Grüne Welle in Nürnberg? "Der Ring funktioniert nur teilweise"

24.2.2020, 05:45 Uhr
Grüne Welle in Nürnberg?

© Foto: Roland Fengler

NZ: Was ist denn eine Grüne Welle, Herr Ulrich?

Grüne Welle in Nürnberg?

© Foto: M. Matejka

Daniel Ulrich: Grüne Welle heißt nichts anderes als die Koordinierung von drei bis fünf Ampelanlagen in eine Fahrtrichtung. Und hier wird es schon schwierig. Wenn ich abbiege, dann ist jede Grüne Welle futsch. An Haupt- und Einfallstraßen fährt man normalerweise relativ lange geradeaus. Nehmen wir als Beispiel die Äußere Bayreuther Straße. Am Bierweg ist die Ampel grün. Wenn ich alles richtig mache, also konsequent 50 fahre, der Verkehr um mich herum nicht zu schnell ist oder irgendwelche Verkehrsregeln bricht, dann komme ich mindestens bis zur Kilianstraße durch. Wenn es gut läuft bis zum Ring, je nach Verkehrsaufkommen. Wenn ich Pech habe, fährt vor mir einer zu schnell, fährt 70 statt 50 und hält dann an einer roten Ampel, weil er zu früh ankommt, an. Dann ist die ganze Koordinierung kaputt und die Grüne Welle durch zu schnelles Fahren zerstört.

Ein anderes Problem, das man an vor allem dienstags, mittwochs und donnerstags beobachten kann, ist, wenn es einfach zu viel Verkehr gibt. Die schönste Grüne Welle funktioniert nicht mehr, wenn der Verkehr, der von den Seitenstraßen hereinkommt, zu viel wird.

NZ: Wie kann es sein, dass in Finkenbrunn gleich mehrere Ampeln hintereinander Rot anzeigen?

Ulrich: Je nachdem, welche Tageszeit es ist, werden verschiedene Grüne Wellen geschaltet oder nicht geschaltet. Wir haben vier Hauptprogramme. Relevant ist vor allem der Berufsverkehr, das ist das Signalprogramm eins, von 6.30 bis 9.30 Uhr. Da haben wir einen 100 Sekunden Umlauf und die Grünen Wellen funktionieren relativ gut. Sie müssen maximal 100 Sekunden warten, bis die erste Stellung der Ampel wieder erreicht ist. Das sind fast zwei Minuten. Und in so einer langen Signalzeit können viele Autos durchfahren. Aber der Haken ist, sie müssen, wenn sie zur falschen Ampel kommen, auch 100 Sekunden warten. Auch Fußgänger müssen lange warten. Deswegen haben Signalzeiten in den weniger verkehrsdichten Zeiten von 9.30 bis 14.30 Uhr und von 19.30 bis 6.30 Uhr in der Regel eine Umlaufzeit von nur 75 Sekunden. Wir müssen zwischen Bequemlichkeit und Leistungsfähigkeit abwägen. Eine kürzere Umlaufzeit bedeutet geringere Leistungsfähigkeit. Sie bedeutet aber auch, dass die Autos nicht so lange an der Ampel warten müssen. Schön für Fußgänger, schön für Radfahrer, auch schön für Autofahrer aus den Nebenrichtungen. Aber schlecht für Autofahrer in Hauptrichtung.

Hinzu kommt noch: Überall, wo Straßenbahnen fahren und oft auch da, wo Busse fahren, beschleunigen wir den ÖPNV und schalten der Straßenbahn oder dem Bus die Spur frei. Das geht dann zu Lasten aller anderen Verkehrsteilnehmer.

NZ: Können Bus- und Straßenbahnfahrer selbst für sich auf Grün schalten?

Ulrich: Nein. Wer automatisch schalten kann, ist die Feuerwehr. Die Feuerwehr hat in ganz vielen wichtigen Trassen eine "Feudu", eine Feuerwehrdurchgangsschaltung. Die ist wahnsinnig wichtig, um die Ausrückzeiten sicherzustellen, hat aber den Haken, wenn die Feuerwehr Mitte aus der Altstadt zum Flughafen muss, dann wird die ganze Strecke freigeschaltet.

NZ: Wurden die orangenen Phasen der Ampelanlagen in Nürnberg verkürzt?

