Fasten in Corona-Zeiten: "Das wird ein trauriger Ramadan"

23.4.2020, 10:58 Uhr
Fasten in Corona-Zeiten:

© Günter Distler, NN

Gemeinsames Abendessen mit mehreren Hundert oder gar Tausend Teilnehmern, rappelvolle Moscheen und ein rauschendes "Nachtleben" mit Festen, Konzerten und ähnlichen Veranstaltungen, die die Menschen Abend für Abend in Scharen aus ihren Häusern locken: In muslimischen Ländern ist der Fastenmonat Ramadan, der heuer am Freitag beginnt, nicht nur eine Zeit des Verzichts und der Entbehrung, sondern zugleich auch von viel Geselligkeit geprägt. Selbst wer dem Rummel in der Öffentlichkeit nicht so viel abgewinnen kann, trifft sich beim allabendlichen Fastenbrechen gern mit Verwandten und Freunden.

Auch in Nürnberg bringt die Fastenzeit die Menschen traditionell einander näher: Allein in der Eyüp-Sultan-Moschee etwa wurden im vergangenen Jahr Abend für Abend 1200 Essen an Bedürftige ausgeteilt. In dem eigens dafür angemieteten Festzelt tummelten sich aber auch nach dem Fastenbrechen noch Hunderte Männer, Frauen und Kinder, die bei Tee, Gebäck und munterem Plausch dort oft bis in tief in die Nacht saßen. Besonders freuen konnte sich der Imam: Bis zu 1000 Gläubige füllten beim allabendlichen Ramadan-Gebet Nordbayerns größte Moschee.

Wenn Süleyman Söyal dort aktuell zum Gebetsruf ansetzt, folgt ihm indes nur noch einer: ein Kameramann, der den einsamen islamischen Geistlichen bei der anschließenden Freitagspredigt filmt, die es live auf Facebook zu sehen gibt. Ansonsten ist die Moschee, wie gelegentliche Kameraschwenks durch den mit blauen und türkisfarbenen Fliesen sowie kunstvollen Kalligraphien verzierten Gebetssaal zeigen, menschenleer. Wie alle anderen Moscheen in Deutschland – und auch den meisten muslimischen Ländern – ist das Gotteshaus in der Kurfürstenstraße bereits seit Anfang März geschlossen.

Und dürfte es wohl auch – allen Lockerungsdiskussionen zum Trotz – auf absehbare Zeit bleiben. "Natürlich wäre es schön, wenn in unserer Moschee wieder Gebete stattfinden könnten", sagt Hasan Aslan. Allzu eilig hat es der Gemeindevorsitzende der Eyüp-Sultan-Moschee damit allerdings nicht, wie er betont. Aslan plädiert für eine vorsichtige, schrittweise Öffnung in den kommenden Wochen – falls es der Verlauf der Pandemie denn zulässt. "Gesundheit ist wichtiger als alles andere", sagt Aslan und spricht dabei aus eigener, schmerzlicher Erfahrung: Wegen einer Corona-Infektion lag er im März zehn Tage lang im Krankenhaus und kämpfte ums Überleben.

In der aktuellen Situation hält er abendliche Ramadan-Gebete für genauso undenkbar wie eine Wiederaufnahme der seit Wochen eingestellten Freitagsgebete. "Da kommen je nach Jahreszeit ohnehin schon bis zu 1500 Menschen", sagt Aslan und vermutet, dass der Andrang nach der wochenlangen Schließung der Moscheen und vor dem Hintergrund des Fastenmonats noch mal größer ausfallen könnte. "Bei so vielen Menschen könnten wir unmöglich sicherstellen, dass auch alle den Sicherheitsabstand einhalten."

Immerhin auf die nächtlichen Koran-Lesungen, die während des Ramadans ebenfalls üblich sind, müssen die Gemeindemitglieder nicht verzichten, berichtet Hasan Aslan. Vom heutigen Donnerstagabend bis zum Ende des Fastenmonat werden die Imame wie gewohnt den kompletten Koran in insgesamt 30 Teilen rezitieren. Übertragen wird das Ganze dann – ebenso wie bereits die Predigten der ausgefallenen Freitagsgebete – per Live-Stream via Facebook. "Wir haben zum Glück einige fähige Mitglieder in unseren Reihen, die das gut hinkriegen", sagt Aslan.

Dank sozialer Medien und Technik leistet die Gemeinde ihren Mitgliedern aber nicht nur spirituellen Beistand, sondern – dort, wo sie nötig ist – auch konkrete Hilfe im Alltag: Nach Einführung der Ausgangsbeschränkungen habe die Jugendabteilung der Moschee mehr als 300 Gemeindemitglieder im Rentenalter kontaktiert und angefragt, wer auf Hilfe angewiesen sei. Mehr als 100 von ihnen greifen die jungen Ehrenamtlichen seither bei Einkäufen oder ähnlichen Erledigungen regelmäßig unter die Arme.


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Auch die religiösen Wochenend-Kurse für bis zu 450 Kinder und Jugendliche konnten dank WhatsApp, Skype und Co. kurzfristig ins Internet verlegt werden, sagt Hasan Aslan, der sich freut, dass das normale Gemeindeleben so wenigstens nicht völlig zum Erliegen kommt wie in anderen Moscheen. Daran, dass für ihn und seine Glaubensgeschwister eine Fastenzeit beginnt, wie es sie noch nie gab, ändert aber auch dies nichts: "Es wird ein trauriger Ramadan."


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