In Mamas starken Gorilla-Armen: So läuft die Aufzucht im Tiergarten

23.11.2019, 06:00 Uhr
In Mamas starken Gorilla-Armen: So läuft die Aufzucht im Tiergarten

© Ramona Such/Tiergarten

Eine erste Bilanz zwei Wochen nach der Geburt des winzigen Menschenaffen: "Es läuft wirklich optimal", sagt Ramona Such, die zuständige Revierleiterin im Nürnberger Tiergarten, "zum Großteil ist das Verhalten instinktiv und hormonell gesteuert. Aber natürlich lernt die Gruppe auch jeden Tag dazu." Die vier erwachsenen Menschenaffen haben zwar in ihren früheren Gruppen teilweise schon einmal Gorilla-Geburten mitbekommen. Doch für dieses Quartett im Nürnberger Affenhaus ist es eine Premiere, keiner der weiblichen Menschenaffen hat bislang Nachwuchs.

Für den Tiergarten ist es der erste Gorilla-Nachwuchs seit 40 Jahren. Entsprechend groß war die Anspannung bei den Mitarbeitern ob alles reibungslos klappt. Und bisher sind alle zufrieden: Gorilla Habibu kümmert sich intensiv um ihr Jungtier und säugt es regelmäßig. Sie sucht geschützte Orte im Gehege auf, an denen sie sich sicher fühlt. Silberrücken Thomas hat seine Vaterrolle angenommen und stellt sich öfter schützend zwischen Mutter, Kind und die Besucher hinter der Glasscheibe im Affenhaus. Und auch die beiden anderen weiblichen Gorilla Lena und Louna nehmen regen Anteil: Sie sind neugierig und streicheln den Winzling gelegentlich - was Mutter Habibu mittlerweile zulässt.

Gerade Louna hätte ganz anders reagieren können: Sie war gleichzeitig trächtig, doch ihr Jungtier ist wenige Stunden nach der Geburt gestorben. In dieser Situation versuchen Tiere mitunter, sich den Nachwuchs einer Artgenossin unter den Nagel zu reißen — am Schmausenbuck war dies zum Beispiel einmal bei den Alpakas der Fall. Das kann zu heftigen Kämpfen führen und die Gruppe sprengen. Doch im Affenhaus blieb es bislang friedlich: "Louna ist das rangniedrigste Tier, da gab es keine Probleme", meint Such. Die Reihenfolge hatten die weiblichen Gorillas schon lange vorher bei Kämpfen festgelegt.

Auch Louna hatte sich intensiv um ihren eigenen Nachwuchs gekümmert: Sie versuchte, dem von Anfang an sehr schwachen Jungtier die Augen vorsichtig mit den Fingern zu öffnen und befreite Mund und Nase von Schleim, um das Atmen zu erleichtern. Nach dessen Tod schleppte Louna den kleinen Körper noch zweieinhalb Tage herum, ehe sie ihn endgültig ablegte. "Wir haben ihr bewusst die Zeit zum Trauern gelassen", sagt der stellvertretende Tiergarten-Direktor Helmut Mägdefrau.

Er betont, dass diese "Affenliebe" im Tierreich nicht generell verbreitet ist. In freier Wildbahn sortieren Raubkatzen bei einem Wurf mit fünf oder sechs Jungtieren die zwei schwächsten aus. "Sie merken, wenn ihr Nachwuchs todkrank oder zu schwach ist", erklärt der Biologe, "sie können es sich nicht leisten, zu viel Energie in die Aufzucht hineinzustecken."

Wenn Tiermütter in Zoos ihren Nachwuchs nicht annehmen oder nicht zurechtkommen, übernehmen Tierpfleger diese Aufgabe. Die Handaufzucht wird heute allerdings mit Skepsis gesehen, weil die Affen, Bären oder auch Greifvögel dann oft auf den Menschen geprägt sind. Früher hatten die Tierparks keine Bedenken. In den 1960er Jahren spazierten Tierpfleger am Schmausenbuck mit kleinen Braun-, Eis- und Klauenbären herum, Passanten durften die Pelzknäuel streicheln und mit Milchfläschchen füttern. Das ist lange vorbei. Heute beschränken Pfleger den Kontakt auf das Nötigste, um Fehlprägungen zu vermeiden. Es gilt generelle Zurückhaltung - also nur so viel Nähe, wie es für das Tier gut ist.

Allerdings bedeutet Handaufzucht nicht automatisch Fehlprägung. Bekanntes Gegenbeispiel ist Eisbärin Flocke, die 2008 in Nürnberg von einem Pfleger-Team aufgezogen wurde. Mittlerweile hat sie im französischen Antibes selbst ein Jungtier und erweist sich als aufmerksame Tiermutter. "Sie ist also kein Verhaltens-Depp geworden", meint Biologe Mägdefrau.

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