Kein Millimeter Privatsphäre: Bei den Flüchtlingen im Zelt

5.9.2014, 05:58 Uhr
Kein Millimeter Privatsphäre: Bei den Flüchtlingen im Zelt

© Foto: Michael Matejka

Wieder hält jemand an und lädt vor dem Sportgelände in der Deutschherrnstraße einen Plastiksack aus. Mit Shirts und Schuhen. Die Flüchtlinge zerren an der Tüte. In ein paar Sekunden ist alles verteilt. Wer mit nichts hierhergekommen ist als einem Rucksack und den Kleidern, die er am Leib trägt, schaut, wo er bleibt. „Das ist, wie wenn man in einen Löwenkäfig ein Stück Fleisch wirft“, sagt Gabriele Ziller. Sie meint das nicht abschätzig. Sie ist da, weil ihr das Schicksal der Menschen nahegeht.

Gabriele Ziller ist eine derjenigen, die sofort helfen und nicht warten wollen, bis ein Modus Operandi gefunden wurde, wie mit Spenden zu verfahren ist. Sie hat ihr Auto einfach vollgepackt mit Spielzeug, Tretrollern, Schokolade, mit Kleidung ihres Mannes. Sie deutet auf einen jungen Afrikaner, der die Klamotten jetzt trägt. „Ist alles ein bisschen zu lang. Mein Mann ist ein Riese.“

Sie ist jeden Tag hier. Die Flüchtlinge kennen die blonde Frau mit dem schwarzen Hund schon. Flüchtlingskinder führen „Oskar“ auf der Deutschherrnwiese Gassi. An Ziller werden derweil Wünsche herangetragen. Ein Handy wäre schön, sagt ein Somalier. „One month no call mama!“ Er habe seine Mutter seit einem Monat nicht mehr gesprochen.

In einem Zelt sind Afrikaner untergebracht, im anderen Flüchtlinge, die zum Beispiel aus Afghanistan kommen. 200 Männer, Frauen und Kinder leben momentan an der Deutschherrnstraße. Theoretisch ist Platz für 300. Die Menschen sollen laut Regierung von Mittelfranken nur zwei bis vier Tage bleiben und dann in Unterkünfte  im Freistaat und anderen Bundesländern weitergeleitet werden. Syrische Asylbewerber, die vor wenigen Tagen gegen die Unterbringung im Zelt protestiert hatten, wurden bereits in andere Bundesländer gefahren.

Freie Plätze werden gleich wieder besetzt. Gitter-, Stock- und Feldbetten stehen dicht an dicht. Bewohner schmieren sich Toasts mit Marmelade direkt auf dem Laken. Sie haben keine Teller.

Männer und Frauen, manche alleinerziehend mit mehreren Kindern, sind gemeinsam untergebracht. Es gibt keinen Rückzugsraum, keinen Millimeter Privatsphäre. Die Flüchtlinge wirken sich selbst überlassen. Sie warten. Auf eine menschenwürdige Bleibe. Auf eine bessere Zukunft. Sie wissen nicht, wann es weitergeht und wohin es geht. Nur Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes halten die Stellung. Eine ihrer Aufgaben ist es, die Presse des Platzes zu verweisen.

Verglichen mit den Zuständen in der heillos überfüllten Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf mag die Situation hier erträglicher sein. „Zirndorf war schlimmer“, meint eine aus Afghanistan stammende Frau, alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Nur das Essen sei dort besser gewesen. Manche sagen, in der Deutschherrnstraße reiche es hinten und vorne nicht.

Es fehlt am Nötigsten

Sinan Sengöz (Name geändert) übersetzt, was die Asylbewerber erzählen. Der Nürnberger, der seit 35 Jahren in Deutschland lebt, gehört ebenfalls zu den stillen Helden, die einfach anpacken. „Ich bringe manchmal Essen. Es tut mir weh. Mein Herz blutet. Wo ist der deutsche Sozialstaat?“

Gegenüber dem Flüchtlingscamp reihen sich die schönen Altbauten der Rosenau aneinander. Der Kontrast, er könnte kaum größer sein. Aber wen man hier auch fragt: Man bekommt so gut wie nie Vorbehalte zu hören. „Alle Nachbarn sind betroffen, weil sie direkt sehen, wie die Leute leben“, sagt Anwohnerin Gabriele G.

Die Betroffenheit, sie ist auch in der Frankenstraße groß. Nürnberger bringen Kleidung, Duschgel, Süßigkeiten, obwohl das Flüchtlingszelt versteckt liegt; im Niemandsland in der Südstadt, am Ende eines Industriegebiets.

Neben dem für 100 Männer und Frauen ausgelegten Zelt stehen Duschcontainer. Es geht beengt zu. Aus einer benachbarten Firma dringt Lärm. Es ist noch trostloser als in der Deutschherrnstraße. Denn hier gibt es nichts außer Asphalt. Die Flüchtlinge sitzen draußen und schlagen die Zeit tot. Wenigstens regnet es heute nicht.

Es fehlt offenbar am Nötigsten. Erst heute werden Putzmittel und Lappen geliefert, damit wenigstens Duschen und Toiletten saubergehalten werden können. Ein Security-Mann mit großem Herzen hat eine Wäscheleine besorgt. Damit die Flüchtlinge wenigstens ihre Kleidung aufhängen können.

Auch Petra Lehner-Röss vom städtischen Gesundheitsamt macht sich vor Ort ein Bild. Sie beschreibt die hygienischen Verhältnisse als „durchschnittlich“. Der Anblick der Zeltbewohner rührt sie. „Ich habe das Gefühl, dass viele traumatisiert sind.“

Ein 19-Jähriger aus Mazedonien läuft derweil vor dem Zelt rauchend auf und ab. Er lacht, er findet es „gut“ hier. „Besser als Zirndorf.“ Dort habe es Schlägereien ums Essen gegeben. Und Kämpfe um ein Bett.

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