"Hitler war ein Arschloch"

1.8.2012, 08:00 Uhr

© Horst Linke

„Hitler war ein Arschloch.“ Diesem Satz eines Jugendlichen, niedergeschrieben am 19. Juli dieses Jahres, kann man noch folgen. Doch dass die Ausstellung über die Nazi-Verbrechen in der Kongresshalle „ziemlich lustig“ und „unser Geschichtslehrer und der unbekannte Kerl an der Kasse geil aussehen“, befremdet nicht nur Besucherin Uschi S. aus Nürnberg.

Obszöne Zeichnungen

Obszöne Zeichnungen, Albernheiten, Ignorantes („Wir waren da, ohne was anzuschauen!“, Julia und Alisa aus Freising) in dem beim Eingang platzierten Ringbuch findet S. an diesem Ort schockierend. Sie sagt: „Hemmungslos kotzt man sich da aus.“

Im Haus selbst kennt man das Problem, will aber Unpassendes nicht permanent aussortieren. In den letzten Wochen vor den Ferien kämen täglich bis zu 2000 Besucher ins Dokuzentrum, darunter viele Schulklassen, die „manchmal leider nicht so toll vorbereitet“ seien, erklärt Mitarbeiter Alexander Schmidt auf Anfrage. Zu den Kritzeleien sagt er: „Das muss man aushalten, das ist die Realität.“

Zur Realität kurz vor Ferienende gehöre, dass alle froh seien, dass die Schule endlich zu Ende geht. Schmidt: „Und wir sind die Bühne dafür.“ Außerdem erwische die Schau in dem umgebauten NS–Bau die Kinder oft in einem schwierigen Alter. Wenn dann grundlegendes Wissen über die braune Zeit fehle, werde es eng. Man könne dann nur hoffen, dass sich der Lehrer nicht ins Café im Foyer absetze.

„Kein Aushängeschild“

Er habe selbst schon Pädagogen angesprochen, die ihre Klassen unbeaufsichtigt durchs Dokuzentrum schickten. Er sei doch nur der Mathelehrer, habe einer achselzuckend geantwortet. Gott sei Dank gebe es das ehemalige Reichsparteitagsgelände in der Nähe, wohin Gruppen ausweichen können. Er empfehle das häufig, denn „dort stört es nicht so, wenn sie herumalbern“.

Ein von Architekt Günther Domenig eigens als Pausen- und Gesprächsmöglichkeit für Jugendliche konzipierter Raum sei inzwischen leider zweckentfremdet worden. Ihn teilen sich notdürftig sieben Mitarbeiter des Dokuzentrums, das schon lange unter Platzmangel leidet. Auch die Toilettenanlagen seien dem Ansturm nicht mehr gewachsen. Lange Wartezeiten, verschmutzte Sanitäranlagen, für Historiker Schmidt ist das alles „kein Aushängeschild“.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es finden sich im Ringbuch auch Notizen wie die von Philipp Rose, der artig mitteilt: „Die Ausstellung hat zu meiner Bildung beigetragen.“ Drei neunte Klassen geben „Wir vergessen nie“ zu Protokoll, und auch das jugendsprachliche „Saukrass, ey“ eines anonymen Schülers ist wohl als tiefe Erschütterung zu deuten. Doch die Masse der Einträge ist von anderer Güte.

"Man kann da vieles rauslesen"

Erwachsene, die nicht selten aus Israel oder den USA anreisen und das Gesehene im Gästebuch oft erschüttert kommentieren, hätten sich noch nie beschwert, heißt es. Benjamin Rettig (29), angehender Realschullehrer, analysiert derzeit die Bucheinträge der letzten Jahre für seine Zulassungsarbeit. Er will Rückschlüsse auf die Konzeption der Ausstellung ziehen und sagt: „Es ist gut, dass alles ungefiltert bleibt. Man kann da vieles rauslesen.“ Ergüsse des besonders kritischen Monats Juli hat er bislang allerdings noch nicht untersucht. Radikaler geht das Museum Industriekultur, auch ein beliebtes Ziel von Schulexkursionen, mit seinem Gästebuch um. „In Zeiten, in denen Klassen durchmarodieren, wird es weggeräumt“, sagt Museumschef Mathias Murko. Zehn lesbaren Einträgen stünden 30 unmögliche gegenüber. „Ein leidiges Thema.“

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