Gegen das „Sex and the City“-Syndrom

30.1.2013, 00:00 Uhr
Gegen das „Sex and the City“-Syndrom

© Eduard Weigert

Herr Deuerlein, Sie sind den ganzen Tag von Büchern umgeben, vergeht einem da irgendwann die Lust am Lesen?

Thomas Deuerlein: Nein, ich lese nach wie vor gerne. Aber es gibt natürlich Tage, an denen man stundenlang Nachlässe durchforstet. Danach kann ich dann erst einmal keine Bücher mehr sehen.

Krimis, Fantasy-Romane, Biografien — was lesen Sie am liebsten?

Deuerlein: Ich lese zur Entspannung viele kulturelle Reiseführer. Krimis lese ich auch gerne, allerdings keine Frankenkrimis, die gefallen mir überhaupt nicht (lacht).

Und dazu gibt’s ein Glas Rotwein?

Deuerlein: Nein, das ist ein Klischee (grinst). Schach spielen und Rotwein trinken, das mache ich gerne, aber beim Lesen ist das eher weniger zielführend.

Es gibt zahlreiche Schriftsteller, denen man einen schweren Hang zum Rausch nachsagt. Gehören Alkohol und Literatur untrennbar zusammen?

Deuerlein: Gin und Absinth waren mal sehr in Mode, wobei es ja nicht immer Alkohol sein muss. Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac hat sich mit Kaffee umgebracht. Allerdings betrifft das ja nur die Autoren, nicht die Buchhändler (lacht).

Aber in Ihrem Geschäft wird beim Lesen schon gerne mal ein Glas Wein getrunken.

Deuerlein: Das stimmt. Es handelt sich um ein hedonistisches Konzept. Es geht um Genuss — allerdings soll der nicht auf Wein beschränkt sein, es gibt ja auch Kaffee und Schokolade.

Es scheint so, als hätten viele Menschen immer weniger Zeit, um sich solche Genuss-Pausen zu gönnen.

Deuerlein: Ich glaube, es ist eher eine Frage, ob man sich die Zeit dafür nehmen will. Der Espresso ist ein gutes Beispiel: Er ist in 20 Sekunden durchgelaufen und in ein paar Minuten getrunken. Trotzdem nehmen ihn immer mehr Menschen in einem Pappbecher „to go“ mit auf den Weg, anstatt sich in ein zu setzen.

Also alles nur Einbildung?

Deuerlein: Ich glaube, es liegt auch ein bisschen am Zeitgeist; dieses „Sex and the City“-Syndrom. Da stehen die Damen lieber 15 Minuten lang bei einem Imbiss an, um dann anschließend ihren Chai-Latte-Marshmallow hektisch im Auto zu trinken.

Dazu passt, dass unterwegs immer weniger gedruckte Bücher gelesen werden.

Deuerlein: Wenn man den Fachmagazinen glauben darf, ist die Zeit der E-Books zwar bald vorbei, der Trend geht aber natürlich trotzdem zu den Tablet-Computern. Mein Fall ist das zwar nicht, aber Hauptsache, die Leute lesen überhaupt.

Blutet dem Antiquar nicht das Herz, wenn die Leute nicht mehr in gedruckten Büchern blättern?

Deuerlein: Schon, aber ich gehe ja mit vielen Entwicklungen nicht konform. Da wird man schnell vom Normalo zum Anarchisten. Das wird aber auch wieder irgendwann schick, denn zu jedem Mainstream gibt es auch eine Gegenbewegung.

Apropos: Gegenbewegung. Das Sammeln seltener Werke gewinnt wieder an Bedeutung. Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn Sie sich von kostbaren Schätzen trennen müssen?

Deuerlein: Es tut weh, wenn man ein tolles Buch hergibt, um davon solch banale Dinge wie die Miete und den Strom zu bezahlen (lacht).

Was war denn Ihr liebster Schatz, den Sie bislang verkauft haben?

Deuerlein: Ich hatte mal eine Erstausgabe von „Das Kapital“. Der Gedanke, dass Karl Marx das Buch vielleicht sogar noch selbst in der Hand hatte, war natürlich toll. Aber ich habe mich dafür entschieden, davon zu leben, Bücher zu verkaufen, also musste ich auch das hergeben.

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