Heilmittelerbringer sind verärgert: "Söders Aussage war rufschädigend"

24.4.2020, 20:21 Uhr
Heilmittelerbringer sind verärgert:

© Foto: Stefan Hippel

Renate Dachauer ärgert sich. Die Ergotherapeutin mit eigener Praxis in Mögeldorf hat kaum noch Patienten. "Die Ärzte verordnen im Moment kaum Ergotherapie. Und wenn, dann sind viele Menschen zu verunsichert, um das in Anspruch zu nehmen." Grund dafür sei die unbedachte Aussage Söders in der Pressekonferenz zu den Ausgangsbeschränkungen. "Das sorgte für viel Verwirrung. Mir blieb fast das Herz stehen, weil ich dachte, ich müsste meine Praxis schließen." Sie rief in ihrer Verzweiflung beim Bürgertelefon der Stadt Nürnberg an, doch auch dort war man mit Söders Worten zunächst völlig überfordert.

Zwar wurde die Äußerung des Ministerpräsidenten wenige Tage später korrigiert, doch da war das Kind aus der Sicht vieler Heilmittelerbringer bereits in den Brunnen gefallen. Auch der kürzlich angekündigte Rettungsschirm, nach dem Heilmittelerbringer 40 Prozent ihrer Einnahmen aus dem letzten Quartal 2019 als Einmalzahlung erhalten sollen, mache das nicht wieder gut. "Aus meiner Sicht sind auch eher die Krankenkassen in der Pflicht – sie sparen schließlich das Geld für die Behandlungen, die sie normalerweise erstatten. Wir haben im Gesundheitssystem einen Auftrag. Es ist jetzt an der Zeit zu beweisen, wie ernst man die Heilmittelerbringer nimmt", fordert Dachauer.

Heilmittelerbringer sind verärgert:

© Foto: Stefan Hippel

Aus ihrer Sicht wird die jetzige Krise ein Nachspiel für ihre Berufsgruppe haben. "Die Wertschätzung unserer Berufe leidet darunter. Es klang schließlich so, als seien Ergotherapeuten und Logopäden medizinisch nicht notwendig." Das würden die Menschen nun so abspeichern – Ärzte und Patienten gleichermaßen. "Nicht mal Schlaganfall-Patienten bekommen Folgerezepte für ihre ergotherapeutische Behandlung. Dabei sollte es da auf gar keinen Fall Pausen geben, sonst drohen Rückschritte", mahnt Renate Dachauer. Als die Nachricht kam, dass sie auch per Video therapieren dürfte, kaufte sie sofort Laptop, großen Monitor und Kamera. Doch niemand nimmt das Angebot an.

"Dabei wäre das für viele Menschen eine große Hilfe", sagt die Ergotherapeutin und denkt dabei vor allem an Menschen in Pflegeheimen. "Ich habe freie Mitarbeiterinnen, die nur in Heimen arbeiten und gerade null Einkommen haben. Für die wäre das eine tolle Möglichkeit. Und den älteren Menschen würde das ebenfalls guttun." Auch für Kinder wären die Video-Sitzungen eine gute Möglichkeit, mehr Struktur zu schaffen und im Tun zu bleiben. "Diese besondere Situation erfordert, dass wir spontan sind und neue Ideen umsetzen",so Dachauer.

Auch bei Katrin Friedrich sind 90 Prozent aller Logopädie-Therapien seit Ende März ausgefallen. Viele Patienten sagen wegen der Ausgangsbeschränkung sicherheitshalber ihre Behandlungstermine ab, obwohl die Praxen weiter geöffnet haben. Die Umstellung auf Videotherapie gestaltet sich schwierig. "Viele haben Sorgen wegen des Datenschutzes oder möchten lieber die Eins-zu-eins-Situation Patient-Therapeut." Die Logopädin mit Praxis in Schweinau wünscht sich im Nachhinein, die Praxen der Heilmittelerbringer wären wirklich geschlossen worden. "Dann wäre die Situation nicht so unklar für alle Beteiligten. So ist es ein ewiges Hin und Her." Den geplanten Rettungsschirm für Heilmittelerbringer sieht Friedrich kritisch: "Wie Jens Spahn auf 40 Prozent kommt, leuchtet mir nicht ein. Wieso nicht 60 Prozent wie bei der Kurzarbeit?", fragt sich Katrin Friedrich. "Und: Wie wirkt sich das auf die Besteuerung aus?" Deshalb ist für die Logopädin klar: "So lange es geht, verzichte ich auf die staatliche Unterstützung."

