Der verflixte Turbolader

Haarsträubend: Wenn das Auto auf einer Reise gleich zwei Mal schlapp macht

25.8.2021, 08:48 Uhr
Alles furchtbar, liebe Grüße! Wie der verflixter Turbolader eines Volvos eine reisende Familie zum Verzweifeln bringt. Das Ein- und Auspacken wird zur Leibesübung. Das Foto stammt aus einem Urlaub in den Bergen. Von der Horror-Reise in den Norden mit diesem schwarzen Kombi gibt es keine Bilder. Erinnern wollte sich da lange Zeit keiner mehr daran.

© Alexander Brock Alles furchtbar, liebe Grüße! Wie der verflixter Turbolader eines Volvos eine reisende Familie zum Verzweifeln bringt. Das Ein- und Auspacken wird zur Leibesübung. Das Foto stammt aus einem Urlaub in den Bergen. Von der Horror-Reise in den Norden mit diesem schwarzen Kombi gibt es keine Bilder. Erinnern wollte sich da lange Zeit keiner mehr daran.

Der Turbolader in einem Auto steigert die Motorleistung. Jedenfalls sollte er das. In unserem Fall passierte aber das Gegenteil: Die Motorleistung sackte ab, der Wagen schlich nur so dahin. Mit dabei: Ehefrau Kerstin, Tochter Paulina, Hund Tess und eine Unmenge an Gepäck. Gut 300 Kilometer waren wir auf der A 9 Richtung Berlin schon unterwegs, als die Tachonadel von 130 km/h auf 100, dann auf 80, 70 und 60 km/h abfiel. Bei gleichbleibendem Druck aufs Gaspedal.

Auf meiner Stirn bildeten sich Schweißperlen, genervte Lkw-Fahrer zogen hupend links an uns vorbei, die nächste Ausfahrt wollte einfach nicht kommen. Unser geplantes Zwischenziel auf dem Weg an die Ostseeküste war Berlin. Besuch bei Cousins. Doch von der Bundeshauptstadt waren wir noch weit entfernt. Dann kam sie: die herbeigesehnte Ausfahrt. Auf einem Waldweg blieben wir stehen. Kurz vor Dessau. Das Problem am Volvo, den wir zwei Jahre zuvor gebraucht gekauft hatten, kannten wir schon. Als der letzte Turbolader schlapp gemacht hatte, baute unsere Kfz-Werkstatt einen neuen ein. Das war kurz vor dem Start in den Urlaub. Und jetzt schon wieder? Wir hatten glücklicherweise eine Garantie-Versicherung.

Ein freundlicher Berliner Taxifahrer

Wir riefen die Notfallnummer von Volvo an. "Ein Abschleppwagen kommt und bringt den Wagen in die nächste Werkstatt nach Berlin." Die Kosten für einen Leihwagen für die Zeit der Reparatur werde Volvo "selbstverständlich" übernehmen. Drei Stunden dauerte es, als der Abschleppdienst am Waldweg ankam - in Berlin bei den Cousins wurde unterdessen der Tisch gedeckt. Der ADAC-Mann lud den Kombi auf, wir nahmen alle in der Fahrerkabine Platz. Nach etwa eineinhalb Stunden stand die Karosse vor der Werkstatt in Berlin-Zehlendorf. Doch wie sollte es weitergehen? Es war Samstag, die Werkstatt war zu, der Abschleppdienst weg. Wir warfen einen Zettel mit unseren Telefonnummern in den Briefkasten, bestellten ein Taxi. Da soll noch einmal jemand sagen, Berliner Taxifahrer seien mürrisch und unfreundlich. Unserer war die Geduld in Person, jemand, der Mitleid hatte. Das Gepäck luden wir in sein Auto, auch beim Hund hatte er keine Einwände. Er chauffierte uns zu Sixt. Wir luden es aus und luden es in den Mietwagen ein.

Am Montag rief die Werkstatt an. Klar: Der Turbolader war's. Ein neuer wurde eingebaut, am Dienstag war der Wagen fertig, die Reise konnte weitergehen. Der Wagen fuhr uns an die Küste. Langsam baute ich wieder Vertrauen zum Fahrzeug auf. Doch der Stress wirkte nach: vor allem bei unserem Hund Tess. Immer dann, wenn es unrund läuft, schlägt das bei ihr auf den Darm. Die Folge: Anders als beim Volvo auf der Autobahn, geht es im Verdauungstrakt des Tieres schneller voran. Das hieß, mehrfaches, nächtliches Gassi-Gehen, um den Teppich zu schonen. Schwarze Augenringe am nächsten Tag waren garantiert.

Der rettende Anker: Ein Autobahnparkplatz

Ein bisschen Erholung stellte sich aber ein, der kaputte Turbolader lag auf dem Schrott, ein nagelneuer beflügelte den Motor. Das Problem schienen wir hinter uns gelassen zu haben. So dachten wir. Dann traten wir den langen Weg zurück an. Rund 750 Kilometer lagen vor uns. Wir starteten auf der A7 Richtung Hamburg, zogen an der Lüneburger Heide und Hannover vorbei. In diesem Tempo und ohne große Staus würden wir laut Navi Fürth gegen 19 Uhr erreichen. Es kam die Ausfahrt Hildesheim, dann Göttingen und wir näherten uns Kassel.

Wir erreichten die Kasseler Berge, der Wagen zog die Steigung hinauf. Und dann... Ja, dann flogen Bäume und Büsche nicht mehr an unseren Seitenfenstern vorbei, verschwommen die Konturen des Straßenbegleitgrüns nicht mehr im eiligen Dahinfahren, sondern sie wurden immer klarer. Dafür aber flogen jetzt die Pkw auf der Überholspur wieder schneller an uns vorüber und plötzlich waren darunter auch wieder hupende Lkw. Abermals entstand im Wageninneren eine Situation wie im U 96, dem U-Boot aus dem Streifen "Das Boot", das angeschossen im Meer immer weiter in die Tiefe absackt und sich beim ungewollten Tauchgang nicht bremsen lässt.

Übernächtigt und entkräftet

Der rettende Anker war bei uns ein Autobahnparkplatz. Alle ahnten es: Es kann nur der Turbolader sein. Ein Telefonat, eine Zusage, dass ein Abschleppdienst kommt. Unterdessen schob unser Navi die Ankunftszeit immer weiter in die Nacht hinein. Um den Frust nicht zu steigern, schalteten wir das Gerät aus. Nach gefühlten zehn Stunden (tatsächlich waren es etwa drei) kam ein Gelber Engel "angeflogen". So sahen wir das erste und bisher einzige Mal Kassel - wenn auch bei Nacht. Es musste noch viel geklärt und telefoniert werden. Wir mussten weitere zwei Stunden warten, bis alles klar war: Unser Auto soll in Kassel bleiben und zur heimatlichen Kfz-Werkstatt überführt werden. Dann drückte uns der freundliche Kfz-Mann den Autoschlüssel eines Mietwagens in die Hand. Wir luden abermals das Gepäck um und fuhren los. Völlig übernächtigt und entkräftet rollten wir mit dem Fahrzeug in unsere Straße in Fürth ein. Es war kurz nach 4 Uhr früh, wir fielen ins Bett und schliefen tief. Warum die vielen Turbolader aber kaputt gingen, konnte uns keine Kfz-Werkstatt schlüssig erklären. Den Volvo aber verscherbelten wir und legten uns ein anderes Vehikel zu. Das fahren wir noch heute.

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