Hartmann hat die Verkehrsplanung in Nürnberg im Blick

8.11.2017, 07:59 Uhr
Hartmann hat die Verkehrsplanung in Nürnberg im Blick

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Seit Jahren steht er den Kindern als Vertreter seiner Behörde auf den Versammlungen Rede und Antwort. Und er kommt auch mit Kollegen vor Ort, wie kürzlich zu Schülern der Bartholomäusschule, die kritisierten, dass ihre Fußgängerampel eine zu kurze Grünphase hat. Wir haben mit dem 63-Jährigen gesprochen, warum er die Sorgen der Kinder sehr ernst nimmt, wie wertvoll ihre Sichtweise ist und was Erwachsene von den kleinen Verkehrsteilnehmern lernen können.

Herr Hartmann, bei der Kinderversammlung kürzlich in Wöhrd haben Sie den Schülern der Bartholomäusschule versprochen, dass Sie gemeinsam mit ihnen ein Ampelgespenst besiegen wollen. Ist das gelungen?

Norbert Hartmann: Die Kinder hatten berichtet, dass die Fußgängerampel vor der Schule nicht lange genug grün ist und sie Angst haben, nicht rechtzeitig über die Straße zu kommen, bevor die Autos losfahren. Wir haben uns die Situation gemeinsam angesehen und den Kindern gezeigt, wie sie damit umgehen müssen. Am Ende haben alle festgestellt: Das Ampelgespenst gibt es nicht.

 

Wie läuft so ein Termin ab?

Hartmann: In diesem Fall waren etwa 20 Kinder dabei. Wir haben uns zunächst auf dem Gehsteig postiert und ein paar Grundsatzdinge geklärt. Was genau ist eine Drückampel? Was passiert wann, wenn man sie betätigt? Einige Kinder hatten eine Stoppuhr dabei und wir haben genau gemessen, welche Zeiten es speziell an dieser Ampel gibt. Wir besprechen, dass es eine Grünzeit gibt, auch Laufzeit genannt, in der man rübergehen kann. Und wenn die Fußgängerampel auf Rot umspringt, beginnt die Räumzeit, das heißt, es bleibt noch genug Zeit, sicher auf der anderen Seite anzukommen, bevor der Autoverkehr wieder Grün bekommt.

Das Ampelgespenst besteht also darin, dass die Kinder glauben, sobald sie Rot haben, springt die Ampel für die Autofahrer sofort auf Grün?

Hartmann: Genau. Wir zeigen den Kindern: Schaut hin, die Autofahrer haben immer noch Rot, dann kommt noch Orange und erst dann gibt es für sie grünes Licht.

So weit die Theorie. Wie sieht die praktische Hilfestellung aus?

Hartmann: Dann überqueren wir gemeinsam die Fahrbahn. Und zwar nicht wie in einer Polonaise, sondern nebeneinander. Dabei sind wir nicht gerannt, sondern geschlendert und trotzdem noch bei Grün angekommen. Wir spielen auch durch, was passiert, wenn alle hintereinander loslaufen. Meistens bleiben nämlich die Ersten, die auf der anderen Seite ankommen, stehen. Die Kinder sehen, dass es wichtig ist weiterzulaufen, um Platz zu machen, damit alle rechtzeitig von der Straße wegkommen.

Welche Ratschläge geben Sie den Kindern noch?

Hartmann: Zum Beispiel, dass man nicht direkt am Straßenrand warten darf. Viele Autos haben breite Spiegel oder fahren zu weit rechts. Nur etwa zwei Gehsteigplatten vom Rand weg, steht man sicher. Was wir auch immer extrem üben, ist, dass die Kinder erst Blickkontakt zu den Autofahrern halten sollen, bevor sie loslaufen. Das ist ganz wichtig, um ein Fehlverhalten der anderen zu erkennen.

Fehlt Erwachsenen manchmal der Blickwinkel für die Situation von Kindern im Straßenverkehr?

Hartmann: Viele sind da oft sehr betriebsblind, weil sie so gehetzt sind. Manchen ist es aber auch tatsächlich vollkommen wurscht, ob da ein Kind am Straßenrand steht - sie fahren trotzdem los. Das gibt ein ganz schlechtes Vorbild ab.

Autofahrer müssen Rücksicht nehmen

Was können wir von den Kindern lernen?

Hartmann: Mit den Bartholomäusschülern habe ich folgende Situation durchgespielt: Was passiert, wenn eine alte Dame mit ihrem Gehwagen die Straße überquert und es nicht rechtzeitig schafft? Für die Kinder ist die Antwort ganz einfach: Der Autofahrer muss Rücksicht nehmen und warten! Die Kleinen haben ein sehr gutes Empfinden dafür, was falsch und richtig ist, oft besser als die Großen.

