Aufbruch

Immer mehr Geschäfte wagen den Neustart in der Pandemie

12.10.2021, 06:00 Uhr
Schließen? Oder umziehen? Nicole Moser-Dümpelmann hat sich für letzteres entschieden und wagt mit ihrem Spielzeugladen "Pfiffikus" den Neustart in Hauptmarktnähe.

© Günter Distler, NNZ Schließen? Oder umziehen? Nicole Moser-Dümpelmann hat sich für letzteres entschieden und wagt mit ihrem Spielzeugladen "Pfiffikus" den Neustart in Hauptmarktnähe.

Umziehen? Oder schließen? Das war die Frage, mit der sich Nicole Moser-Dümpelmann vor einem knappen Jahr konfrontiert sah. Die 45-Jährige hat vor fünf Jahren den Spielzeugladen Pfiffikus übernommen, 35 Jahre lang war das Geschäft in der Ludwigstraße zu Hause. Doch dann kam die Pandemie mit einem zweiten Lockdown kurz vor Weihnachten. Das habe sie kalt erwischt, sagt Moser-Dümpelmann. "Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen." Denn normalerweise erwirtschafte sie in den zwei Wochen vor dem Fest rund ein Fünftel ihres Jahresumsatzes. Sie habe durchaus daran gedacht, komplett aufzuhören, sagt die 45-Jährige.

Doch davon kann jetzt keine Rede mehr sein: Vor wenigen Wochen hat sie in der Plobenhofstraße, einen Steinwurf vom Hauptmarkt entfernt, ihren neuen Laden eröffnet. Ausgefallene Kuscheltiere, hochwertiges Holzspielzeug, besondere Bastelsets und Produkte für Babys und Kleinkinder, die die Entwicklung fördern - ihr Sortiment präsentiert sie jetzt im hellen und freundlichen Ambiente in einem frisch renovierten Laden in einer der Toplagen der Innenstadt. Von der Resonanz der Kunden ist sie schon jetzt begeistert. "Ich habe meine Entscheidung noch keine Sekunde lang bereut." Vor allem die Lauflage habe sich bewährt, so die Geschäftsfrau. In die Ludwigstraße seien zuletzt nur noch ihre Stammkunden gekommen. "Zufällig schaute da niemand vorbei. Hinter dem Weißen Turm hört es für viele auf."

"Das Nürnberger Flair hat mich gepackt"

Moser-Dümpelmann ist nicht die einzige, die in der Pandemie einen Neustart wagt. Nur ein paar Meter weiter nördlich bietet Andrea Rolshausen seit Anfang September ihre "Gewürze der Welt" an - nach München ist es der zweite lokale Standort des Unternehmens, das vor zehn Jahren als reines Onlinegeschäft an den Start ging. Neben Gewürzen hat Rolshausen unter anderem Kochbücher und passendes Zubehör wie Mörser und Gewürzmühlen im Sortiment. An den zweiten Standort wagte sie sich heran, weil sie als systemrelevanter Einzelhandel vom Lockdown ausgenommen war. Während der Pandemie sei die Nachfrage nach ihren Produkten sogar gestiegen, weil die Menschen plötzlich häufiger kochten. "Viele haben da bei uns Rat gesucht." Auch Rolshausen ist mit dem Start zufrieden, sie schwärmt von der "sensationellen Lage" mitten in der Fußgängerzone, auch abends sei die Innenstadt sehr belebt. "Das Nürnberger Flair hat mich total gepackt."

Dass es in der Innenstadt wieder aufwärts geht, scheinen auch die Zahlen des Wirtschaftsreferates zu belegen. Seit Ende vergangenen Jahres standen innerhalb der Stadtmauer zeitweise 47 Objekte leer, derzeit sind es noch gut 30. 14 Betriebe gingen neu an den Start - auch, weil die Konditionen teilweise günstiger sind. Experten sprechen von einem Mietermarkt. "Etliche Vermieter haben die Zeichen der Zeit erkannt und kommen den Mietern entgegen", so Wolfgang P. Küspert, Geschäftsführer der Küspert & Küspert Immobilienberatung, der erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit Wirtschaftsreferent Michael Fraas einen aktuellen Marktbericht zum Thema Immobilien vorgestellt hat. Demnach sinken vor allem in den Toplagen die Mieten, und dieser Trend werde sich noch fortsetzen, glaubt Küspert. "Wir haben wahrscheinlich die Talsohle noch nicht erreicht."

Gerade für inhabergeführte Geschäfte und junge Existenzgründer könne das auch eine Chance sein, sagt Fraas. "Sie schaffen es jetzt auch mal, in die 1A-Lagen hereinzukommen." Bis vor kurzem waren dort bei kleineren Geschäften bis zu 160 Euro Miete pro Quadratmeter fällig, derzeit sind es maximal 140 Euro. Zum Vergleich: In 1C-Lagen wie Vorderer Sterngasse und Ludwigstraße liegen die aktuellen Quadratmeterpreise in kleineren Geschäften der Erhebung zufolge zwischen 18 und 30 Euro.


Pop-up-Läden und begrünte Sitzplätze sollen die Nürnberger City beleben


Unabhängig davon sehen die Experten die Innenstädte vor einem Strukturwandel, der durch die Pandemie noch beschleunigt werde. Noch liegen die Passantenzahlen in den Fußgängerzonen hinter denen des Jahres 2019, wie eine Zählung von Engel & Völkers Commercial an zwei Stichtagen im September ergab. Lediglich im Vergleich zu 2020 sehen die Experten teilweise einen leichten Aufwärtstrend. Dennoch werde es neue Konzepte brauchen , so Küspert. Die Erlebnisqualität werde wichtiger werden, "das reine Anbieten von Waren wird nicht mehr ausreichen." Verkaufsflächen müssten sich zu Showrooms wandeln, der Kunde wolle die Waren erleben. Gefragt sei ein Einkaufserlebnis, das mit kulturellen und künstlerischen Events verknüpft ist. In der Stadt werde künftig auch wieder mehr Raum für Wohnen und Büros sein, weil der Handel in erster Linie die Erdgeschosse nutzen werde. Mit durchaus positiven Auswirkungen, wie Küspert meint. "Die Innenstädte werden mehr zum Leben erweckt als zuvor."

Alternative zu den großen Ketten

Auch Doris Fickenscher glaubt daran. "Wenn nicht jetzt, wann dann?" Unter diesem Motto eröffnete die Geschäftsfrau aus Hof im August den Modeladen "Mimi!" in der Plobenhofstraße. Zu haben sind dort hochwertige Kollektionen von deutschen und internationalen Designern - ein Angebot, das sich vor allem von dem vieler Filialisten abheben soll. "Wir haben doch fast nur noch Ketten", sagt Fickenscher. "Dadurch geht das Individuelle verloren." Auch sie ist mit dem Start nicht unzufrieden, hofft aber, dass der Trend noch weiter nach oben weist.

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