Keine Normalität in Sicht: So ist die Corona-Lage in den Altenheimen

26.2.2021, 05:50 Uhr
Der Blick ins Freie hilft: Angelika Zillig, Leiterin der sozialen Betreuung, mit einer Bewohnerin auf der Terrasse des Sebastianspitals.

© Michael Matejka, NNZ Der Blick ins Freie hilft: Angelika Zillig, Leiterin der sozialen Betreuung, mit einer Bewohnerin auf der Terrasse des Sebastianspitals.

Der Platz von Bärbel Hoffmanns Sohn ist derzeit ein Stückchen Asphalt vor der Tür. Jeden Samstag steht er dort, seine Mutter lehnt sich zur selben Zeit aus dem Fenster im ersten Stock. So reden sie dann eine ganze Weile, obwohl er eigentlich auch hinein kommen dürfte ins Nürnberger Sebastianspital, um seine Mutter in einem Besuchsraum zu treffen. "Aber er hat Angst, mich anzustecken", erzählt die 77-Jährige, die noch auf ihre Corona-Impfung wartet. Anfang März soll es soweit sein, wenn sie auch die zweite Impfdosis erhalten haben wird, kann sie auch ihren Sohn wieder in die Arme schließen, endlich. Was sich darüber hinaus an ihrem Alltag und dem der rund 250 anderen Bewohner in dem städtischen Seniorenheim am Wöhrder See ändern wird, ist derzeit noch offen.


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"Wir diskutieren gerade in einer Arbeitsgruppe darüber, wie wir aus der Krise in den Altenheimen wieder heraus kommen", sagt Michael Pflügner, der Leiter des städtischen NürnbergStifts (Nüst), zu dem auch das Sebastianspital gehört. Was dürfen Geimpfte? Und was dürfen sie nicht? Wie wird mit Besuchsregelungen umgegangen, welche Veranstaltungen können stattfinden? Dürfen wieder alle gemeinsam essen? Um solche und viele weitere Fragen geht es in dem Gremium, dem auch mehrere Mediziner angehören. Bis Ende März sollen dann detaillierte Handlungsempfehlungen vorliegen. "Wir brauchen ein Ausstiegsszenario", sagt Pflügner. Denn noch ist man von einer Normalität, wie sie vor Corona üblich war, in vielen Häusern weit entfernt, trotz der steigenden Impfquoten.

Angst als stetiger Begleiter

Vor Corona, da war der Terminkalender von Bärbel Hoffmann und vielen ihrer Nachbarn prall gefüllt. Gedächtnistraining, Sitztanz, Sturzprophylaxe: Fast täglich konnten die Bewohner an verschiedenen Kursen teilnehmen. Einmal im Monat stand sogar ein großes Fest für alle auf dem Programm.


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Jetzt dagegen führt der Weg in das Haus noch immer zuerst ins Testzentrum. Wenn der Schnelltest dort negativ war, dürfen Angehörige mit Maske und Schutzkittel ins Gebäude hinein, in der Regel für maximal 30 Minuten und in einem Gemeinschaftsraum. Ausnahmen gibt es nur für die Bewohner von Einzelzimmern.

Die Kurse für die Senioren sind noch auf einige wenige Angebote in Kleingruppen beschränkt, die Teilnehmer wechseln, damit jeder mal zum Zuge kommt. Immerhin dürfen jetzt wieder alle, die es wollen, mehrmals pro Woche gemeinsam essen und dabei zu zweit an einem Tisch Platz nehmen - zuvor, sagt die Altenpflegerin Jasmin Bruckner, war dem Team auch das zu riskant.


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Die Angst, das Virus ins Haus zu tragen und so womöglich den Tod anderer Menschen zu verursachen, hat Bruckner und ihre Kolleginnen in den vergangenen Monaten ständig begleitet. "Wir haben trotzdem alles gemacht, was möglich war", sagt Bruckner. Das ging so weit, dass eine Geburtstagsfeier auf Wunsch auch per Video übertragen wurde, an jene Angehörigen, die nicht dabei sein können. Sie habe überhaupt viel Angehörigenarbeit gemacht, sagt Angelika Zillig, Leiterin der sozialen Betreuung im Sebastianspital. "Die Verwandten brauchen auch mal ein offenes Ohr." Den Bewohnern selbst half sie mit viel Einzelbetreuung durch Phasen der Einsamkeit. "Die Angelika", sagt auch Bärbel Hoffmann, "hat mir immer geholfen."

"Auch das Lächeln, das fehlt"

Bei vielen habe der Ausnahmezustand trotzdem Spuren hinterlassen, sagt Pflügner. Gewichtsabnahme, depressive Phasen, ein Verlust an Muskelkraft und Beweglichkeit durch die fehlenden Kurse, das sind nur einige der Folgen, die es aus seiner Sicht aufzufangen gilt. Der "Weg hinaus", wie der Nüst-Chef es nennt, sei trotzdem nicht einfach. Nicht alle wollen sich impfen lassen, nach dem dritten Termin wird die Quote der Geimpften oder durch eine überstandene Infektion Geschützten im Sebastianspital bei rund 90 Prozent liegen. Es gibt also noch immer Menschen, die sich anstecken können.

Bärbel Hoffmann isst derzeit noch häufig in ihrem Zimmer. Sie wartet noch auf ihren Impftermin.

Bärbel Hoffmann isst derzeit noch häufig in ihrem Zimmer. Sie wartet noch auf ihren Impftermin. © Michael Matejka, NNZ

Im Caritas-Altenpflegezentrum St. Martin im unterfränkischen Hofheim ist die Quote der Gefährdeten zwar sehr gering, 97 Prozent der Senioren sind geimpft. Bewohner und Mitarbeiter haben das mit einem Faschingsumzug gefeiert, zudem sind die bislang getrennten Wohnbereiche jetzt wieder vereint. Weitere Lockerungen seien aber vorerst nicht geplant, sagt Leiterin Melanie Schröder.


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Noch sei schließlich nicht klar, ob Geimpfte das Virus weiter tragen könnten, erst wenn das eindeutig geklärt sei, könne sie sich andere Regelungen vorstellen. Die Bewohner hätten untereinander so viel Kontakt, dass sie mit den derzeitigen Bedingungen klar kämen, sagt Schröder. "Unsere Senioren haben nicht gelitten." Im Heim habe es keinen Ausbruch gegeben, sie sei froh, dass jetzt fast alle geschützt sind.

In Nürnberg wünschen sich Mitarbeiter wie Jasmin Bruckner, die bereits geimpft sind, dass sie wenigstens in absehbarer Zeit mal die Masken ablegen dürfen, vor allem den Bewohnern zuliebe. "Die Menschen wurden uns dann wieder besser verstehen", sagt Zillig. Und alle, die seit Monaten auch auf tröstende Umarmungen verzichten müssen, würden wenigstens wieder die Gesichter der Mitarbeiter sehen. "Es ist", sagt Zillig, "auch das Lächeln, das fehlt."

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