Existenzängste: Für Neuselsbrunner Anwohner geht nichts voran

8.6.2019, 05:57 Uhr
Existenzängste: Für Neuselsbrunner Anwohner geht nichts voran

© Foto: Roland Fengler

Als die Vonovia Immobilien Treuhand (VIT) im Februar dieses Jahres als Verwalterin der Neuselsbrunner Hochhäuser offiziell abgewählt worden war, spürte man sie deutlich, die Erleichterung, die den Bewohnern neue Hoffnung gab.

Seitdem im Oktober 2018 die Fassaden wegen Brandschutzmängeln – ob gerechtfertigt oder nicht, diese Frage wird in den kommenden Jahren die Justiz beschäftigen – entfernt worden waren, hatten viele von ihnen keine Nacht mehr durchgeschlafen. Zu groß waren die Existenzängste, zu unansehnlich die Schäden, die die Feuchtigkeit über den Winter in einigen der 390 betroffenen ungedämmten Wohnungen angerichtet hatte.

Das Gros der Eigentümer hatte sich damals zügig zusammen einen Anwalt genommen, gemeinsam will man um Schadenersatz kämpfen. Die Kanzlei Kratzer & Kollegen war für sie alle zunächst die Heilsbringerin, die neue Kraft in die Runde brachte, indem sie versprach, die VIT bis auf den letzten Cent für die entstandenen Kosten aufkommen lassen zu wollen.

Erster Erfolg: Per einstweiliger Verfügung des Gerichts, das der Auffassung ist, dass die VIT wegen Fehlern im Wahlverfahren nie rechtmäßiger Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) gewesen war, konnte man eine außerordentliche Sitzung einberufen, die VIT "endlich" abwählen und optimistisch nach vorne blicken.

Querulanten und andere Querelen

Und heute? "Ist eigentlich alles schlimmer als zuvor", sagt Bernd Kretschmer. Er wohnt im 20. Stockwerk der Hausnummer 53. In seinem Schlafzimmer bröckelt der Putz von der Wand, auch die Tapete im Wohnzimmer blättert bereits ab, die Fliesen im Bad sind gesprungen. Aber das ist es nicht, was Kretschmer – obwohl er nicht weiß, wie er die Reparaturen bezahlen soll – umtreibt.

Als "Querulant" bezeichne man ihn und einige andere jetzt. Sie seien der Grund, weshalb eine Gerichtsverhandlung, die vergangenen Donnerstag hätte stattfinden sollen, abgesagt werden musste, weil er seine Mitbewohner animiert haben soll, möglichst zahlreich im Sitzungssaal zu erscheinen.

Existenzängste: Für Neuselsbrunner Anwohner geht nichts voran

© Foto: Roland Fengler

Tatsächlich wurde der zuständigen Richterin am Dienstagabend von verschiedenen Seiten berichtet, dass mehrere Hundert Eigentümer bei der Verhandlung dabei sein wollen. "Dafür war der Sitzungssaal eindeutig zu klein", sagt Justizsprecher Friedrich Weitner. Man habe sich deshalb entschieden, die Verhandlung zu verschieben. "Wir suchen nun einen Raum außerhalb des Gerichtsgebäudes, der genug Platz bietet, und verhandeln dann dort", so Weitner.

Zum Hintergrund: Das Amtsgericht wollte am Donnerstag die Frage verhandeln, ob der Beschluss der WEG im Oktober 2018, mit dem die Eigentümer dem sofortigen – und laut VIT und Stadt Nürnberg notwendigen – Fassadenabriss zustimmten, überhaupt Rechtskraft hatte. Denn dieser wurde schließlich in einer Versammlung gefasst, die ein nicht ordentlich bestellter Verwalter einberufen hatte.

