Im Streitgespräch mit der Umweltreferentin:

"Fridays for Future" Nürnberg kritisiert CO2-Fastenchallenge: "So funktioniert es nicht!"

5.5.2021, 14:10 Uhr
Das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, ist ein zentrales Anliegen von "Fridays for Future".

© Georg Wendt, dpa Das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, ist ein zentrales Anliegen von "Fridays for Future".

80.000 Seitenaufrufe auf www.co2challenge.net: Die Metropolregion Nürnberg schwärmt von einem "absoluten Rekord", und auch die Nürnberger Umweltreferentin Britta Walthelm bezeichnet die diesjährige Fastenaktion der kommunalen Klimaschutzmanager aus der Metropolregion als "großen Erfolg". "Fridays for Future" Nürnberg aber hält nicht viel davon, der Klimakrise allein mit individuellen Verhaltensänderungen wie dem Verzicht auf Butter zu begegnen, wie der Schüler Krabat Ernst deutlich macht.

Herr Ernst, "Fridays for Future" Nürnberg hat die CO2-Challenge, genauer gesagt den Aufruf von Oberbürgermeister Marcus König dazu, als "absurd" kritisiert. Warum?

Krabat Ernst (16) ist Schüler am Nürnberger Dürer-Gymnasium und seit Anfang 2019 bei Fridays for Future aktiv.

Krabat Ernst (16) ist Schüler am Nürnberger Dürer-Gymnasium und seit Anfang 2019 bei Fridays for Future aktiv. © Privat

Krabat Ernst: Problematisch finden wir, dass die Stadt sich zwar zum 1,5-Grad-Ziel bekennt, es aber weit verfehlen wird. Gegen die CO2-Challenge wäre nichts einzuwenden, wenn die Maßnahmen der Stadt stimmen würden. Aber dies ist nicht gegeben. Uns kommt es absurd vor, dass ein aus der Zeit gefallenes Projekt wie der Frankenschnellweg-Ausbau durchgeboxt wird und gleichzeitig die einzelnen Bürger*innen dafür sorgen sollen, dass das 1,5-Grad-Ziel eingehalten wird. Das ist ein Abwälzen von Verantwortung auf Einzelpersonen. Man gibt den Menschen das Gefühl: So können wir das Klima retten! Aber so funktioniert es nicht. Und außerdem: Es gibt Inseln, die wegen des Klimawandels versinken werden. Die Leute dort können sich nicht einfach woanders ein Haus bauen, sondern haben dann nichts mehr. Wenn wir in deren Situation wären, würden wir dann auch noch so eine lustige Challenge daraus machen, ob wir es schaffen, nicht abzusaufen?

Frau Walthelm, können Sie das nachvollziehen?

Britta Walthelm (40) ist seit April 2020 die Nürnberger Referentin für Umwelt und Gesundheit. Zuvor war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Stadtratsfraktion.

Britta Walthelm (40) ist seit April 2020 die Nürnberger Referentin für Umwelt und Gesundheit. Zuvor war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Stadtratsfraktion. © Edgar Pfrogner

Britta Walthelm: Im Herzen teile ich die Ziele von "Fridays for Future". Die Umsetzung aber ist nicht leicht. Es ist mir sehr wichtig, dass wir alle Potenziale nutzen, die wir als Kommune haben. Aber ich muss auch deutlich sagen, dass uns die Rahmenbedingungen fehlen. Die gesetzlichen Vorgaben machen Klimaschutz und Energiewende teilweise unattraktiv, kompliziert und bürokratisch.

"Man muss an die systemischen Ursachen ran"

Und speziell die Kritik an der CO2-Challenge?

Walthelm: Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, dann erfordert das auch ein Umdenken der einzelnen Personen, deswegen ist die CO2-Challenge schon wichtig. Ich stimme aber total zu, man darf es nicht aufs Individuum abwälzen. Das alleine hat zu wenig Effekt. Außerdem besteht die Gefahr, dass wir die Menschen damit überfordern. Man muss an die systemischen Ursachen ran.


Nürnbergs CO2-Challenge: Die etwas andere Idee zur Fastenzeit


Wie zum Beispiel den Frankenschnellweg-Ausbau, den Herr Ernst angesprochen hat?

Walthelm: Beim Frankenschnellweg gibt es einen Stadtratsbeschluss, und die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat spiegeln wider, wie die Menschen gewählt haben. Ich finde ich es gut, wenn "Fridays for Future" dabei hilft, Klimaschutzthemen breiter in der Gesellschaft zu verankern. Aber auch wir Politiker brauchen die Zivilgesellschaft, die uns ein bisschen vor sich her treibt, etwa mit dem Klimacamp vor dem Rathaus. Wir brauchen noch mehr Druck von außen.

"Es ist die Aufgabe der Politik, Mehrheiten zu schaffen"

Ernst: Da würde ich widersprechen. Es ist die Aufgabe der Politik, Mehrheiten für etwas zu schaffen, was faktisch notwendig ist.

Walthelm: Klar ist es auch Aufgabe der Politik, unbequeme Sachen durchzubringen. Wir machen das ja auch, zum Beispiel, wenn Parkplätze wegfallen müssen. Da gibt es immer harte Diskussionen mit den Anwohner*innen.

Ernst: Außerdem finde ich es eine schwierige Argumentation, zu sagen, dass zum Beispiel alle SPD-Wähler für den Frankenschnellweg gestimmt haben. Vielleicht fanden sie ja einfach deren Sozialpolitik so cool und haben deswegen für die SPD gestimmt.

