Erlebt die VAG ihr Wiener Wunder?

20.1.2014, 06:00 Uhr
Erlebt die VAG ihr Wiener Wunder?

© Wiener Linien / Johannes Zinner

Maria Vassilakou spricht vom „Wiener Wunder“. Aus Sicht der Vize-Bürgermeisterin der 1,7-Millionen-Einwohner-Stadt ist das Tarif-Modell auch eine „brauchbare Anregung für Nürnberg“. Die Grünen-Politikerin hat die Tarifreform in der Bundeshauptstadt vor zwei Jahren maßgeblich mit vorangetrieben. Aber nicht nur deshalb ist sie von dem Jahresticket im Gesamtverbund zum Schnäppchenpreis begeistert. Sie lieferte bei der Diskussion auch beeindruckende Zahlen.

„Das rechnet sich“

„Eine günstige Jahreskarte rechnet sich“, ist sie — nicht nur bezogen auf Wien — überzeugt und erhielt für diese These viel Beifall. Im Jahr 2011 hatten die Wiener Linien insgesamt 458 Millionen Tickets verkauft. 2012 — nach der Einführung der 365-Euro-Jahreskarte für die Gesamtstadt — schnellte die Zahl auf 484 Millionen hoch. Noch beeindruckender ist die Verkaufsentwicklung der neuen Jahreskarte, die zuvor 460 Euro kostete und auf 504 Euro verteuert werden sollte. Vor der Reform kauften die Wiener 360.000 Stück. Mitte Juli 2013 – aktuellere Zahlen lagen Vassilakou noch nicht vor — waren es bereits 538.000! Die Vize-Bürgermeisterin euphorisch: „Das ist ein Erdrutsch.“

Dickes Plus bei Fahrgästen

Auch den deutlichen Anstieg der Fahrgäste führt sie auf das neue Ticket und weitere Tarifänderungen zurück. 2012 registrierten die Wiener Verkehrsbetriebe 907 Millionen Fahrgäste. Ein Plus von 32 Millionen. „Das ist neuer Rekord“, betonte sie. 39 Prozent der Wiener nutzten für ihre täglichen Wege mittlerweile U-Bahn, Straßenbahn oder Bus — den „Öffi“, wie die Wiener liebevoll sagen. Die Grünen-Politikerin mit griechischen Wurzeln: „Das ist Spitze in Europa.“

Allein nach der Einführung der 365-Euro-Karte sei der Anteil um zwei Prozent gestiegen, so stark wie in den zehn Jahren zuvor. Ihr Fazit: „Das Ticket hat dem Nahverkehr einen Popularitätsschub gegeben.“ Denn auch Umfragen hätten ergeben, dass mehr Leute die Jahreskarte kaufen, seit sie günstiger ist.

Vassilakou erklärt den Erfolg auch damit, dass Monats- und Wochenkarten billiger wurden. Schüler/Lehrlinge zahlen für die Jahreskarte im Gesamtverbund nur 60 Euro. Senioren wurden nicht belastet, wohl aber ist der Einzelfahrschein deutlich teurer geworden. Außerdem seien die Strafen für Schwarzfahren drastisch erhöht worden.

Einher ging die Reform mit einer Parkraumbewirtschaftung im Westen Wiens, wo der Druck durch Pendler enorm war. Das hat — neben dem Verkaufsboom bei den Tickets — zusätzliche Einnahmen in die Stadtkasse gespült. So konnte der Zuschuss von 30 Millionen Euro, der 2012 eigentlich als Ausgleich für angenommene Einnahmeausfälle an die Wiener Linien gezahlt wurde, komplett in Investitionen in die Infrastruktur und neue Fahrzeuge gesteckt werden. Auch der Takt wurde verbessert, Linien verstärkt. Denn: „Mit dem Boom an Fahrgästen muss mehr investiert werden“, betonte Vassilakou. Doch das komme alles dem Klimaschutz zugute. Das Publikum teilte ihre Begeisterung. Aber es folgte die Ernüchterung. Denn Josef Hasler, Chef der Nürnberger Verkehrsbetriebe VAG, verdeutlichte, dass er keinen Spielraum für eine Reform nach Wiener Vorbild sieht. Dabei hat die VAG die Preise erst drastisch erhöht, 2015 folgt eine weitere Runde im Stadttarif.

Keine Kapazitäten

Die Einführung eines Jahrestickets in Nürnberg, das pro Tag nur einen Euro kosten würde, schlägt laut Hasler mit einem jährlichen Minus von 12 oder 13 Millionen Euro zu Buche. Wobei er nicht ausschließen wollte, dass eine gewisse Kompensation durch mehr Fahrgäste möglich sei. Nur verwies er darauf, dass das Netz schon jetzt zu Stoßzeiten morgens und mittags an seine Grenzen stoße und mit einem Zuwachs nicht mehr zurechtkäme. Was ihm den Vorwurf aus dem Publikum einbrachte, gar keine zusätzlichen Fahrgäste anzustreben.

Doch als Haupthindernis für ein 365-Euro-Ticket (derzeit kostet die VAG-Jahreskarte zwischen 434 und 709 Euro) sieht Hasler die finanziellen Rahmenbedingungen für den Nahverkehr in Deutschland. Die Bundesregierung wolle in Erhalt der Infrastruktur investieren, nicht in neue Netze. Zuschüsse seien stark gesunken.

Alle wichtigen Finanzierungsinstrumente liefen aus. Das schaffe enorme Unsicherheiten. „Mehr Geld wird es nicht geben.“ Außerdem fahre die VAG jährlich 60 Millionen Euro Verlust ein. Von so hohen städtischen Zuschüssen wie in Wien (50 Prozent statt 30 wie in Nürnberg) kann er nur träumen.

Moderator und Umweltreferent Peter Pluschke (Grüne) monierte, dass der VAG-Stadttarif zu kompliziert sei und die Studenten auf ein echtes Semesterticket warteten. Die Wiener Vize-Bürgermeisterin stellte klar: „Es ist Aufgabe der Politik, für Geld für den Nahverkehr zu sorgen. Mobilität muss für die Bürger bezahlbar sein.“

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