Erfolgreiches Projekt des Kinderschutzbundes

25.1.2012, 15:07 Uhr
Erfolgreiches Projekt des Kinderschutzbundes

© Roland Fengler

Orcun und Deniz haben sich ein paar Meter voneinander aufgebaut. Deniz geht auf Orcun zu, kommt näher, immer näher. Orcun streckt abwehrend die Hand aus, sagt entschieden „Stopp!“ – und es klappt, Deniz bleibt tatsächlich stehen. Orcun hat ihn sich vom Leib gehalten – so, wie Lisa Moßburger und Frank Schuh es vorgemacht haben. Wir sind mitten drin in einem Rollenspiel, das die beiden Sozialpädagogen mit den Schülern der Klasse 7b des Sigena-Gymnasiums üben. Das Rollenspiel gehört zu dem Präventionsprojekt „Achtung Grenze!“ des Kinderschutzbundes Nürnberg.

Grenzen setzen – das fällt nicht immer leicht. Wer sich selbst schützen will, sollte jedoch fähig sein, anderen Grenzen aufzuzeigen. Diese Fähigkeit ist bereits im täglichen Miteinander vonnöten. Unerlässlich, ja sogar lebensnotwendig wird sie, wenn jemand in eine Situation gerät, in der er Gewalt ausgesetzt ist. In den seltensten Fällten wird Gewalt allerdings von „Fremdtätern“ ausgeübt. Kinder und Jugendliche erleben Gewalt meist in ihrem täglichen Umfeld. Dabei geht es um Gewalt an Kindern genauso wie unter Kindern. Und es geht auch um verschiedene Formen von Gewalt: verbal, körperlich, sexuell.

Seit der Kinderschutzbund Nürnberg vor über fünf Jahren das Projekt in seiner heutigen Form entwickelt hat, hat sich gezeigt, dass die Nachfrage immens ist. 2600 Kinder in rund 120 Klassen haben sich inzwischen daran beteiligt. „Am besten geeignet ist das Projekt für Schüler der dritten bis siebten Klasse“, sagt Geschäftsführerin Barbara Ameling. Erreicht wurden aber nicht nur die Kinder selbst, sondern auch – in Vorträgen – ihre Eltern und Lehrer. „Es ist sehr wichtig, dass wir sie einbeziehen“, sagt Barbara Ameling. Nur wenn diese sich unterstützend beteiligen, könne das Präventivprogramm greifen.

Sprechstunde am Ende von zwei Schultagen

Weitere Faktoren für den Erfolg des Projekts kann Barbara Ameling ebenfalls benennen. So waren vorherige Präventionsangebote jeweils nur zweistündig. „Wir haben festgestellt, dass das zu wenig ist“, resümiert die Geschäftsleiterin. Das Projekt „Achtung Grenze!“ umfasst dagegen zwei ganze Schultage. Mit dabei ist am Ende eine Sprechstunde, in der die Kinder und Jugendlichen sich mit ihren Sorgen und Nöten an die beteiligten Sozialpädagogen wenden können. Gerade in der Grundschule werde dieses Angebot sehr häufig wahrgenommen, sagt Lisa Moßburger. Es sei auch schon öfter vorgekommen, dass Kinder, die am Projekt teilgenommen hatten, erst ein Jahr später in die Sprechstunde kamen, wenn die Sozialpädagogen die gleiche Schule wieder aufsuchten. Oder dass ein Kind später beim Kinderschutzbund anrief. Das zeigt den Machern des Projekts, dass sie mit ihrem Konzept richtig liegen. „Der Kinderschutzbund wollte mit dem Projekt dahin gehen, wo die Kinder sind“, erklärt Barbara Ameling. „Kinder finden den Weg in unsere Beratungsräume schwer – und wenn, dann nur über Erwachsene.“ Bestätigt sieht sich der Kinderschutzbund Nürnberg außerdem durch eine Studie aus dem Jahr 2011 von Professor Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut in München. Derzufolge bringt Prävention dann am meisten, wenn verschiedene Komponenten berücksichtigt werden: Man müsse mit einem Präventivprogramm mehr als einmal in eine Gruppe kommen, die Kinder aktiv beteiligen, die Eltern einbeziehen und außerdem eine Sprechstunde anbieten, in der Einzelne ihre konkreten Probleme schildern können. Lauter Faktoren, die in Nürnberg zutreffen.