Walthelm: Das stimmt natürlich. Viele Menschen sind auch nicht zufrieden damit, nur alle sechs Jahre ihr Kreuz abzugeben. Bürgerbeteiligung ist deshalb bei allen Projekten mittlerweile Standard. Wir überlegen im Moment auch, wie wir den Klimaschutz noch stärker als Beteiligungsprozess aufsetzen können.

Sie stimmen also überein, dass die Verantwortung für die Klimakrise nicht allein auf Einzelpersonen abgewälzt werden darf. Was kann eine Stadt wie Nürnberg tun, damit genau das nicht passiert?

Ernst: Tatsächlich haben wir als "Fridays for Future" ja gemeinsam mit Wissenschaftlern Forderungen an die Stadt aufgestellt. Was den Autoverkehr angeht, hatten wir ursprünglich bis 2020 eine autofreie Innenstadt gefordert. Das ist so etwas, was die Kommune umsetzen könnte.

Haben es andere Städte leichter?

Walthelm: Als Kommune müssen wir es den Menschen erleichtern, sich klimagerecht zu verhalten, etwa indem wir das Radwegenetz ausbauen und den ÖPNV stärken. Ein anderer Punkt ist unser eigener Wirkungskreis: Solaranlagen auf unseren städtischen Dächern oder auch die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED. Wenn wir größere Neubauprojekte haben, können wir diese von Anfang an mit einer klimaneutralen Wärmeversorgung planen. Die Stadt Nürnberg macht da schon viel, aber das Tempo ist zu langsam. Da haben es andere Städte wie München oder Erlangen leichter, die eine bessere Haushaltssituation haben. Deswegen bin ich gespannt, was nach der Bundestagswahl passiert. Für uns ist es wichtig, dass die Rahmenbedingungen für die Kommunen verbessert werden.

Ernst: Ob sich das nach der kommenden Bundestagswahl ändert, da sind wir vermutlich unterschiedlicher Meinung. Wie man zum Beispiel in Hessen mit dem Dannenröder Forst oder auch in Baden-Württemberg gesehen hat, muss eine grüne Regierungsbeteiligung nicht automatisch einen ausreichenden Klimaschutz bedeuten.

Walthelm: Der Unterschied zwischen mir und Herrn Ernst ist, dass ich auf dem Stuhl sitze, der es umsetzen muss. Und darauf hinweise, welche Schwierigkeiten und Hürden es gibt. Deswegen habe ich gesagt: Es wird schon viel gemacht, aber nicht schnell genug.

Frankenschnellweg-Ausbau "eine Bankrotterklärung"

Was würden Sie anders machen, wenn Sie der Nürnberger Umweltreferent wären, Herr Ernst?

Ernst: Sicherlich liegen die großen Hebel nicht in den Kommunen. Es gibt aber durchaus Dinge, die man angehen kann, wie eben unsere Forderungen speziell für Nürnberg. Und eben der Frankenschnellweg-Ausbau, der wäre eine Bankrotterklärung an den Klimaschutz: So ein großes Individualverkehrsprojekt anzugehen, das erst fertig wird, wenn wir längst den Autoverkehr drastisch reduziert haben müssen, wie auch das Umweltbundesamt belegt. Die Stadt könnte darüber in einem Bürger*innenentscheid entscheiden lassen. Da sind Spielräume da. Und generell könnte die Stadt stärker auf die drastischen Ausmaße der Klimakrise hinweisen, ohne die Verantwortung auf Individuen abzuschieben wie mit der CO2-Challenge.


Rund 250 FFF-Demonstranten protestierten gegen den Ausbau des Frankenschnellwegs


Walthelm: Nur zur Klarstellung: Der Frankenschnellweg-Ausbau liegt nicht in meinem Geschäftsbereich.

Warum setzt die Stadt die Forderungen von "Fridays for Future" nicht einfach um, Frau Walthelm? Die Frage stellt sich doch auch jenseits des Frankenschnellwegs...

Walthelm: Ich denke, wir sind schon bereit, die Forderungen umsetzen. Es fällt uns aber schwer, diese Zeitschiene einzuhalten, unter den jetzigen Rahmenbedingungen.

Aber verzeiht es die Klimakrise, wenn wir uns zu viel Zeit lassen?

Walthelm: Klar geht es auch um die Zeit. Für die Stadtverwaltung selbst haben wir uns 2035 als Ziel gesetzt, um klimaneutral zu werden. Das muss man unterscheiden von der gesamten Stadt Nürnberg, die wir ja letztendlich alle sind. Dort wollen wir wie schon gesagt bis 2050 klimaneutral sein. Wir machen alles, was geht.

Fehlt der politische Wille?

Ernst: Was geht, ist eine Definitionssache: Was ist die Politik bereit zu tun, setzt sie an den richtigen Stellen an? Würden wir das CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel gerecht auf alle Länder der Welt verteilen, müssten wir schon 2026 deutschlandweit klimaneutral sein. Vor zehn Jahren wäre das noch möglich gewesen, jetzt ist es nicht mehr möglich. Deshalb liegt unseren Forderungen auf bundesweiter Ebene ein 1,75-Grad-Ziel zugrunde, wofür wir bis 2035 klimaneutral sein müssten – auch in Nürnberg, und nicht nur innerhalb der Stadtverwaltung. Unter genau diesem Aspekt wurden die Forderungen geschrieben, dass es noch realistisch sein kann. Deswegen gehen wir sehr stark davon aus, dass, wenn der politische Wille dazu da wäre, unsere Forderungen umsetzbar wären.

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