Großprojekte kommen voran: So sieht Nürnberg künftig aus

8.4.2021, 05:59 Uhr
An der Ostendstraße entsteht derzeit das Seetorprojekt.   

© e-arc-tmp-20201006_174236-1.jpg, NNZ An der Ostendstraße entsteht derzeit das Seetorprojekt.  

Herr Ulrich, was zeichnet die neuen Nürnberger Großbauten aus?

Daniel Ulrich: Wir haben bei neuen Bauprojekten auf drei Punkte, die bislang vernachlässigt wurden, großen Wert gelegt. Es ist wichtig, dass einzelne Häuser zu erkennen sind. Das sieht man sehr schön an dem Seetorprojekt an der Ostendstraße. Da hätte man auch einen riesigen Klotz hinstellen können. Das hätte man vor 20 Jahren mit einer 300 Meter langen, kerzengeraden Fassade auch gemacht. Wir brauchen aber Häuser, die vor- und zurückspringen. Sie können unterschiedlich hoch sein und sie müssen zu jedem individuellen Eingang auch eine eigene Fassade haben.

Das zweite Punkt ist, dass wir öffentliche Räume schaffen. Wenn Bauflächen wieder aktiviert oder neu in Anspruch genommen werden, dann müssen auch Nutzwerte für den öffentlichen Bereich herausspringen. Das sieht man sehr schön am Bahnhofsplatz. Der ehemalige Müllhof wird durch einen Innenraum, der eine echte Bereicherung ist und der sich zum Bahnhofsplatz öffnet, ersetzt.

Der dritte Punkt ist die Qualität der Fassade: Einfache und einfallslose Verbundfassaden, die sich nur durch die Farbe unterscheiden, sind in der Bahnhofstraße reichlich vorhanden. Am Bahnhofsplatz wurde eine durchmodellierte Natursteinfassade geschaffen, in der die Eigenschaften des Kalksteins durch verschiedenen Anschliff, durch Vor- und Rücksprünge hervortreten, geschaffen. Hier wurde eine Gestaltungsqualität erreicht, die für Nürnberg wegweisend ist. Natursteinfassaden werden jetzt häufiger gemacht, obwohl sie teurer sind. Auch die Sparkasse hat das in der Lorenzer Straße sehr schön gemacht. Es klappt nicht immer, aber es gibt inzwischen ein paar Leuchttürme.

Passen die Proportionen des neuen Hochhauses noch zum Hauptbahnhof?

Daniel Ulrich: Ja, der hochkant stehende Hotelbau und der waagrecht ausgerichtete Hauptbahnhof passen zueinander. Sie stehen in einem proportionalen Verhältnis. Das Hochhaus ist nicht zu hoch und nicht zu wuchtig. Wenn es niedriger geworden wäre, dann hätte die Gefahr bestanden, dass es zu niedlich ist. Wir hoffen jetzt, dass es beim Nachbargebäude genauso klappt. Der Bahnhofsplatz mit dem Hauptbahnhof in der Mitte würde von zwei Türmen im Westen und Osten abgeschlossen werden. Das könnte gut funktionieren.

Passt die Bebauung des Augustinerhofs in die Sebalder Altstadt?

Daniel Ulrich: Das, was der Entwurf versprochen hat, hat er erfüllt, auch wenn das Gebäude ganz anders geworden ist, wir wir uns das vorgestellt hatten. Im Wettbewerb war die Fassade noch mit ganz kleinen Fliesen belegt. Das konnte aber nicht gebaut werden. Das System mit den angeschliffenen Beton-Werksteinplatten ist für einen modernen Bau in der Altstadt sehr schön. Der Augustinerhof zeigt exemplarisch, dass durch Vor- und Rücksprünge einzelne Häuser zu erkennen sind, und trotzdem ist er ein Objekt, aber eben kein monolithisches. Man hat sich mit jeder einzelnen Platte sehr viel Mühe gegeben. Die Platten stehen zueinander in unterschiedlichen Größenverhältnissen und sind auf die Fenster sowie auf die Fassade abgestimmt. Das sind keine Platten, die einfach mal schnell am Reißbrett entworfen wurden, wie man es noch vor 30 Jahren billig gemacht hätte.

Schöne Natursteinfassade

Und welche Qualität hat der Neubau der IHK?

Daniel Ulrich: Es ist ein gutes Gebäude mit einer schönen Natursteinfassade. In der Detaillierung hätte man sich an der einen oder anderen Stelle doch noch mehr erwartet, dann wäre das Gebäude noch schöner geworden. Auch bei den Anschlüssen zu den Nachbargebäuden hätte man noch mehr herausholen können. Persönlich finde ich, dass der Eingang etwas zu stark herausgearbeitet wurde. Trotzdem ist das Gebäude ein Riesensprung in der Altstadt. Wenn man bedenkt, was noch vor zehn Jahren hätte passieren können, dann ist die IHK ein herausragend gutes Gebäude. Die Qualität des inneren Raums ist sogar sensationell. Die über die Kante gezogenen Fenster sind für dieses Haus in Ordnung. Es war ein Experiment.