Erfolgreiches Projekt des Kinderschutzbundes

Der Erfolg ist die beste Bestätigung. „In diesem Jahr sind wir schon komplett ausgebucht“, sagt Projektleiterin Silvia Knipp-Rentrop. Interessiert sind nicht nur Schulen: Seit zwei Jahren fordern auch Nürnberger Jugendheime das Projekt an.

Eingesetzt wird das Projekt ausschließlich in Nürnberg. Danach gefragt haben allerdings bereits Einrichtungen in ganz Bayern. Doch um dies wahrzunehmen, müsste der Kinderschutzbund Nürnberg mehr Mitarbeiter einstellen. Dafür reicht der finanzielle Etat jedoch nicht. Interesse gibt es auch aus den eigenen Reihen: So hätte beispielsweise der Landesverband Berlin des Kinderschutzbundes gern eine Schulung durch die Nürnberger, um das Projekt dann selbst anbieten zu können. Doch auch das scheiterte bisher am mangelnden Geld und Personal.

„Wir hätten gern ein zweites Team, um mehr Kinder erreichen und Schulungen durchführen zu können“, sagt Barbara Ameling. Platz für weitere Mitarbeiter wäre vorhanden: Der Kinderschutzbund ist soeben von der Dammstraße in die Rothenburger Straße umgezogen und hat jetzt im Prisma Räume auf 335 Quadratmetern statt auf bisher 100 Quadratmetern zur Verfügung. So können jetzt auch die Elternkurse „Starke Eltern – Starke Kinder“, die der Kinderschutzbund regelmäßig anbietet und bisher „auslagern“ musste, sowie die kostenlose Rechtsberatung durch eine Anwältin in den eigenen Räumen stattfinden. Bevor der Verein sich personell vergrößern kann, müssen jedoch erst die finanziellen Ressourcen gesichert sein. Und das gilt auch für bereits bestehende: Mitte dieses Jahres läuft die derzeitige Förderung durch die Auerbach Stiftung aus.

Förderung ist aber nötig, weil den Schulen nur ein Teil der Projektkosten in Rechnung gestellt wird. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass eine Kooperation mit dem Nürnberger Bündnis für Familien besteht.

Von all dem wissen die Schüler der Klasse 7b des Sigena-Gymnasiums nichts. Aber sie sind mit Feuereifer bei der Sache. Im Zweikampf mit Schlagpolstern erfahren sie, was der Unterschied zwischen einer Schulhofschlägerei und einem Boxkampf ist: Denn bei letzterem gibt es einen Schiedsrichter, der dafür sorgt, dass Regeln eingehalten werden. Gemeinsam mit Lisa Moßburger und Frank Schuh klären sie, was Gewalt ist – und wie unterschiedlich sie aussehen kann. In einem sexualpädagogischen Aufklärungsteil sprechen sie über intime Körperteile genauso wie über Gefühle und sexuellen Mißbrauch. Und auch wenn „Achtung Grenze!“ primär ein Präventionsprojekt ist und helfen soll, Gewalt sowie sexuellen Missbrauch zu verhindern, will es gleichzeitig auch betroffenen Kindern helfen – indem es ihnen Mut macht, über das Geschehene zu sprechen und sich Hilfe zu holen. Im Normalfall haben sie sich im Glauben, dass das etwas Unaussprechbares ist, in die Isolation zurückgezogen. Oder äußern sich nur in verschlüsselter Form. „Laut Statistik erzählt ein sexuell missbrauchtes Kind Erwachsenen bis zu siebenmal vom Missbrauch, bis es gehört wird“, sagt Barbara Ameling.

www.kinderschutzbund-nuernberg.de


 

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