Physiotherapeut Alexander Drexler muss ebenfalls Verluste in Kauf nehmen, wenn auch nicht so viel wie die Kolleginnen in der Ergotherapie und Logopädie: "Wir haben gerade eine Auslastung von etwa 30 Prozent." Man stelle es den Patienten frei, ob sie ihre Behandlung als notwendig erachten oder nicht. "Viele haben Angst vor Ansteckung und kommen deshalb nicht", sagt Drexler, der seine Praxis am Weißen Turm betreibt. Er hat Kurzarbeit beantragt. "Die wahren Verluste spüren wir aber erst später. Die Krankenkassen zahlen erst zwei bis drei Monate nach der jeweiligen Behandlung. Noch leben wir von unserer Arbeit Anfang des Jahres." Daher könne er zunächst auch keine Soforthilfe beantragen. "Ich hoffe wirklich, dass die Regierung noch nachbessert, was die Unterstützung unserer Branche angeht", sagt der Physiotherapeut.

Patienten bleiben fern

Was ist erlaubt, was verboten? Die Verunsicherung betrifft offenbar nicht nur Ärzte und Patienten, sondern auch die Träger von Alten- und Pflegeheimen. Jan Dieckmann ist Physiotherapeut mit einer Praxis am Stadtpark und hat diesbezüglich mehrere Einrichtungen angeschrieben. Viele meldeten sich gar nicht zurück, andere wiesen ihn unter Berufung auf das Besuchsverbot ab. Dabei sind von diesem Verbot Heilmittelerbringer bei medizinisch notwendigen Behandlungen ausdrücklich nicht betroffen, wie er sich von Bernhard Seidenath, dem gesundheitspolitischen Sprecher der CSU-Landtagsfraktion versichern ließ. "Ich als Therapeut sehe nicht zu, wie mir die Träger der Regierung den schwarzen Peter zuschieben. Die Ansteckungsgefahr bei Therapeuten mit Schutzausrüstung ist sicher nicht höher als bei Pflege-, hauswirtschaftlichem oder anderem Personal", so Dieckmann in einer E-Mail an die Redaktion.

Dass der geplante Rettungsschirm nicht ausreicht, findet auch Podologin Annette Walz. Doch die fehlende Wertschätzung der Regierung wird für sie durch die Dankbarkeit ihrer Patienten wettgemacht. "Wir bekommen gerade jetzt so viel Positives zurück", sagt die medizinische Fußpflegerin. Vor allem für ältere Menschen sei die Ansprache während der Behandlung jetzt besonders wichtig. "Wir arbeiten sowieso unter besonderen hygienischen Bedingungen und haben das jetzt noch verstärkt", sagt Annette Walz.

So könne neben der selbstverständlichen Verwendung von Handschuhen und Mundschutz (auch beim Patienten) während der Behandlung zusätzlich noch eine Plexiglaswand heruntergelassen werden, die beide Seiten schützt. "Es sitzt auch nie mehr als eine Person im Wartezimmer." Auch wenn 50 bis 60 Prozent der Patienten weggebrochen sind – in der Praxis in Schoppershof sind auch "normale" Fußpflegerinnen beschäftigt, die derzeit nicht arbeiten dürfen –, bleibt Annette Walz positiv gestimmt. "Ich bin wirklich froh, dass wir Podologen noch arbeiten dürfen." Als größere Praxis mit Angestellten habe sie zudem genügend Rücklagen gebildet, um ihren Angestellten ihr Gehalt weiterhin zahlen zu können. Doch das sei gerade in kleineren Praxen oft nicht möglich. "Ich finde es schlimm, wenn Kollegen jetzt um ihre Existenz bangen müssen. Wegen Corona sollte keine Praxis schließen müssen. Das bekommen sonst ja auch die Patienten zu spüren."

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