Nürnberger Biergeschichte(n)

"Es geht nichts über ein Helles"

Kurt Heidingsfelder

Projektredakteur

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12.3.2022, 12:00 Uhr
Die große Kunst beim Bierbrauen ist, einen Geschmack zu definieren, der möglichst gleich bleibt.

© Foto: imago Die große Kunst beim Bierbrauen ist, einen Geschmack zu definieren, der möglichst gleich bleibt.

Herr Ell, in Nürnberg wurde schon vor über 700 Jahren nach offiziellen Regeln Bier gebraut. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie das damals geschmeckt hat?

Um Gottes Willen, kein Mensch würde die Brüh‘ heute noch trinken wollen.

So schlimm?

Ich fürchte, ja. Das Wesentliche am Bier ist nämlich nicht das, was man mit Hopfen und Malz macht, sondern die Vergärung. Beim Einmaischen werden erst die Enzyme des vermälzten Rohstoffs Gerste aufgeschlossen, dabei kommt es sehr auf die Temperatur an. Heute messen wir das akribisch.

Und früher?

Da wurde das nur Pi mal Daumen gemacht. Man hat halt mal aufgekocht und geschaut, was passiert. Das Ziel, beim Einmaischen aus der Stärke Zucker zu machen, den später bei der Vergärung die Hefe frisst und dabei den Zucker in Alkohol und Kohlensäure umwandelt, wurde, wenn überhaupt, nur zufällig erreicht. Und der Hopfen wurde nicht wohl dosiert für den Geschmack zugegeben, er sollte das Bier haltbar zu machen.

Nürnberg war ja mal die Weltstadt des Hopfenhandels.

Stimmt. Es gab hier auch eigene Hopfengärten, in Nürnberg, in Fürth und auch in Langenzenn. Aber noch mal zur Vergärung, zum Schwierigsten beim Brauen, heute noch…

Regelt das inzwischen denn nicht alles der Computer?

So einfach ist das nicht. Man muss die technischen Helferlein schon mit den richtigen Infos füttern, sonst geht das schief. Die große Kunst ist heute, einen Biergeschmack zu definieren, der möglichst gleich bleibt.

Helmut Ell, 60, ist bei der Tucher Bräu für Brauereiführungen zuständig – sofern nicht gerade eine Pandemie herrscht. Er gilt auch allgemein als Kenner der Geschichte der hiesigen Brauereien. Dass Tucher die Marke „Grüner Bier“ reanimierte, geht auf seine Initiative zurück. Ell ist ausgebildeter Biersommelier.

Helmut Ell, 60, ist bei der Tucher Bräu für Brauereiführungen zuständig – sofern nicht gerade eine Pandemie herrscht. Er gilt auch allgemein als Kenner der Geschichte der hiesigen Brauereien. Dass Tucher die Marke „Grüner Bier“ reanimierte, geht auf seine Initiative zurück. Ell ist ausgebildeter Biersommelier. © Foto:privat

Heißt im Umkehrschluss, dass das Bier früher jedes Mal anders schmeckte?

Genau. Aber, wie gesagt, die Herausforderung ist nach wie vor, die Erfahrung, die in einem Betrieb da ist, so zu nutzen, dass man auf veränderte Eigenschaften der Zutaten reagieren kann und das Bier der Brauerei XY am Ende einen Wiedererkennungswert hat. Wie der Hopfen und die Gerste beschaffen sind, hängt auch vom Wetter ab. Damit muss ein Bierbrauer umgehen können.

Warum setzte man in Nürnberg über Jahrhunderte hinweg vorwiegend auf untergäriges Bier?

Gute Frage, und die Antwort ist echt spannend. Als die Leute von der Hefe noch wenig wussten, musste man davon ausgehen, dass die obergärige Vergärung, die im Gegensatz zur untergärigen bei 18 bis 22 Grad abläuft, also bei Zimmertemperatur, sozusagen automatisch einsetzt. Allerdings hatte Nürnberg die Keller im Burgberg, in denen sich bei konstant niedrigeren Temperaturen eine untergärige Hefe entwickeln konnte. Damals gab es ja keine künstliche Kühlung. Deswegen waren die Nürnberger den Münchnern zum Beispiel mit den untergärigen Rotbieren weit voraus.

Wie stark war das Bier im Mittelalter?

Das hatte eineinhalb, höchstens zwei Prozent. Das war nur Dünnbier. Eben weil das mit der Vergärung so schwierig war. Das hatte Nährstoffe und Mineralien, aber kaum Alkohol. Daher kam auch der Spruch, Bier ist flüssiges Brot.

Viele Brauereien werben mit ihrer Tradition. Inwiefern kommen denn tatsächlich noch die alten Rezepturen zum Einsatz?

Wichtig für die Produktion ist eigentlich nur die Erfahrung aus den letzten 150 Jahren. Denn erst ab der Industrialisierung wurde tatsächlich dokumentiert, wie man zum Beispiel auf verschiedene Zusammensetzungen des Malzes reagiert hat. Außerdem hat man da bei uns erst mit der Hefe-Reinzucht begonnen. Das haben wir von den Engländern gelernt.

Echt jetzt? Wir Franken haben von den Engländern das Bierbrauern gelernt?

