Filmreife Flucht aus der Nürnberger JVA

19.5.2009, 00:00 Uhr
Die blaue Häftlingsjacke hängt immer noch im Stacheldraht des JVA-Dachs. Trotz Sprung in die Tiefe blieb der Flüchtende fast unverletzt.

© Horst Linke Die blaue Häftlingsjacke hängt immer noch im Stacheldraht des JVA-Dachs. Trotz Sprung in die Tiefe blieb der Flüchtende fast unverletzt.

Sonntagmorgen, 9 Uhr. Die Insassen der Untersuchungshaftanstalt haben Freistunde, vertreten sich im Mittelhof die Beine. Ein Häftling jedoch - ein Mann «von muskulöser, kompakter Statur« - verdrückt sich an eine Stelle, die der Wachmann nur schlecht einsehen kann. Er spreizt sich so geschickt in ein Eck des Gebäudes, dass es ihm gelingt, die glatten Wände hochzuklettern. Fenstersimse helfen dabei, zwölf Meter zu überwinden.

Unbemerkt und «in Manier eines Freeclimbers«, wie JVA-Leiter Hans Welzel im Nachhinein sagen wird, gelangt er aufs Dach. Balanciert bis zum Ende des südlichen Gebäudeteils, der von einem Stacheldrahtzaun eingefasst ist.

Über messerscharfen Zaun

Der Mann zieht sein blaues Häftlingsoberteil aus, wirft es auf den messerscharfen Zaun, quält sich darüber und springt mehrere Meter in die Tiefe: auf einen Vorbau, auf die nächsten Zaunrollen. Doch er trägt nur wenige Schnittwunden davon und kann weiterlaufen, über das Flachdach jenes Hauses, in dem der Ermittlungsrichter arbeitet.

Eine Frau, die in der nahegelegenen Bärenschanzstraße wohnt, beobachtet alles und ruft die Polizei. Doch der Mann, der mit seiner Abschiebung nach Albanien rechnen muss, weil dort wegen eines Tötungsdelikts gegen ihn ermittelt wird, wagt auch noch den letzten Sprung, jenen in die Freiheit: Er springt sieben Meter tief, bleibt so gut wie unverletzt und rennt davon.

Fahndung mit Hubschraubern

Die Polizei fahndet nach ihm, auch mit Hubschraubern. Doch es sind Beamte der bayerischen Bereitschaftspolizei auf ihrem Weg nach Fürth, zum Spiel der Greuther gegen Mainz, die den Albaner in der blauen Häftlingshose sehen, als er sich am Frankenschnellweg im Gebüsch versteckt.

Sie halten an, woraufhin er davonsprintet, in Richtung Wolgemutstraße. Die Polizisten geben Warnschüsse ab, ohne Erfolg, wie Polizeisprecher Peter Schnellinger sagt. Die Beamten halten schließlich einen BMW an, steigen ein, der Mann am Steuer gibt Gas. Nach Hunderten von Metern gelingt es, den Flüchtigen zu stellen.

"Nie für möglich gehalten"

«Er leistete heftigen Widerstand«, berichtet JVA-Leiter Welzel einen Tag danach, erleichtert über den Erfolg der Beamten, dankbar für das rasche Handeln der Anwohnerin, die die Polizei alarmierte. «So eine Flucht hätten wir nie für möglich gehalten«, sagt er und spricht von einer unglücklichen Verkettung der Umstände, so dass der Fluchtversuch gelingen konnte: Nicht nur, dass das Aufsichtspersonal nicht sah, wie der Mann die Hofwand zwölf Meter hochkletterte.

Obendrein löste eine Kamera, die das Dach überwachte, keinen Alarm aus. «Wir wissen noch nicht, warum«, sagt Welzel. Womöglich habe es an der ungünstigen Sonneneinstrahlung gelegen. Das wird derzeit untersucht.

Konsequenzen wird es in jedem Fall geben: Welzel kündigt «personelle Verstärkung« des Wachpersonals während des Hofgangs an, erwägt aber auch eine «zusätzliche bauliche Absicherung«. Sprich: Auch wer klettern und springen kann wie «Spiderman«, darf keine Chance haben, ins Freie zu gelangen. «Das darf sich nicht wiederholen.«

Verwandte Themen