Es geht also erst einmal nur darum, diesen Beschluss der WEG anzufechten. Beklagter ist damit die WEG selbst, nicht etwa nur die VIT. Sollte das Gericht der Anfechtungsklage stattgeben, bildet dieses Urteil erst einmal nur die Grundlage dafür, den weiteren Klageweg gegen die VIT beschreiten zu können. Was kompliziert klingt, ist es auch – und vielleicht deshalb beginnt hier auch eine Reihe von internen Missverständnissen unter den Eigentümern.

1000 Euro Honorar

"Ich verstehe nicht, warum ich jetzt Beklagter bin", sagt Kretschmer, der zu den zehn Tabletten, die er täglich wegen eines Herzfehlers einnehmen muss, nun auch noch zu einer Packung Antidepressiva greift. Er habe sich zusammen mit 300 anderen doch für Klaus Kratzer entschieden. Die 1000 Euro "pauschales Honorar", wie er aus einem Schreiben zitiert, habe er – wie auch alle 300 anderen — längst überwiesen.

Vor Gericht vertritt die Kanzlei offiziell nun aber nur 16 Eigentümer – und klagt damit gegen alle anderen. Ein "ganz normales Vorgehen", wie Rechtsanwalt Klaus Kratzer erklärt, "um Gerichtskosten zu sparen".

"Eigentlich wollten wir die Klage Mandant für Mandant erweitern, die Richterin war aber ebenfalls der Auffassung, das sei nicht notwendig und verursache nur Kosten", so der Anwalt, der als Ansprechpartner für die Neuselsbrunner fungiert, sich vor Gericht aber wegen eines noch bestehenden Vertretungsverbots von einem Kollegen vertreten lässt (wir berichteten). "In der Sache fechten wir den Beschluss für alle Eigentümer an, egal wer auf welcher Seite steht", so Kratzer.

Dennoch können mehrere der 300 Mandanten das Vorgehen nicht nachvollziehen. "Vielleicht auch, weil uns keiner was erklärt", sagt Kretschmer. Man fühle sich gerade wieder alleingelassen.

Existenzängste: Für Neuselsbrunner Anwohner geht nichts voran

© Foto: Roland Fengler

Immerhin: Momentan plagen ihn (noch) keine Geldsorgen. Er hat das Angebot der Stadt Nürnberg, die Raten für einen Kredit zu übernehmen, bis geklärt ist, wer für die Kosten aufkommen muss, angenommen. Andere Eigentümer haben die 48.500 Euro, die jeder von ihnen berappen muss, sofort aus eigener Tasche bezahlt, wieder andere stottern Kreditraten direkt ab. Insgesamt belaufen sich die Kosten bislang auf rund 20 Millionen Euro. "Wenn die Vonovia das alles hier nicht bezahlen muss, dann muss ich die Wohnung wohl doch noch verkaufen, weil ich die Raten an die Stadt nicht zurückzahlen kann", so Kretschmer.

Baubeginn noch im Juni

Der WEG–Verwaltungsbeirat Gerhard Berr weiß um die Sorgen seiner Mitbewohner und auch um die internen Differenzen, die der Gemeinschaft zu schaffen machen. Er war derjenige, der die Kanzlei Kratzer ins Boot geholt hatte, und ist von der Entscheidung nach wie vor überzeugt. "Aber auch ich werde deshalb angegangen", sagt Berr. "Ich werfe aber eher anderen vor, dass sie alles verzögern und uns massive und unnötige Zeitprobleme bescheren." Er wünsche sich, dass alle zusammen die gemeinsamen Ziele verfolgen.

Einen Zeitplan hat man in Neuselsbrunn nämlich bereits: "Wir haben die Baugenehmigungen und die notwendigen Geldmittel", so Berr. Rund zehn Prozent der Kosten decken Zuschüsse und Fördermittel des Freistaates. Am 17. Juni soll der Aufbau der neuen Fassade beginnen, die am Ende – zumindest optisch – ganz genauso aussehen wird wie die, die vor nunmehr acht Monaten abgerissen worden war.

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