Kaiserstraße Nummer 38

Das "Haus der Gemälde": Hier begann Nürnbergs Neuanfang inmitten von Ruinen

4.7.2022, 12:00 Uhr
Das rötlich gestrichene Haus mit der Adresse Kaiserstraße 38 steht auf der bayerischen Denkmalliste - aus vielen Gründen.

© Michael Matejka Das rötlich gestrichene Haus mit der Adresse Kaiserstraße 38 steht auf der bayerischen Denkmalliste - aus vielen Gründen.

Die Nürnberger Altstadt, das ist viel mehr als die sattsam bekannte Lebkuchendosenromantik, die es in geschlossener Form spätestens seit dem 2. Januar 1945 nicht mehr gibt – und genau genommen so nie gab. Denn die Architekturgeschichte stand auch in „des Reiches Schatzkästlein“ nicht still. Als sich die Innenstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zur modernen City wandelte, mussten zahllose alte und teils altersschwache Bauten modernen Kaufhäusern, Banken und Hotels weichen.

Der erste, nicht ausgeführte Entwurf für den Neubau von Ochsenmayer & Wißmüller sah 1891 noch eine anderen etwas einfacheren Giebel mit einer bekrönenden Figur vor. 

Der erste, nicht ausgeführte Entwurf für den Neubau von Ochsenmayer & Wißmüller sah 1891 noch eine anderen etwas einfacheren Giebel mit einer bekrönenden Figur vor.  © Ochsenmayer & Wißmüller, NNZ

Und so sieht das Haus zu unseren Zeiten aus. Der Nachkriegsneubau besann sich der Qualitäten des mittelalterlichen Vorvorgängerhauses. 

Und so sieht das Haus zu unseren Zeiten aus. Der Nachkriegsneubau besann sich der Qualitäten des mittelalterlichen Vorvorgängerhauses.  © Sebastian Gulden, NNZ

So war es auch im Falle der Kaiserstraße 38. Wie ein Schlösschen steht es heute auf einem hohen Sockel aus Sandstein. Seine ungewöhnliche Form verdankt es der Lage zwischen der Kaiserstraße und der um einige Meter tiefer liegenden Oberen Wörthstraße. Stirnhäuser wie dieses – also Gebäude, die an der Spitze eines Häuserblocks zwischen zwei Straßen stehen – genießen in Nürnberg seit jeher Beliebtheit, und sie wurden auch meist besonders auffällig gestaltet. Im Bombeninferno vom Januar 1945 untergegangen, aber auf alten Ansichten lebendig, sind etwa das ausnehmend schmale Grolandhaus von 1489 (Paniersplatz 20) und das 1591 vollendete Toplerhaus (Untere Söldnersgasse 17).

Neues in historischem Geiste: Die Ansicht des 1891 vollendeten Wohn- und Geschäftshauses Kaiserstraße 38 war bei Ludwig Müller & Co. als Ansichtskarte erhältlich.

Neues in historischem Geiste: Die Ansicht des 1891 vollendeten Wohn- und Geschäftshauses Kaiserstraße 38 war bei Ludwig Müller & Co. als Ansichtskarte erhältlich. © unbekannt, NNZ

Die Kaiserstraße 38 kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. 1511 erwarb es der Handelsmann und Volksdichter Cunz Has, an den heute die Hasstraße in Eberhardshof erinnert. Aus dem erklecklichen Nachlass der Nürnberger Kauffrau Elisabeth Krauß richtete ihre Stiftung 1639 hier ein Heim für Findelkinder und Waisen ein. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die planliche Überlieferung zu dem Anwesen einsetzt, diente es dann als Wohnhaus und Bierwirtschaft. Restaurateur Johann Michael Ranck hatte es um 1830 im Rahmen einer Versteigerung erworben.

Das Original war nicht typisch genug

1891 dann ereilte den Bau dasselbe Schicksal wie so viele vermeintlich „alde Hüddn“ an der Kaiserstraße, die mittlerweile zur beliebten Flaniermeile avanciert war. Der Treppenwitz der Geschichte: Das originale Alt-Nürnberger „Haus zur goldenen Krause“ war den neuen Eigentümern nicht typisch-nürnbergisch genug. An seiner Statt ließ man einen Neubau im modischen Nürnberger Stil errichten, noch dazu einen, der so ziemlich jedes Klischee über die örtliche Baukunst des 16. Jahrhunderts bediente. Selbstredend war die Optik allein nicht der berühmte Casus knacksus. Vielmehr genügten die vorhandenen Baulichkeiten den Bedürfnissen des Bank- und Lotteriegeschäftes Ludwig Müller & Co. nach Repräsentation, Kundenfreundlichkeit und Sicherheit nicht mehr.