Ja, das will heute keiner mehr hören, aber das war so. Die Engländer haben die Dampfmaschinen erfunden und auch den Einsatz von Technik beim Bierbrauen.

Wie kam das Wissen zu uns?

Da gab’s eine berühmte Reise, 1833 war das. Da waren der Nürnberger Georg Lederer, Gabriel Sedlmayr von der Spaten-Brauerei in München und der Wiener Anton Dreher von der Brauerei Schwechat dabei. Die Drei waren Studienkollegen. Und denen sind in England die Augen rausgefallen, als sie gesehen haben, was die industriell herstellten, als wir im Hinterhof noch mit Löffeln rumgerührt haben. Deswegen war der Lederer ganz vorn dabei, als die Nürnberger begannen, ihr Bier im großen Stil zu exportieren. Die Engländer haben uns auch gezeigt, wie man mit einem Sacharometer den Zuckergehalt misst und welche Enzyme man mit welcher Temperatur rauskitzeln kann.

Was hatte es mit der Hefe-Reinzucht auf sich?

In den alten fränkischen Braubüchern wurde die Hefe nur "des Zeich" genannt und x-mal wiederverwendet. Erst Louis Pasteur erkannte, dass Hefe ein Lebewesen ist. So lange man das nicht wusste, konnte man sie nicht züchten. Eine Hefe-Reinzucht geht immer nur von ganz wenigen Stammzellen aus, so dass quasi immer eine frische Hefe rauskommt. Und es macht halt beim Brauen einen großen Unterschied, welche Hefe ich verwende und wie oft.

Wie erkenne ich denn als Laie, ob ein Bier – unabhängig von persönlichen Vorlieben – qualitativ gut oder schlecht gebraut ist?

Das ist leider ziemlich schwer. Was ich als Biersommelier von der reinen Lehre ausgehend als so genannten Fehlgeschmack empfinde, interpretiert ein Konsument möglicherweise als besonderen Charakter eines Bieres.

Wie schmeckt für Sie das perfekte Bier?

Ich sage unseren Gästen bei den Brauereiführungen immer: "Wenn ihr wissen wollt, wie ein Bier schmeckt, dürft ihr nicht wissen, was ihr trinkt." Wer ehrlich sein Lieblingsbier herausfinden will, sollte also eine Blindverkostung machen. Dabei muss er aber natürlich bei einer Biersorte bleiben, sonst vergleicht er Äpfel mit Birnen. Für mich geht jedenfalls nichts über ein gutes Helles.

Konkret: Woran erkenne ich ein gutes Helles?

Erstmal ist das Helle die Krone der Braukunst. Es darf nicht zur sehr ins Malzige gehen, nicht zur sehr ins Herbe, muss schön erfrischend bleiben, eine leuchtende Farbe haben und einen halbwegs stabilen Schaum. Und letztlich: Trinke mehrere und prüfe, wie es dir am nächsten Tag geht. Die Hauptsache ist und bleibt aber die Frische.

Ist das nicht selbstverständlich?

Leider nein. Wenn ein Kasten in der Sonne gelagert wurde, ist das Bier kaputt. Da kann ich es hinterher im Keller kühlen wie ich will. Andererseits muss der Wirt seine Zapfanlage im Griff haben, sonst wird auch die Halbe vom Faß nichts. Bier ist ein Naturprodukt, das muss man mit Respekt behandeln.

Wichtig beim Brauen ist fraglos das Wasser. Wie sieht es damit in Nürnberg aus?

Na ja, da waren und sind die Fürther im Vorteil. Obwohl die Nachbarstadt schon immer kleiner war, hatte sie früher den gleichen Bierausstoß wie Nürnberg. Und warum? Weil das Wasser weicher war.

Das müssen Sie erklären.

Wasser wird in Härtegraden gemessen. Und je härter es ist, desto mehr Mineralstoffe sind drin. Magnesium, Calcium und so weiter. Für ein Mineralwasser ist das gut, für ein Bier ist das aber schlecht, denn das Wasser soll ja die Ingredienzien von Hopfen und Malz aufnehmen. Wenn da schon viele andere Stoffe enthalten sind, funktioniert das nicht für alle Biersorten gleichermaßen gut.

Heißt das, der Härtegrad des Wassers bestimmt, welches Bier wo gebraut wird?

So konnte man das sagen, bis das Wasser technisch aufbereitet wurde. Deswegen war München bekannt für dunkle Biere und Dortmund für Exportbiere, weil die so hartes Wasser hatten. Nürnberg liegt da so im Mittel, Fürth, wie gesagt, verfügt über etwas weicheres Wasser. In Pilsen misst man zwei Grad deutscher Härte – eben die idealen Bedingungen zum Beispiel für ein Pils. Das ist übrigens genau der Wert, auf den wir, also Tucher, unser Wasser fürs Zweistädte-Sudhaus enthärten. Je weicher das Wasser, desto mehr kommt der Hopfen zur Geltung.

Das meiste Nürnberger Bier wird also mit Fürther Wasser gebraut?

Im Prinzip ja. Ausnahme bei uns ist nur das Rotbier. Sorry, liebe Nürnberger.

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