er auch trösten muss. Weil eine Operation nicht den gewünschten Erfolg bringt oder gar nicht erst erfolgt. Als ein Freund von ihm ins Krankenhaus muss, begleitet er auch ihn. Nach der Behandlung soll er entlassen werden, Evangelos Agelidis und er verabreden sich für den nächsten Tag. In der Nacht erleidet der Freund einen Hirnschlag. Er verlässt die Klinik nie mehr. "Das war schrecklich."

Zu 95 Prozent erlebt Evangelos Agelidis dort Positives, also Menschen, die gesund werden, denen es nach der Behandlung besser geht. Seine Tochter gehört dazu, seit sie 2011 eine neue Niere hat. Die ihres Vaters. Angelos ist Griechisch und heíßt Engel. Nicht nur für seine Tochter ist Evangelos Agelidis genau das.

InfoBei der Aktion "EhrenWert" zeichnen die Stadt Nürnberg und die uniVersaVersicherungen monatlich eine(n) Ehrenamtliche(n) aus aus. Der Preis ist mit einer Summe von 1000 Euro dotiert. Infos erhalten Sie unter ehrenwert@stadt.nuernberg.de, unter (09 11) 2 31 33 26 oder auf www.universa.de/unternehmen/aktion-ehrenwert

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