Viele Vorfälle im Sommer

Gab es dieses Jahr mehr Exhibitionisten in Nürnberg?

15.9.2021, 06:03 Uhr
Die meisten Frauen werden von exhibitionistischen Attacken im Alltag völlig überrascht.

© imago images/biky, NNZ Die meisten Frauen werden von exhibitionistischen Attacken im Alltag völlig überrascht.

Eine Frau geht an einem schönen Nachmittag durch den Park. Ein Mann kommt ihr entgegen. Er spricht sie an, entblößt sich und beginnt zu onanieren. Anschließend flüchtet er und lässt die verstörte Frau zurück. So in etwa spielten sich in den vergangenen Wochen mehrere Vorfälle exhibitionistischer Art in Nürnberg ab. Allein im Juli wurden fünf solcher Fälle bei der Polizei gemeldet, auch im August gab es Anzeigen. Vor wenigen Tagen entblößte sich am Wöhrder See ein Mann gleich zwei Mal. Viele Täter können unerkannt entkommen.

Was Exhibitionismus genau ist, dürfte vielen Menschen nicht bekannt sein. Der Duden definiert Exhibitionismus folgendermaßen: Es ist die ,,krankhafte, auf sexuellen Lustgewinn gerichtete Neigung zur Entblößung der Geschlechtsteile in Gegenwart fremder Personen, meist des anderen Geschlechts". In den überwiegenden Fällen handelt es sich um männliche Täter.

"Störung der Sexualpräferenz"

In der "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme" (ICD) wird diese Neigung der Rubrik ,,Störungen der Sexualpräferenz" zugeordnet. Exhibitionismus ist kein Kavaliersdelikt und wird dementsprechend auch behandelt. Michael Petzold, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken, erklärt: ,,Exhibitionismus ist eine Straftat und wird mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft".

Petzold vermutet, dass für das in den letzten Wochen und Monaten vermehrte Auftreten von Exhibitionisten in Nürnberg vor allem das Wetter ursächlich ist: ,,Die Zunahme ist saisonal bedingt. Im Frühjahr und Sommer häufen sich die Fälle". Antje Gabriels-Gorsolke, Pressesprecherin und Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, kann zumindest keine ungewöhnliche Häufung feststellen: ,,Im Verhältnis zu anderen Straftaten sind es relativ wenig Fälle, aber es gibt schon Verklumpungen".

Die wenigsten suchen Hilfe

Viele Frauen kennen Belästigungen auf der Straße, auch Exhibitionismus ist keine Seltenheit, die Frauen machen im Laufe ihres Lebens durchschnittlich mindestens eine solche Erfahrung. Die wenigsten aber suchen sich Hilfe. Sabine Böhm, Geschäftsführerin und Soziologin der Frauenberatung Nürnberg, erzählt, dass sich nur sehr wenige Frauen nach exhibitionistischen Vorfällen überhaupt an die Beratung wenden.


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Auch in den letzten Wochen seien keine Opfer auf die Organisation zugegangen, auch wenn es sie vielleicht verschreckt oder auch verstört haben könnte. ,,Frauen sind zögerlich, weil sie oft das Gefühl haben, damit zurecht kommen zu müssen", erklärt Böhm. Diese Reaktion sei eine Art Selbstschutz, um die Kontrolle, die die Betroffenen in diesem Moment verloren haben, wiederzuerlangen.

Jeder Mensch geht mit exhibitionistischen Vorfällen anders um. Die Begegnung zu verharmlosen kann funktionieren, manchmal führt sie aber auch zu tiefsitzenden, seelischen Problemen. Es können dadurch auch frühere Erlebnisse sexueller Gewalt oder eben exhibitionistischer Übergriffe in einer betroffenen Person wieder hochkommen. "Gewalt ist nicht immer nur körperlich brutal, es kann auch eine massive psychische Grenzverletzung sein", erklärt Böhm.

"In dem Moment war es absurd"

Die Soziologin war selbst schon einmal von einem exhibitionistischen Angriff betroffen und kann aus eigener Erfahrung berichten: "In dem Moment war es absurd und wir haben uns hinterher darüber lustig gemacht. Wir wollten das ganz schnell weg haben. Die wirklichen Auswirkungen kamen erst ein paar Tage später und im Nachhinein war es gar nicht mehr lustig". Sie beschreibt es als einen Moment der Machtlosigkeit, auch wenn die Opfer schnell aus der Situation entfliehen konnten. Dieses Ohnmachtsgefühl kann sich dann auf den Alltag auswirken.

Deshalb ist der erste Schritt, sich die Situation erst einmal zuzugestehen und zu realisieren, was überhaupt passiert ist. Und man kann sich in gewissen Grenzen vorbereiten, auch wenn das nicht leicht ist. Böhm empfiehlt Frauen, sich die Existenz von exhibitionistischen Angriffen ins Bewusstsein zu rufen. Jeder könne schon einmal gedanklich durchgehen, wie eine mögliche Reaktion in einer solchen Stresssituation ablaufen könnte. "Es ist etwas, was einen herausfordert und man soll so reagieren, wie man sich in dieser Situation am sichersten fühlt. Egal ob man weg läuft, oder den Täter anschreit, es ist okay. Auf gar keinen Fall soll man sich hinterher die Schuld geben, dass man etwas hätte anders machen können", erklärt Böhm und hebt hervor, dass eine betroffene Person immer die Polizei verständigen sollte, egal wie viel Zeit schon vergangen ist.


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Auch Eltern können ihre Kinder, je nach Alter und Reife, schon im Vorfeld aufklären, dass es Exhibitionismus gibt und die Problematik dahinter erklären. Sabine Böhm betont aber auch, dass die Erziehungsberechtigen keinesfalls die Situation überdramatisieren sollten. Wenn das Kind bereits bei einem Vorfall dabei war und die Begleitperson nicht in der Lage ist, die Situation zu erklären, müssten das hinterher andere übernehmen. "Das Wichtigste ist, sich niemals die Schuld zu geben, die Polizei zu informieren und sich auch zu trauen, Hilfe und Beratung zu suchen", fasst Sabine Böhm abschließend zusammen. Die Frauenberatung Nürnberg ist unter (0911) 28440 erreichbar. Weitere Infos auch auf der Website www.frauenberatung-nuernberg.de.