Gedenken zum Holocaust: Schüler halten Erinnerung wach

27.1.2019, 08:52 Uhr
Gedenken zum Holocaust: Schüler halten Erinnerung wach

© Stefan Hippel

Gefühlt ist es in der Reformations-Gedächtnis-Kirche sogar noch kälter als draußen, wo der Schnee die Straßen bedeckt. Unbeeindruckt davon treten die Achtklässler der Scharrer-Mittelschule im Altarraum an die Mikrofone und proben ihre Texte, die sie seit November ausgearbeitet haben. Im Dialog erklären sie, was zu Zeiten des Nationalsozialismus auch hier vor Ort passiert ist, und diskutieren, wie sie sich wohl verhalten hätten. Am Sonntag sind die 23 Schülerinnen und Schüler maßgeblich an der Gestaltung der zentralen Feier zum diesjährigen Holocaustgedenktag beteiligt, die um 19.30 Uhr in der Kirche am Berliner Platz stattfindet.

Jo-Achim Hamburger schaut sich die Generalprobe vor Ort an. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, die die Feier mit dem evangelischen Dekanat, der katholischen Stadtkirche und der Stadt Nürnberg veranstaltet, ist begeistert davon, was die Achtklässler auf die Beine gestellt haben. "Das übliche Format mit Reden gefällt mir nicht so gut", räumt Hamburger ein. Umso positiver sei es, dass seit Jahren Schülerinnen und Schüler unterschiedlichster Schularten in die Gedenkfeier involviert sind.

NS-Gauleiter von Franken

Seit 1996 gedenkt Deutschland offiziell am 27. Januar – an dem Tag also, an dem die Rote Armee 1945 das Vernichtungslager Auschwitz befreit hat — den Opfern des Nationalsozialismus. Die Scharrer-Mittelschule hat einen ganz speziellen Bezug zu dem Thema. Ab 1936 hieß sie vorübergehend Julius-Streicher-Schule, benannt nach dem berüchtigten NS-Gauleiter von Franken. Streicher war von 1909 bis 1923 Lehrer an der Schule. Zum Unterricht brachte er eine Reitpeitsche mit, seine Wutausbrüche waren gefürchtet. 1946 wurde der Herausgeber der antisemitischen Hetzschrift "Der Stürmer" vom Internationalen Militärgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Die Projektgruppe der Scharrer-Mittelschule hat sich aber auch mit der jüngeren Vergangenheit beschäftigt. Ein Teil setzte sich mit den NSU-Morden auseinander. Einer von ihnen ereignete sich schräg gegenüber der Schule. Der auch bei Schülern beliebte Imbiss-Betreiber Ismail Yasar wurde im Juni 2005 vom so genannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet. "Viele Schüler kannten ihn persönlich. Sein Sohn war selbst an unserer Schule", sagt Religionslehrerin Theresia Aschemann.

Hellhörigkeit beim Thema Propaganda

Viele der heutigen Schüler hätten vom Nationalsozialismus noch gar nichts gehört, stellt Aschemann immer wieder fest: "Sie haben keine Eltern, die ihnen etwas darüber erzählen." So komme es durchaus vor, dass Schüler am Reichsparteitagsgelände fragen, was es damit eigentlich auf sich habe.

Im Lauf des Projekts fiel der Religionspädagogin auf, dass viele Schüler "die gleichen Fragen stellen, die wir uns und unseren Eltern gestellt haben". Vor allem beim Thema Propaganda, das ihnen aus den neuen Medien bekannt ist, würden sie hellhörig.

Bericht einer Auschwitz-Überlebenden

Dekan Christopher Krieghoff ist es ebenso wichtig wie Jo-Achim Hamburger, das Gedenken in jüngere Hände zu legen. Während die erste Hälfte der Feier von den Schülern gestaltet wird, liest im zweiten Teil ein junges Mädchen den Zeitzeugenbericht einer Auschwitz-Überlebenden vor.

Und wie beurteilen die Schüler das Projekt? "Es hat Spaß gemacht. Wir haben uns viel Zeit genommen, andere Kulturen zu entdecken", sagt Schülersprecher Ali Baki. Seine Mitschülerin Lukabet Fikeru hat sich erstmals intensiv mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. "Es kann sein, dass das in Zukunft wieder passiert", sagt die 13-Jährige: "Das muss unbedingt verhindert werden."

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