Ulrich: Sie entsprechen genau den gesetzlichen Richtlinien für Ampelanlagen. Wir haben sie nicht verkürzt. Für uns ist das Problem bei großen Kreuzungen, dass die Räumzeiten groß sind. Der Fußgänger darf bei Grün immer loslaufen und muss sicher ankommen, egal wie Rot die Ampel schon ist und wie langsam er läuft. Das gilt bundesweit: Wer bei Grün losgeht, darf immer bis zum Ende laufen.

NZ: In der Ostendstraße bei der Nürnberger Versicherung schaltet die Ampel oftmals kurz hintereinander auf Doppelrot. Warum ist das so?

Ulrich: Ja, das stimmt. Wenn Straßenbahn und Busse eng hintereinander kommen, dann ist nur ein "Mindestgrün" geschaltet, das sehr kurz ist. Das trifft auch die Fußgänger, die über die Ostendstraße wollen. Gelegentlich ist es wichtig, den Stau, der sich an einer maßgeblichen Kreuzung ergeben könnte, zu verlagern. Ein schönes Beispiel ist der Bahnhofsplatz. Wenn man am Marientorgraben entlangfährt, dann kommt man an eine Doppelampel. Der Zulauf zum Bahnhofsplatz ist signaltechnisch ein Kunstwerk, weil der Bahnhofsplatz nicht mit zu viel Staus belastet werden soll. Deshalb haben wir an der Kreuzung Rosa-Luxenburg-Platz die erste Ampel, die dann gemeinsam mit der zur Lorenzer Straße geschaltet wird und dort ist fast immer ein Stau. Wenn wir das nicht machen würden, dann hätten wir den Stau mitten am Bahnhofsplatz. Da können wir ihn nicht brauchen.

NZ: Hat der Ring Vorrang?

Ulrich: Das ist ein langfristiges Ziel. Es ist aber noch nicht erreicht. Vorgegeben ist, dass die Haupt- und Einfallstraßen Vorrang haben, damit wir die Wohngebiete freihalten vom Verkehr. Unser Ziel ist, den Ring wiederum Vorrang gegenüber den radialen Hauptverkehrsstraßen zu geben. Das ist aber noch nicht geschafft. Der Ring ist in weiten Teilen signaltechnisch noch Jahre hinterher, weil wir personell nur sehr wenig Kapazität für die Steuerung der Lichtsignalanlagen haben. Die Techniker verbringen 80 bis 90 Prozent ihrer Zeit damit, die Vorrangschaltung für den ÖPNV am Leben zu erhalten und die neuen Strecken einzubinden. Zehn bis 20 Prozent ihrer Arbeitszeit dienen dazu, akute Fehler des Steuerungsprogramms zu beheben. Mein Wunsch, den ich schon lange hege, ist, dass wir mit einer schönen Grünen Welle mit Tempo 50 einmal rund um den Ring im Kreis fahren – da sind wir meilenweit davon entfernt. Es gibt einzelne Teilstücke, da läuft es schon sehr gut. Aber es gibt auch Teilstücke, wo der Ring überhaupt nicht koordiniert ist.


So will ein Nürnberger Bündnis Radfahren sicherer machen


NZ: Muss man in der Münchener Straße zu schnell fahren, um die Grüne Welle halten zu können?

Ulrich: Das kommt drauf an, wo man in der Münchener Straße ist. Aber nirgendwo darf man zu schnell fahren.

NZ: Ich glaube, es geht nur, wenn man zu schnell fährt.

Ulrich: Könnte sein, wenn man eine alte Tempo-70-Strecke hat, die ampeltechnisch nie nachgebaut wurde, dann kann so etwas passieren. Bei Tempoveränderung wird die automatische Ampelschaltung nicht immer angepasst. Man könnte mehr machen, wenn wir mehr Personal hätten. Auf den Straßen Nürnbergs gibt es so viele Autos, wie es nur geht. Wenn wir irgendwo die Straßen so machen, dass man besser fahren kann, dann sind nicht irgendwo anders die Autos plötzlich weg, es kommen einfach noch mehr Autos hinzu. Alle Probleme lösen kann man nicht, weil Grüne Wellen ihrer Natur nach nicht unendlich sind. Wichtig sind auch Brechpunkte: Alle drei bis fünf Ampeln braucht man wieder eine Ampel, die auf Rot schaltet, damit der Pulk, der sich sonst immer weiter auseinanderzieht, dann wieder in einem kurz zusammengefasst wird, weil sonst der letzte nicht mehr bei Grün durchkommt. Deswegen macht man in jeder Stadt, in jedem Land auf der Welt bei Grünen Wellen immer irgendwelche Brechpunkte.

Verwandte Themen


26 Kommentare