„Integration darf nicht vom Zufall abhängen“

24.8.2016, 21:27 Uhr
„Integration darf nicht vom Zufall abhängen“

© Daniel Karmann / dpa

Nein, ein Papiertiger werde die Enquete-Kommission sicher nicht sein. „Immerhin haben die Parteien ihre besten Leute hingeschickt“, sagt Tasdelen mit einem Schmunzeln. Sicher schwingt in dieser Aussage Selbstironie mit, aber in der Tat kann sich die Besetzungsliste sehen lassen. Die CSU entsendet neben dem Integrationsbeauftragten Martin Neumeyer zum Beispiel Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Der parlamentarische Geschäftsführer der Konservativen, Josef Zellmeier, amtiert als Vize-Vorsitzender. Die Grünen werden von Fraktionschefin Margarete Bause vertreten, für die SPD ist neben Tasdelen die Sozialexpertin Angelika Weikert (Stimmkreis Nürnberg-Ost) an Bord.

Neben den insgesamt zehn Abgeordneten aus vier Fraktionen gehören neun von den Parteien bestellte Experten zum Gremium, die auch stimmberechtigt sind. Darunter Wissenschaftler wie Georges Tamer oder Petra Bendel, aber auch Verwaltungsfachleute. Nach der konstituierenden Sitzung, die im Juli stattfand, werde man ab September voraussichtlich zweimal im Monat tagen, erläutert Tasdelen, und dabei Themenblöcke wie Sprache/Bildung oder Wohnen/Stadtentwicklung beackern. Die Sitzungen seien nicht öffentlich, was Taþdelen wichtig findet, damit nicht parteipolitischer Hickhack die sachliche Debatte ausbremst. „Bis zum Herbst 2018, wenn die nächste Wahl ansteht, wollen wir ein Maßnahmenbündel schnüren, das dann in der neuen Legislaturperiode abgearbeitet werden kann.“

Tasdelen liegen dabei die Themenkomplexe Arbeitsmarktintegration, politische Partizipation und kultursensible Pflege besonders am Herzen. Das letztgenannte Thema illustriert er mit einer kleinen Anekdote: Ein türkischer Senior habe ihm erzählt, dass er eine Einrichtung wieder verlassen hat, weil ihm das Frühstück dort nicht passte. „Er sagte zu mir: ,Du lachst, aber ich bin 80. Das Essen ist eine der wenigen Freuden, die mir noch geblieben sind.‘ Er wollte einfach auf sein türkisches Frühstück nicht verzichten.“ Auf solche kleinen Dinge müssten sich die Heime einstellen – schließlich könnten sie dann auch davon profitieren, wenn sie mehr Kunden mit Migrationshintergrund bekämen. Was die Partizipation angeht, plädiert Tasdelen für ein kommunales Wahlrecht für alle, damit sich türkische Bürger auch stärker für das politische Geschehen hierzulande interessieren. Hinsichtlich der Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge verweist der Abgeordnete aus Nürnberg-Nord auf Branchen wie die Gastronomie, die dringend Personal bräuchten.

Der heute 42-jährige Tasdelen, der als Achtjähriger mit seiner Familie aus Anatolien nach Bayreuth kam (seine Eltern leben noch immer dort, sein älterer Bruder Halil ist Stadtrat und SPD-Chef in Bayreuth), betrachtet seine eigene Integration eher als Zufall: „Ich habe Deutsch weniger in der Schule gelernt als dadurch, dass ich mit den deutschen Freunden spielte.“ Aber Integration dürfe kein Zufallsprodukt sein. Er ist daher froh, dass die Parteien sich einvernehmlich auf die Einsetzung der Enquete-Kommission geeinigt haben. Trotzdem äußert er Kritik an der CSU: So hält er es für problematisch, dass die Konservativen ein bayerisches Integrationsgesetz „durchpeitschen“ wollen, welches auf dem Begriff der „Leitkultur“ aufbaut. Dabei wird in dem von allen Parteien abgesegneten Beschluss zur Gründung der Kommission festgehalten, dass dieses Gremium klären soll, „was der Begriff der Leitkultur bedeutet“. „Damit gibt die CSU doch zu, dass sie selbst nicht weiß, was Leitkultur eigentlich ist“, meint Taþdelen.

Im Jahr 2015 hat er selbst für die SPD einen Entwurf zu einem solchen Gesetz vorgelegt, der angesichts der absoluten Mehrheit der CSU indes keine Chance hatte. Damals argumentierten die Schwarzen, man bräuchte das nicht. Ironischerweise findet nun Tasdelen angesichts des Bundesintegrationsgesetzes eine gesonderte Regelung für Bayern überflüssig.

Dass der erste türkischstämmige Abgeordnete im Bayerischen Landtag den Vorsitz der Enquete-Kommission bekam, ist eine Folge der parlamentarischen Spielregeln, die SPD war schlicht an der Reihe. Taþdelen möchte nach 2018 die Umsetzung der Vorschläge weiter als Abgeordneter mitverfolgen – falls der Wähler mitspielt. „Ich habe Spaß an der Politik“, sagt der frühere Zollinspektor. „Insofern würde ich mich sehr freuen, wenn ich weitermachen darf.“

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