Ein Thema, das fast auf jeder Kinderversammlung aufs Tapet kommt, ist das morgendliche Verkehrschaos vor den Schulen. Ärgert Sie dieses Dauerbrennerthema nicht auch ungemein?

Hartmann: Mich ärgert das sehr, weil die Eltern so unvernünftig sind. Vor den Schulen herrscht regelmäßig totales Chaos, weil alle ihr Kind möglichst nah ran und schnell weiterfahren wollen. Im Glauben, ihre eigenen Kinder zu schützen, gefährden sie andere Kinder. Es gibt viele Möglichkeiten von den Schulen, auf Eltern einzuwirken, ich war selber auf vielen Elternabenden zu dem Thema dabei und da geben uns alle auch immer recht. Aber letztendlich ist es fast sinnlos, es ändert sich kaum etwas.

Reizthema Elterntaxi

Manche argumentieren, dass die Kinder mit dem Elterntaxi am sichersten zur Schule kommen, weil der Straßenverkehr gefährlicher ist als früher.

Hartmann: Ein Kind wird nicht geschützt, wenn man eine Glocke drüberstülpt. Ein Kind wird sicherer im Straßenverkehr, wenn es den Weg selber läuft. Sie wollen das ja auch und sind stolz, wenn sie es alleine schaffen. Man entmündigt seine Kinder und nimmt ihnen die Chance, eigenständig zu werden. Wichtig ist, dass die Eltern den Weg vorher gut mit ihnen üben und sie anlernen, wo man aufpassen muss.

Man merkt, Sie nehmen die Sorgen der Kinder sehr ernst — und Sie investieren viel Zeit, um sie aufzuklären und zu schulen. Was ist Ihre persönliche Motivation?

Hartmann: Wenn wir es schaffen, dadurch ein Kind zu schützen, kann so ein Ortstermin von mir aus drei Stunden dauern. Ich gehe demnächst in den Ruhestand und mein Wunsch an die Kinder ist: Geht wachsam durch die Stadt und habt ein Auge auf die Stadt. Damit meine ich zwei Aspekte: Ich möchte, dass die Kinder gut auf sich aufpassen und darauf achten, dass Nürnberg eine schöne Stadt bleibt. Die Hinweise der Kinder, die wir auf den Kinderversammlungen bekommen, sind ein wichtiges Potenzial für uns.

Glauben Sie, die Kinder von heute werden später mal die besseren Autofahrer sein?

Hartmann: Ich glaube und hoffe es. Je mehr ich die Kinder heute in Sachen Verkehrsrecht schule, umso größer ist die Chance, dass sie manche Dinge auch als Erwachsene umsetzen. Ich hoffe, dass die Kinder schon jetzt Einfluss auf ihre Eltern nehmen können. Dass sie sagen: "Papa, fahre mich bitte nicht zur Schule" oder "Mama, ich darf aber nicht mit Büchertasche auf dem Rücken im Auto sitzen."

Im Gegensatz zu den Erwachsenen nehmen die Kinder also Ihre Ratschläge an?

Hartmann: Kinder sind sehr wissbegierig und lernfähig. Wenn ich als "der von der Stadt" zu ihnen komme, sind sie immer sehr aufgeregt, aber auch stolz. Sie fühlen sich ernst genommen.

Es geht Ihnen ja auch nicht um Belehrungen mit dem erhobenen Zeigefinger, oder?

Hartmann: Nein, wir als Stadt müssen uns für die Anliegen der Bürger öffnen, auch für die Kleinen. Wenn wir die Anregungen nicht mitnehmen, was die nächste Generation braucht, liegen wir doch falsch. Ich lerne bei den Ortsterminen genauso viel wie die Kinder.

Wer wird das Verkehrsplanungsamt auf den Kinderversammlungen vertreten, wenn Sie nächstes Jahr im März in Pension gehen?

Hartmann: Es gibt zwei junge Kolleginnen, die mich schon seit einiger Zeit dorthin begleiten und an die Aufgabe herangeführt werden. Sie müssen zum Beispiel wissen, wie man antwortet, so dass die Kinder es verstehen. Ich würde mir wünschen, dass sie es machen wie ich — und es nicht nur als Beruf, sondern als Berufung ansehen.

Haben Sie noch einen guten Rat, den kleine wie große Verkehrsteilnehmer beherzigen sollten?

Hartmann: Früh genug aufstehen und sich rechtzeitig auf den Weg machen! Das gilt für Kinder wie für Erwachsene. Dann bleibt genug Zeit, um an der Fußgängerampel in Ruhe die nächste Grünphase abzuwarten. Man muss dann auch nicht gehetzt bis ganz vor die Schule fahren.

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