Helferin mit Hingabe

31.1.2021, 20:00 Uhr
Gisela Oertel hilft seit fünf Jahren bei der Lebenshilfe - auch mit ihren Kochkünsten.

© Eduard Weigert, NNZ Gisela Oertel hilft seit fünf Jahren bei der Lebenshilfe - auch mit ihren Kochkünsten.

Oje, was das wohl wird? Kann das gut gehen? Sie sagen es nicht, aber Gisela Oertel sieht genau diese Fragen in ihren Gesichtern. Und darin, wie die anderen Reisenden reagieren, als sie mit ihrer Gruppe einsteigt. Es geht nach Norwegen - mit dem Bus. Schwabach und Oslo trennen 1500 Kilometer.

Viele haben Berührungsängste

Aber nicht die Distanz bereitet einigen Urlaubern Sorgen, sondern ihre Mitreisenden: sechs junge Menschen mit Behinderung, begleitet von Gisela Oertel und Maria Siepelt. Oertel nimmt der Reisegruppe das nicht übel, sie kann sie verstehen. Ihr selbst ist es vor vielen Jahren ganz genauso gegangen.


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Als die heute 72-Jährige in Rente geht, will sie mit der freien Zeit etwas Sinnvolles anfangen, sie möchte helfen. An die Arbeit mit behinderten Menschen "hätte ich aber nie im Leben gedacht", sagt Oertel ehrlich. "Ich war ja nie in Kontakt mit Menschen mit Behinderung, das Thema war weit weg", sagt sie. Stattdessen geht es ihr, wie vielen: Sie hat Berührungsängste.

Also sucht die gebürtige Kölnerin, die heute in Wendelstein wohnt, eine andere Aufgabe. Sie landet bei der Hausaufgabenbetreuung. Das passt. "Ich habe Pädagogik studiert, allerdings für Erwachsene", sagt die Rentnerin mit einem sanften Lächeln.

Über die Enkelin zu Ehrenamt

Angewandt hat sie ihr Wissen nach dem Abschluss nicht, außer an ihren drei Kindern. Die zieht sie später alleine groß, findet aber keinen Beruf in ihrem Fachgebiet und wird Bürokraft. "Es war schön, dann doch noch mal pädagogisch zu arbeiten", sagt Oertel, die auch Flüchtlingen Deutsch-Unterricht gibt.

Ihre ehrenamtliche Berufung findet sie an einem Ort, mit dem sie nie gerechnet hätte: bei der Lebenshilfe Schwabach-Roth. Dort landet Gisela Oertel über die Kindergarten-Freundin ihrer Enkelin. Deren Vater arbeitet bei dem Verein, der sich um Menschen mit Behinderung kümmert und immer auf der Suche nach Freiwilligen ist, die mithelfen.

In Gisela Oertel findet er eine Helferin mit Hingabe. Zuerst muss die Rentnerin dafür aber die Berührungsängste überwinden. Vor ihrem ersten Einsatz als Assistentin bei der Bastelgruppe ist sie total nervös, "ich hatte richtig Herzrasen". Ob alles klappt? Wie würden die Teilnehmer auf sie reagieren?

Aber es dauert nicht lange, bis sie merkt, mit was für tollen Persönlichkeiten sie dort zu tun hat. Und wie sie sie behandeln muss: ganz normal. "Alle sind sofort auf mich zugekommen, haben erzählt, wir haben gelacht, es war einfach alles ganz natürlich."

Erst basteln, dann kochen

Zweimal die Woche ist sie zwei Stunden vor Ort, dienstags bastelt sie mit einer Gruppe, am Donnerstag kocht sie mit anderen. Die Vorfreude ist jedes Mal groß, bei den Teilnehmern, die einen der begehrten Plätze bekommen haben, genauso wie bei Gisela Oertel und Maria Siepelt, die Oertel schon seit Jahren zur Seite steht.

"Wir haben einfach immer so viel Spaß", sagt sie. Auch weil jeder machen darf, was er will - und keiner muss. Das ist der 72-Jährigen wichtig. "Die einen schneiden gerne Karotten, die anderen machen gerne Nachtisch." Viele der zwölf Teilnehmer wollen am liebsten das Hackfleisch anbraten, wenn es Spaghetti Bolognese gibt. Jessica schlägt gerne Sahne, manchmal zu gerne. "Einmal war es schon Butter", lacht Gisela Oertel. Dann lachen alle, gemeinsam.

Oertel geht dann einfach schnell los, um nochmal Sahne zu kaufen. Auch das gehört zu ihrer Aufgabe, der Einkauf. Außerdem gibt es für jeden Teilnehmer des Kurses, den die Lebenshilfe zusammen mit der Volkshochschule anbietet, einen Schnellhefter mit Rezepten. "Damit sie daheim mit ihren Eltern nachkochen können."

Am Anfang ist es eine Herausforderung, solche Mengen zu kochen. Das ist Gisela Oertel trotz dreier Kinder nicht gewohnt. "Vor allem hätte ich nicht mit einem solchen Hunger gerechnet", sagt sie und lacht. Mit nach Hause nimmt sie nur den Duft aus der kleinen Küche und ein gutes Gefühl, das ihr jeder dieser Nachmittage gibt.

Auch beim Basteln musste sie sich anfangs erst zurechtfinden. Heute weiß sie, wie viel die Männer und Frauen mit Behinderung in zwei Stunden schaffen, trotzdem probiert sie jede ihrer Ideen vorher aus. "Am Anfang waren ein paar Sachen zu schwer." Wie der Untersetzer, für den halbierte Wäscheklammern aneinandergeklebt werden sollten. "Da kam wenig bei raus", sagt Oertel und grinst. Aber dafür haben sie umso mehr gelacht.

So viel wie auf der Fähre Richtung Oslo. Für viele der jungen Teilnehmer ist das der Höhepunkt der Reise, die danach noch an den Fjorden Norwegens entlang geht. Mehr noch als der Spaß ihrer Gruppe sind Gisela Oertel die anderen Urlauber in Erinnerung geblieben. Mit jedem Bus-Kilometer nähern die sich den Menschen mit Behinderung an.

Am Ende Scheu abgelegt

"Unterwegs haben sie kleine Gruppen mit unseren Teilnehmern gebildet, gemeinsam Karten gespielt", freut sich Oertel. Zwei Paare sind später auf sie zugekommen und haben sich bedankt. Für das wundervolle Erlebnis und wie sehr die Schwabacher ihre Reise bereichert haben. Am Ende sind sie einfach eine Reisegruppe. Ganz natürlich.

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