Beim Neubau der Kaiserstraße 38 ließ sich das Planerteam offensichtlich vom oben erwähnten Toplerhaus anregen: Giebel, Zwerchhäuser und weitere Details sind kopiert. Oder besser: zitiert. Denn das namhafte Architektenteam Josef Ochsenmayer und Heinrich Wißmüller war alles andere als ein Duo von Kopisten. Sie versuchten die Baukunst der Altvorderen in ihrem Wesen zu durchdringen und daraus Neues zu erschaffen. Davon zeugen das moderne Erd- und erste Obergeschoss, das weitgehend in großen Schaufenstern aufgelöst war. Dass das Ganze nicht annähernd so blöde aussah wie manch moderner Ladeneinbau, der den Eindruck erweckt, als schwebe das Gebäude darüber in der Luft, liegt an den stämmigen Pfeilern und der gediegenen Gestaltung der Fenstereinfassungen.

Ferdinand Schmidts Ambitionen als Chronist des Nürnberger Stadtbildes ist es zu verdanken, dass uns dieses Bild des Hauses Kaiserstraße 38 vor dem Abbruch 1891 überliefert ist. 

Ferdinand Schmidts Ambitionen als Chronist des Nürnberger Stadtbildes ist es zu verdanken, dass uns dieses Bild des Hauses Kaiserstraße 38 vor dem Abbruch 1891 überliefert ist.  © Ferdinand Schmidt, NNZ

1945 ging das Gebäude mit fast der gesamten Kaiserstraße im Bombenhagel unter. Doch schon 1949 konnten die Mieter das Haus wieder beziehen. Es war der erste Neubau, der in der Altstadt nach dem Zweiten Weltkrieg fertiggestellt wurde. Und er ist ein Beispiel dafür, wie Architekten und Bauherrn versuchten, das verlorene alte Nürnberg traditionsbewusst und doch in der Formensprache ihrer Zeit wiederaufzubauen. Mit dem Erdgeschoss mit seinen Rundbogenarkaden, den verputzten Obergeschossen mit Geschossgesimsen und Fenstergewänden aus Burgsandstein und dem steilen Satteldach übersetzte Architekt Wilhelm Schlegtendal grundlegende Elemente des originalen Hauses in die Formensprache der frühen Nachkriegszeit. Obschon der „Nürnberger Weg“ des Wiederaufbaus grundsätzlich versuchte an das Gewesene anzuknüpfen, gehört die neue Kaiserstraße 38 zu den wenigen Beispielen in der Altstadt, an denen dies in überragender Qualität umgesetzt wurde. Nicht zuletzt deshalb steht der Bau seit 2015 in der Bayerischen Denkmalliste.

Seit 1954 prangt die Fortuna an der Südostecke des Hauses. Als diese Aufnahme 2016 entstand, war die Beschriftung „Haus der Gemälde“ (rechts) noch vorhanden. 

Seit 1954 prangt die Fortuna an der Südostecke des Hauses. Als diese Aufnahme 2016 entstand, war die Beschriftung „Haus der Gemälde“ (rechts) noch vorhanden.  © Sebastian Gulden, NNZ

Einen (wenn auch inoffiziellen) Hausnamen hat das auffällige Gebäude auch wieder: Den meisten Nürnbergerinnen und Nürnbergern ist es als „Haus der Gemälde“ bekannt, obschon die namensgebende Kunsthandlung seit einigen Jahren verschwunden ist. Heute nutzt die Galerie Voigt die Räumlichkeiten im Parterre als Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Übrigens: Die Betonplastik der Fortuna, die mit ihrem nackerten Oberkörper so gar nicht in die prüde Nachkriegszeit zu passen scheint, ist eine Ergänzung von 1954. Sie stammt aus der Werkstatt des Nürnberger Bildhauers Emil Zentgraf, der damit an die für die Altstadt typische Tradition der Hausfiguren anknüpfte. Es bleibt zu hoffen, dass Fortuna diesem besonderen Bauwerk Glück bringen und es erhalten möge.

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie noch historische Fotografien oder Darstellungen eines Schauplatzes in Nürnberg? Dann schicken Sie uns diese bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: NN/NZ, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail an lokales@vnp.de.

Noch viel mehr Artikel des Projekts „Nürnberg – Stadtbild im Wandel“ unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel

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