In Wien oder Graz wär’ sie eine Gasse

26.4.2021, 15:11 Uhr
In Wien oder Graz wär’ sie eine Gasse

© Foto: Boris Leuthold

Denen, die in der Stadt über die Namen der neuen Straßen und Plätze gebieten – in Nürnberg der Stadtrat mit Beratung des Stadtarchives – war dereinst wahrscheinlich nicht klar, dass gewisse Namen für ungewollte Schenkelklopfer im Volke sorgen würden.

Die Dovestraße in Lichtenhof ist so ein Fall. Kaum ein Anwohner, der sich nicht schon mal den Sparwitz von der "doofen Straße" anhören musste. An die gleichnamige Marke von Körperpflegeprodukten dachte 1910, als die Straße in der Nürnberger Südstadt angelegt wurde, freilich auch noch niemand. Tatsächlich ehrt die Bezeichnung den deutschen Physiker Heinrich Wilhelm Dove (sprich "Dówe", 1803–1879).

Die Straße ist gar nicht so doof

In Wien oder Graz wär’ sie eine Gasse

© Foto: unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Wer einmal durch die Dovestraße spaziert, der merkt schnell, dass diese Straße so "doof" nicht ist: Da die angrenzenden Häuser – die Eckgebäude an den Querstraßen und die vier Ersatzbauten der Nachkriegszeit ausgenommen – über nur maximal drei Vollgeschosse plus Dach verfügen, haftet dem gerade einmal gut 140 Meter langen Verkehrsweg eine kleinstädtische Wirkung an.

In Wien oder Graz wär’ sie eine Gasse

© Foto: unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

In Wien oder Graz trüge sie ganz und gar passend den Namen "Dovegasse". Gerade die geringe Breite der Straße war für die Stadtplaner dereinst der Beweggrund, weshalb man die Geschosszahl der Bebauung beschränkte. Man wollte verhindern, dass sich die Dovestraße in eine dunkle Schlucht verwandelte, in der die Bewohnerinnen und Bewohner in den unteren Geschossen der Häuser ein Dasein im ewigen Schatten fristen mussten. Ähnlich ging man übrigens etwa auch zur selben Zeit in der Gebhard-Ott-Straße in Steinbühl vor.

Teile der Deko aus Stuck erhalten

Die Bauten der ersten Stunde haben sich weitgehend erhalten. Lediglich die Hausnummern 5, 10 und 16 sind Ersatzbauten der Nachkriegsjahre; bei der Nummer 14 hat man das alte Erdgeschoss in den Neubau einbezogen.

In Wien oder Graz wär’ sie eine Gasse

© Foto: Boris Leuthold

Die schmucken Altbauten sind beredte Zeugnisse ihrer Entstehungszeit und des Milieus, für das sie gebaut wurden: Die Mietshäuser, die anfangs überwiegend von Handwerkern, Arbeitern und kleinen Kaufleuten mit ihren Familien belegt waren, besitzen durchwegs Erdgeschosse mit Vollsandsteinfronten zur Straße. Die Obergeschosse indes sind aus Ziegeln gefügt und mit Strukturputz versehen. Kasten- und Polygonalerker sowie Zwerchhäuser mit verschiedenartigen Giebeln, die zumeist auf der Mittelachse der Fassade angeordnet sind, beleben die Hausansichten. An den Häusern Nummer 6 und 12 (Baujahr 1913) haben sich zumindest Teile der einstmals sicher reicheren Dekoration aus Stuck erhalten, an Letzterem zudem Haustür und Hoftor in Spätjugendstilformen.

Mondän und prunkvoll

Die Straßenkneipe, benannt nach dem ersten Wirt Adolf Grasmann, befand sich bis vor ein paar Jahren im Haus Nummer 9. Bei der letzten Renovierung blieben die originale Haustür, die Bogenfenster und der aufgemalte Wirtshausname erhalten, sodass das 1910 erbaute und im Großen und Ganzen recht anschaulich bewahrte Gebäude wieder strahlen kann.

In Wien oder Graz wär’ sie eine Gasse

© Foto: Boris Leuthold

Ungleich höher und prunkvoller gestaltete man die Kopfbauten an den Enden der Straße, die dem kleinbürgerlichen Quartier im wahrsten Sinne des Wortes einen Rahmen geben: Die Häuser Nummer 3 und 18, entworfen 1909 und 1911, stammen beide aus der Hand des Architekten Johann Hertlein. Ersteres besticht durch seine treppenartig zum höheren Nachbarhaus ansteigende Silhouette und die einzige Vollsandsteinfassade der Straße, die zudem mit sparsamem, aber gediegen wirkenden geometrischen Jugendstilornament verziert ist. Vergleichsweise mondän wirkt Hertleins angrenzende Humboldtstraße 136 mit vielen reizvollen Details wie der abgerundeten Nordfassade und den gekuppelten Eingangsportalen.

Die Nummer 134 im Westen steht mit ihrem schlichten, aber effektvollen geometrischen Ornament und dem hohen Mansarddach-Zwerchhaus dem Reformstil und dem Neubarock nahe. Gleichwohl trübt das unpassende moderne Dreiecksfenster im Giebel, das eine andere Neigung hat als die Dachflächen, die Ansicht.

Gepflegte Vorstadtwelt

Fast schon bizarr wirkt dagegen das kristalline Sandsteinornament, ebenfalls im Geiste des Jugendstils, das die Nummer 18 ziert. Bei diesem Gebäude, das im Übrigen als Einheit mit der benachbarten Anne-Frank-Straße 19 konzipiert wurde, handelte es sich um einen vergleichsweise avantgardistischen Entwurf.

In Wien oder Graz wär’ sie eine Gasse

© Foto: Boris Leuthold

Das gegenüberliegende Haus Nummer 13, entworfen 1909 von Leonhard Rögner, bildet ebenfalls ein Tandem mit der Anne-Frank-Straße 25, doch ist die Architektur hier wesentlich spannungsärmer, der Bauschmuck erschöpft sich in Sandsteinmedaillons in Formen des Neubarock.

Insgesamt überliefert die Dovestraße ein anschauliches Bild der Nürnberger Vorstadtwelt in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die bis heute geschätzt und gepflegt wird. Die Alleebäume zu beiden Seiten, obschon erst in jüngerer Zeit gepflanzt, tun ihr Übriges für das Wohlbefinden und das Mikroklima dieses kleinen, aber feinen Stückes Südstadt.

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