Flucht aus der Ukraine

Erschöpft am Ziel: Erste geflüchtete Ukrainer kommen an zentraler Anlaufstelle in Nürnberg an

Ella Schindler

E-Mail zur Autorenseite

2.3.2022, 18:05 Uhr
Im Heilig-Geist-Saal hat am Mittwoch die Anlaufstelle für geflüchtete Ukrainer ihre Arbeit aufgenommen. Die Anfrage war gleich zu Beginn groß.

© Eduard Weigert Im Heilig-Geist-Saal hat am Mittwoch die Anlaufstelle für geflüchtete Ukrainer ihre Arbeit aufgenommen. Die Anfrage war gleich zu Beginn groß.

Freundlichkeit und Ruhe, das vermittelt Anzhela Korzhova, wenn sie mit geflüchteten Ukrainern direkt an der Türschwelle zum großen Saal im Heilig-Geist-Spital spricht. "Sie können sich 90 Tage lang im Land aufhalten, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen", erläutert sie einer Gruppe von Frauen auf Russisch. "Die Menschen fühlen sich orientierungslos, sie brauchen Informationen und das Gefühl der Stabilität", so die Einschätzung der Mitarbeiterin der SinN-Stiftung der evangelischen Landeskirche in Bayern. Dass das Angebot von Anfang an so einen enormen Zuspruch findet, hat den Nürnberger OB Marcus König positiv überrascht: "Ich wollte um 9.30 Uhr die Mitarbeitenden des Zentrums begrüßen, aber da stand schon die erste Familie aus Odessa vor der Tür. Es ist unglaublich, wie schnell sich die Informationen über die sozialen Netzwerke verbreiten."

Anspruch auf Sozialleistungen?

König macht deutlich, dass es noch einiges zu regeln gibt. Etwa der Aufenthaltsstatus der geflüchteten Ukrainer. Die Entscheidung, ob ihre Aufnahme hierzulande nach Paragraf 24 des Asylgesetzes erfolgen kann, ist noch nicht gefallen. Nur in diesem Falle hätten die Ukrainer Anspruch auch auf Sozialleistungen.

Viele anderen Fragen sind ebenfalls noch offen, für deren Klärung jedoch nicht die Stadt Nürnberg zuständig ist. An sich müsse man alle an die Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach Zirndorf schicken, erläutert König. Dies würde jedoch für die Ukrainer bedeuten, dass es vollkommen offen ist, an welchen Ort sie dann von dort aus geschickt werden. "Das ist der Unterschied zwischen 2015 und jetzt. Damals kamen Menschen, die in der Regel keine persönlichen Verbindungen hierher hatten. Jetzt kommen Menschen, die hier Kontakte haben, Freunde oder Familie, und deswegen auch vorerst hier bleiben wollen", sagt König.

Medizinische Erstberatung beim Roten Kreuz

"Wir dürfen nicht die Arbeit von Zirndorf machen", beschreibt der Oberbürgermeister die aktuelle Lage. Aber: In der neu geschaffenen Anlaufstelle bekommen die Geflüchteten die ersten Informationen und Beratung. Das Zentrum hat die Stadt Nürnberg sehr schnell aus dem Boden gestampft. "Uns ist wichtig zu vermitteln: Du bist hier sicher und willkommen", betont König.

Im Heilig-Geist-Saal arbeiten am ersten Tag neben Anzhela Korzhova, die die Lotsenfunktion übernommen hat, mehr als ein Dutzend anderer Menschen aus verschiedenen Bereichen der Stadtverwaltung sowie Hilfsorganisationen. An Tischen verteilen sie sich im großen Raum und bieten Informationen: Mit dabei ist unter anderem die Fachstelle für Flüchtlinge sowie die Stabsstelle Ehrenamtliches Engagement des Sozialreferats der Stadt Nürnberg. Beim Sanitätsdienst des Bayerischen Roten Kreuzes bekommt man medizinische Erstberatung sowie Rezepte für Medikamente. Auch kirchliche Einrichtungen beteiligen sich, wie etwa die SinN-Stiftung, die den Menschen auch seelsorgerische Beratung anbietet.

"Ich brauche eine Brille"

Nicht im Saal, aber in den Räumen in der Nähe befindet sich auch das Infotelefon, an dem vorerst zwei Mitarbeiterinnen der Stadt die Anfragen beantworten. "Wir müssen uns langsam vortasten", sagt Andreas Franke, Leiter des Amtes für Kommunikation und Stadtmarketing der Stadt Nürnberg. Je nachdem, welche Informationen gewünscht werden und wie viele Menschen zur Beratung kommen, soll nachjustiert werden.

Eine Stunde nach der Eröffnung sind auch Bella (38) und ihr Sohn Kolja (16) da. Sie sind aus dem ostukrainischen Kramatorsk geflüchtet und bei ihrem Bekannten Christian F. untergekommen. Bella erzählt, dass sie nicht wisse, wie es weitergeht. Aber heute hat sie auch praktische Fragen: "Ich brauche eine Brille. Ich warte jetzt. In einer Stunde bekomme ich eine, wurde mir versprochen." Christian F. ist vom Angebot der Stadt angetan: "Es ist der Hammer, wie schnell das ging. Ich verstehe, dass man nicht alles sofort klären kann. Ich bin zum Teil auch stolz, wie es bei uns in Nürnberg jetzt läuft."

Hoffnung, dass Unterstützungswelle nicht abebbt

OB König und Andreas Franke berichten von der großen Anteilnahme der Menschen in Nürnberg. "Es ist eine Flut von Hilfsangeboten da", sagt Franke. Die Menschen sollen deswegen nicht enttäuscht sein, wenn nicht gleich eine Antwort seitens der Stadt kommt, bittet der OB. Ihm ist wichtig, dass die Unterstützungswelle nicht nach kurzer Zeit abebbt: "Sie soll auch in einem Jahr zu spüren sein." Die Anlaufstelle will im Übrigen auch für Menschen, die helfen wollen, eine Anlaufstelle sein.

Anlaufstelle für Geflüchtete aus der Ukraine: Heilig-Geist-Spital, täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr. Das Infotelefon ist zu erreichen unter: (0911) 231-33366; Hilfsangebote an: engagiert@stadt.nuernberg.de

Verwandte Themen