Ein neuer Nürnberger Stil hat sich aber noch nicht herausgebildet?

Daniel Ulrich: Die neuen Gebäude könnten in Berlin und Hamburg stehen. Sie könnten aber wahrscheinlich nicht in Südwestdeutschland stehen. Es gibt zwei Architekturschulen in Deutschland: Einmal dominiert Stein und im Südwesten gibt es mehr Stäbchenarchitektur mit Glas. Glas haben wir in Nürnberg auch. Es hat sich aber nicht durchgesetzt.

Warum?

Daniel Ulrich: Weil es nicht nachhaltig ist. Ich bin froh, dass es uns bei den letzten großen Architekturwettbewerben gelungen ist, Fassaden zu fordern, die eher geschlossen sind. Sie haben natürlich Fenster, aber keine Glasfassade, die so tut, als sei sie demokratisch, und die so tut, als würde sie sich öffnen, um dann mit Jalousien komplett abgeschottet zu werden. Ein irrwitziger Aufwand beim Heizen und Kühlen. Das sieht man bei einem Neubau in Nürnberg nicht mehr.


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Mit Dämmung gestalterisch umzugehen, mussten viele Architekten erst noch lernen. Erkennen Sie eine Entwicklung, sodass weniger Kisten und mehr gestaltete Gebäude gebaut werden?

Daniel Ulrich: Ich versuche, diese Entwicklung zu unterstützen. Nur in Länge, Breite und Höhe zu bauen, ist fantasielos. Die Bedenken von Menschen gegenüber den Bauten der Moderne haben ja oft damit zu tun, dass die Bauten zu gesichtslos sind und dass das Ornament fehlt. Auf den ersten Blick ist das Ornament vielleicht betriebswirtschaftlich nutzlos, aber die Qualität und die Vielgestaltigkeit von Fassaden prägen einen Stadtraum Bei den Hochhäusern am Hauptbahnhof von Max Dudler war es uns von vorneherein ein Anliegen, an den klassischen Hochhausstil anzuknüpfen.

Warum?

Daniel Ulrich: Die Hochhäuser leiten sich in einigen Fällen von der Interpretation der griechischen Säule ab. Ein Säule hat eine Basis, dann einen Schaft und oben das Kapitell. Das hat Dudler auch sehr schön gemacht. Wenn es schön sein soll, dann lohnt es sich nach oben filigraner zu werden, die Fassade aufzulösen und die Erdgeschosszone ganz anders auszubilden als die Schaftzone. Wir geben den Planern mit, dass eine Fassade mehr ist als nur ein Hülle. Wir wollen keinen Zuckerbäckerstil haben, aber wenigstens ein leichtes Vor- und Rückspringen, einige Gesimse und Kapitelle.

Es fehlt das Grün

Was muss künftig noch stärker beachtet werden, damit neu Architektur in Nürnberg noch besser wird?

Daniel Ulrich: Das Grün. Noch immer gibt es zu wenig Verständnis dafür, dass ein Gebäude auch einen Anteil für das Durchgrünen der Stadt leisten muss. Es ist nicht damit getan zwei Schambäumchen aufzustellen, wo noch Platz ist. Grün muss integraler Bestandteil von Fassaden und Dächern werden. Das Beschatten eines Eingangs kann auch durch Bäume erfolgen und nicht nur durch Blech. Es können auch mal Häuser drei Meter zurückspringen, damit Platz für eine Baumreihe ist.


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Was fehlt modernen Bauten?

Warum sind die historischen Bauten bei Menschen noch immer sehr viel beliebter als moderne Bauten?

Daniel Ulrich: Das hat viel mit Identitätsverlust zu tun, weil die Länge-Breite-Höhe-Kiste gar nichts hat, woran das Auge sich festkrallen kann. Das klassische Gründerzeithaus ist ja nicht das Ergebnis der Steinmetzkunst. Die Teile wurden aus dem Katalog ausgesucht und dann mit der Fassade zusammengefügt. Das Ergebnis ist, dass jedes Gründerzeithaus ein eigenes Gesicht hat. In der Summe sind Häuser entstanden, die sich wirtschaftlich getragen haben und die Individualität ausstrahlen. Die Individualität besteht eben nicht nur aus Farbe und Glas, wie das bei den heutigen Verbundsystemen der Fall ist. Mit Farbe allein entsteht keine Individualität. Es braucht eben einzelne Element und Ornamente. Es geht heute nicht darum, dass man aus einem klassizistischen Katalog Versatzstücke einsetzt. Man muss lernen mit neuen biophysikalischen Anforderungen umzugehen und sie auch in Gestaltung umsetzen.


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