Immer mehr Drogentote: Die Stadt wagt einen neuen Vorstoß

1.2.2020, 05:49 Uhr
In sieben Bundesländern gibt es Drogenkonsumräume. SPD und Grüne fordern solche Einrichtungen für Bayern schon lange. Die Staatsregierung hat das stets abgelehnt.

© Foto: Frank Rumpenhorst/dpa In sieben Bundesländern gibt es Drogenkonsumräume. SPD und Grüne fordern solche Einrichtungen für Bayern schon lange. Die Staatsregierung hat das stets abgelehnt.

Die Zahl der Drogentoten in Nürnberg hat im vergangenen Jahr einen alarmierenden Spitzenwert erreicht: Laut Polizeipräsidium starben 34 Menschen (45 in Mittelfranken) wegen einer Überdosis (2018: 15; Mfr.: 26). Im Zehn-Jahres-Vergleich ist das der höchste Wert, den zweithöchsten mit 30 Toten gab es im Jahr 2013.

Für den städtischen Drogenbeauftragten Norbert Kays habe Nürnberg bereits im Oktober mit 23 Drogentoten "eine traurige Spitzenposition" eingenommen. Die Hilfsorganisationen Hängematte, Lilith und Mudra teilen die Feststellung Kays. In einer Stellungnahme von Lilith heißt es: "Bayern hat die höchste Mortalitätsrate der Drogenkonsument*innen aller Bundesländer, Nürnberg hat in Bezug auf die Gesamtbevölkerung die meisten Drogentoten zu verzeichnen."

Keine Angst, erwischt zu werden

Nürnberg besitzt ein Hilfsnetz für Menschen, die süchtig nach harten Drogen wie Heroin sind. Es gibt Notschlafstellen, Beratung, Streetwork, Arbeitsprojekte, betreutes Wohnen, Substitutionspraxen, Entzugsstationen. Laut Sozialreferat aber fehlt ein Baustein im Hilfesystem: ein Drogenkonsumraum.

Bis heute gibt es in Bayern keine solche Einrichtungen, die Staatsregierung lehnte das bislang ab. In sieben anderen Bundesländern zählen sie allerdings zu den Regelangeboten der Drogenhilfe. In Drogenkonsumräumen setzen sich Männer und Frauen unter hygienischen Bedingungen und unter Aufsicht des Personals die Spritzen.


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Sie müssen keine Angst haben, mit den Substanzen von der Polizei entdeckt zu werden und im Notfall erhalten sie medizinische Hilfe. Von den 34 Toten im vergangenen Jahr in Nürnberg starben 14 im öffentlichen Raum – auf Spielplätzen, in Parks oder in Toiletten. "Das ist eine vergleichsweise sehr hohe Zahl", sagt Mudra-Geschäftsführer Norbert Wittmann auf Anfrage.

Ärztekammer ist dafür

Auf kommunaler Ebene werde diese Forderung nach Drogenkonsumräumen seit Jahren durch den Arbeitskreis Sucht wiederholt, erklärt Nürnbergs Sozialreferent Rainer Prölß. 2015 hat sich der Hauptausschuss der Bayerischen Bezirke für Drogenkonsumräume ausgesprochen. Im Oktober 2019 folgte die Bayerische Ärztekammer.

Die SPD hat nun beantragt, dass sich die Stadt bei der Bayerischen Staatsregierung noch einmal für die Schaffung eines Drogenkonsumraums einsetzt. Selbst die junge CSU-Stadtratskandidatin Daniela Eichelsdörfer brachte kürzlich den Vorschlag von "Drogen-Kompetenzräumen" ein, die eine ähnliche Funktion wie Drogenkonsumräume haben sollen. Das Thema wird am 6. Februar, im Sozialausschuss behandelt.

Eher ausbreiten als eindämmen

Einen anderen Blick auf Drogenkonsumräume haben dagegen Polizei und Staatsanwaltschaft. Im Gespräch mit der Lokalredaktion machen Polizeipräsident Roman Fertinger und Generalstaatsanwalt Walter Kimmel auf die Gefahren aufmerksam. "Drogenkonsumräume werden verharmlost", sagt Kimmel.

Damit entsteht ein Angebot, das aus seiner Sicht mehr für ein Ausbreiten, als für ein Eindämmen der Drogenproblematik sorge. "Das ist der falsche Weg." Kimmel plädiert für einen Ausbau des Substitutionsprogramms, in dem Ärzte den Abhängigen etwa den Ersatzstoff Methadon verabreichen.


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Für Roman Fertinger würde mit der Schaffung eines Drogenkonsumraums eine bedenkliche Botschaft mitschwingen: "Man könnte meinen, dass das gar nicht so gefährlich sei, wenn wir ein weiteres Stück Freiraum für illegale Drogen schaffen."

Weniger Polizeipräsenz

Rauchgiftsüchtige seien aber auch eine Gefahr für die Öffentlichkeit. Gewalttäter stehen während der Tat häufig unter Drogen. Durch den dauerhaften Konsum der Substanzen folgen oft psychische Erkrankungen.

Das Konzept von Drogenkonsumräumen sieht auch vor, eine Bannmeile um die Einrichtung zu ziehen, in der die Polizei ihre Präsenz zurücknimmt und Rauschgiftsüchtige nicht mehr nach illegalen Substanzen kontrolliert. Die Konsumräume in Frankfurt haben Schutzbereiche mit einem Radius von bis zu 700 Meter.

Übertragen auf Nürnberg, wäre laut Fertinger damit ein "erheblicher Anteil der Innenstadt" betroffen, zumal ein Drogenkonsumraum zentral liegen soll. "Das bedeutet, dass das gesamte Umfeld der Rauschgiftszene – Dealer, Kleinkriminelle, Stricherszene, Alkoholabhängige – einer polizeilichen Kontrolle entzogen wären."

Ein Pilotprojekt?

"Bannmeilen" wie in Frankfurt müsste es laut Mudra-Geschäftsführer Norbert Wittmann in Nürnberg nicht geben. Die Mudra betreibt seit 30 Jahren das Kontakt-Café in der Ottostraße, einem Treff für Drogenabhängige, die hier frisches Spritzbesteck erhalten, um sich nicht mit HIV oder Hepatitis zu infizieren.


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Sie bekommen auch Beratung und medizinische Hilfe. Nur konsumieren dürfen sie hier nicht, der Handel mit den Substanzen ist auch streng verboten. In Absprache mit der Polizei gibt es im Café und davor keine Kontrollen. "Die Menschen, die zu uns kommen, haben selbst ein großes Interesse daran, geschützt zu sein. Sie halten sich daher an die Regeln."

Dieses Konzept könne man auf eine Einrichtung, in der Drogen konsumiert werden dürfen, übertragen, so Wittmann. "Man kann einen Drogenkonsumraum auch erst als Pilotprojekt starten – und beenden, wenn es in die falsche Richtung geht."

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