Freude für alle

Fall 13: Frauenverein kämpft ums Überleben

27.11.2021, 13:45 Uhr
Stop, keine Gewalt gegen Frauen: In den Kursen des Vereins Aura lernen Frauen und Mädchen, sich verbal und mit Körpersprache zu behaupten.

© Stefan Hippel Stop, keine Gewalt gegen Frauen: In den Kursen des Vereins Aura lernen Frauen und Mädchen, sich verbal und mit Körpersprache zu behaupten.

Der Kurs liegt 30 Jahre zurück, doch Karin Gleixner erinnert sich bis heute daran. Nach zwei Schwangerschaften habe sie sich nachts eine Weile lang unsicher gefühlt, sagt die Nürnbergerin. "Doch durch das Angebot von Aura fühlte ich mich sofort gestärkt." Gleixner war so angetan von dem Effekt, dass sie später ihre beiden Töchter im Grundschulalter an dem Selbstbehauptungstraining teilnehmen ließ. Auch als Erwachsene profitieren sie noch davon, sagt die Mutter. "Sie erzählen mir immer wieder, dass sie in ihrem Freundeskreis niemanden sonst kennen, der abends so angstfrei unterwegs ist."

Die eigenen Stärken zu erfahren, sich selbst zu behaupten und, wenn nötig, auch verteidigen zu können: Das ist das Ziel der Kurse für Mädchen und Frauen, die Aura seit über drei Jahrzehnten anbietet. "Jedes Mädchen, jede Frau soll lernen können, sich zu schützen, bevor Gewalt passiert", sagt Aura-Mitarbeiterin Katha Schulz. Denn das ist leider noch immer nötig. Verschiedene Formen von Gewalt sind für viele alltäglich, 60 Prozent der erwachsenen Teilnehmerinnen haben laut Schulz Gewalt erlebt. Sie sollen den öffentlichen Raum ohne Angst nutzen und über ihr Leben selbst bestimmen können.

"Wir machen keinen Kampfsport"

Die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, Grenzen zu setzen, lautstark Nein zu sagen: Das alles sind Themen im Training. Auf dem Programm stehen zwar auch Selbstverteidigungstechniken, doch sollen diese möglichst gar nicht erst angewendet werden, betont Schulz. "Wir machen keinen Kampfsport, sondern arbeiten mit einem ganzheitlichen pädagogischen Konzept", so die Sozialpädagogin. "Mir hat das unwahrscheinlich viel gebracht", sagt auch eine 42-Jährige, die sich ehrenamtlich für den Verein engagiert. Sie fühle sich nicht mehr so hilflos, "weil ich weiß, was ich in bestimmten Situationen tun kann."

So wie ihr geht es vielen, das Gästebuch ist voll von positiven Rückmeldungen der Teilnehmerinnen, auch die Nachfrage nach den Kursen ist groß. Dennoch blickt das kleine Team voller Sorgen in die Zukunft. "Wir bangen um unsere Existenz", sagt Schulz. "Die Pandemie könnte für uns das Aus bedeuten."

Schon vor Corona war die finanzielle Grundlage des Vereins mehr als knapp bemessen. Rund 65.000 Euro pro Jahr zahlt die Stadt, 13.000 Euro kommen von der Regierung von Mittelfranken. Doch das Budget deckt nicht einmal die Fixkosten für Raummiete und die Gehälter der drei Teilzeitmitarbeiterinnen. Mitgliedsbeiträge, Projektmittel, Bußgelder, vor allem aber die Kursgebühren schließen die Lücke.

Doch gerade die Einnahmen aus den Teilnahmegebühren fehlen jetzt zu einem großen Teil. Monatelang konnte Aura überhaupt keine Kurse anbieten, seit dem Neustart mussten die Gruppen wegen der Abstandsregeln verkleinert werden. "Normalerweise nehmen wir mit unseren Kursen rund 30.000 Euro im Jahr ein", sagt Katha Schulz. "Doch in diesem Jahr kommen wir gerade mal auf knapp 10.000 Euro." Schon im vergangenen Jahr konnte der Verein nur dank ungewöhnlich vieler Spenden seine Arbeit fortsetzen.

Dabei, so finden die Organisatorinnen des Angebotes, müssten die Kurse eigentlich sogar für alle Frauen kostenlos sein. Es gehe um Prävention betont Schulz. Die Pflicht, entsprechende Angebote zur Verfügung zu stellen, ist in der Istanbul-Konvention festgeschrieben, die auch Deutschland unterzeichnet hat.

Dabei handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag des Europarates, er verpflichtet die Mitgliedstaaten, gegen alle Formen von Gewalt gegen Frauen, einschließlich häuslicher Gewalt, vorzugehen und Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Prävention gehört ausdrücklich dazu.


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Doch noch gibt es sie auch in Nürnberg nur, weil sich Frauen ehrenamtlich dafür engagieren. "Es wird nicht genug Geld in die Primärprävention investiert", so Schulz. Deshalb will auch "Freude für alle" für Unterstützung sorgen. Mit 50 Euro lässt sich zum Beispiel ein Einzelcoaching für eine akut von Gewalt betroffene Frau finanzieren. 70 Euro ermöglichen es Mädchen, deren Familien sich das sonst nicht leisten können, einen Kurs zu besuchen. 45 Euro reichen, um einer Frau oder einem Mädchen mit Behinderung eine Assistenz für die Kursteilnahme zu vermitteln.

Einen Wunsch, den das Aura-Team immer wieder hört, wird freilich auch "Freude für alle" nicht erfüllen können. Der Kurs sei toll gewesen, aber es sei ungerecht, dass Jungs den nicht nötig hätten, schrieb neulich ein Mädchen. "Eigentlich will ich, dass auch wir das nicht brauchen."

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