Jeder hat eine Geschichte

9.8.2015, 19:49 Uhr
Jeder hat eine Geschichte

© Fotos: Fengler,

Frau Deibler-Grimm, Frau Köhler, wie oft wird eine Bewährungshelferin privat mit Vorurteilen konfrontiert?

Irene Deibler-Grimm: Das kommt natürlich vor, dass sich Leute erkundigen und skeptisch sind, was beispielsweise Rückfallquoten betrifft.

 

Wie kontern Sie dann?

Sabine Köhler: Mit Zahlen. 65 Prozent der Straftäter werden nicht rückfällig. Besonders bei schweren Delikten, wie Totschlag oder Mord, ist die Rückfallquote sehr gering.

Deibler-Grimm: Man muss auch differenzieren: Bei älteren Straftätern bleiben neun von zehn straffrei. Bei den 14- bis 16-Jährigen liegt die Erfolgsquote dagegen bei 20 Prozent.

 

Hatten Sie schon einmal Angst in ihrem Beruf?

Deibler-Grimm: Auch das werde ich oft gefragt. Ich hatte noch nie Bedenken — und ich mache diesen Beruf jetzt seit über 30 Jahren. Natürlich gibt es Straftaten, vor allem, wenn es um Gewalt geht, die auch für mich schwierig sind. Wir bagatellisieren das auch nicht — sondern versuchen eben zu helfen.

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© Fotos: Fengler,

Köhler: Sonst wären wir auch fehl am Platz. Ich beispielsweise lese mir das Urteil gar nicht durch, bevor ich jemand kennenlerne. Und es kommt häufig vor, dass Sie dann jemand vor sich haben, dem Sie seine Tat niemals zutrauen würden.

 

Und doch: Wer bei Ihnen landet, hat mindestens einen Fehler begangen. Wie können Sie helfen?

Köhler: Unsere Aufgabe ist es, die Auflagen, die mit der Bewährung gestellt werden, zu überwachen. Und wir stellen geeignete Hilfe bereit, damit die Klienten straffrei bleiben.

 

Was erschwert Ihre Aufgabe?

Köhler: Das häufigste Problem, mit dem wir zu kämpfen haben, ist Sucht. Alkohol und Drogen sind für die meisten ein Problem. Vor allem Crystal Meth ist unter den Jugendlichen in unserer Region weit verbreitet.

Deibler-Grimm: Und nicht nur das: Fast jeder hat finanzielle Probleme, zum Beispiel Konsumschulden — vor allem durch Handykosten et cetera.

 

Wie kommen die Betroffenen da heraus — Vorurteilen zum Trotz?

Deibler-Grimm: Die Sache mit den Vorurteilen ist, dass viele nur den Straftäter sehen, nicht die Geschichte dahinter. Oft steht dahinter eine problematische Entwicklung, ein desolates Elternhaus, wenig bis keine Schulbildung. Häufig sind wir deshalb auch bei der zweiten Bewährung, nach einem Strafvollzug, erfolgreicher. Dort können junge Leute eine Ausbildung machen — und alte wie junge Straftäter erleben einen strukturierten Tag. Das kennen die bis dahin nicht.

Köhler: Und danach müssen wir ihnen helfen, dass sie Anschluss finden. Wenn es aber mit Wohnung und Arbeit nicht klappt, wird es schwer. Ich hatte erst wieder eine junge Frau, frisch aus der Therapie und voller Elan. Dann hat es weder mit Wohnung noch mit Arbeit funktioniert. Nun hatte sie einen Rückfall. Gerade die Wohnungssuche ist für unser Klientel momentan wirklich sehr problematisch.

 

Wie geht man dann mit dem Stigma „Straftäter“ um? Verheimlichen?

Köhler: Oft bleibt keine Wahl, Arbeitgeber verlangen häufig Führungszeugnisse, Vermieter verlangen Schufa-Auskünfte. Man sollte vielleicht nicht beim Einstieg ins Berufsleben mit der Tür ins Haus fallen: „Ich war mal im Knast.“ Sondern sich einfach bei der Arbeit beweisen. Leider müssen wir vielen schon vorab sagen, dass es mit dem Berufswunsch nichts wird — zum Beispiel im Bereich Security. Aber bei bestimmten Vergehen gilt das auch schon für Jobs an der Kasse.

Deibler-Grimm: Ob der Straffällige privat aber offensiv oder defensiv mit seiner Tat umgeht, ist von Fall zu Fall verschieden — und hängt außerdem stark vom Delikt ab.

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