Kinder werden auch in Franken ausgegrenzt: Die Schattenseiten des Homeschoolings

4.2.2021, 18:54 Uhr
Damit das Homeschooling zuhause funktioniert, braucht es die nötige technische Ausstattung. Doch die ist nicht in jeder Familie vorhanden. 

© Bernd Feil/M.i.S. via www.imago-images.de, NN Damit das Homeschooling zuhause funktioniert, braucht es die nötige technische Ausstattung. Doch die ist nicht in jeder Familie vorhanden. 

Mit dem Distanzlernen ist es so eine Sache. An einigen Schulen läuft es, an anderen wiederum überhaupt nicht. Auf der Facebook-Seite dieser Zeitung kommentieren Mütter in den letzten Wochen unterschiedlich. "Ich bin richtig begeistert. Unsere Tochter hat ihren Unterricht digital eins zu eins gemäß dem Stundenplan." Oder aber: "Es würde klappen, wenn die Digitalisierung klappen würde. Bekommen morgens eine E-Mail und dann heißt es: Friss oder stirb."

Voraussetzung dafür, dass das Homeschooling überhaupt funktioniert, sind ein Endgerät und eine Internetverbindung. Doch was, wenn das nicht verfügbar ist? "Diese Kinder fallen in der momentanen Situation hinten raus", sagt Brigitte Schraml-Morgott, Einrichtungsleiterin des Gostenhofer Aktivspielplatzes.


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Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen betreuen Kinder aus sozial schwachen Familien. Neben einer Hausaufgabenbetreuung für Grundschüler gibt es beim Aktivspielplatz auch ein gesundes Mittagessen – für die Kinder sowie Eltern eine Stütze im Alltag, die seit dem Lockdown wegfällt.

Kinder werden ausgegrenzt

Die Situation sei für die rund 30 Kinder, die normalerweise pro Tag den Aktivspielplatz besuchen, "extrem", berichtet Schraml-Morgott. Nicht nur die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fällt für sie weg, auch beim Thema Homeschooling werden sie ausgegrenzt, weil viele Eltern nicht die finanziellen Mittel für eine technische Ausstattung haben. "Wir haben immer wieder Kinder, denen Equipment fehlt", sagt sie. Durch Spendengelder konnten bereits zwei Laptops besorgt werden, die an bedürftige Familien verliehen wurden.

Ähnliche Erfahrungen teilt auch Jean-Francois Drozak, Vater dreier Kinder. Ein Sohn geht in die zweite Klasse einer Nürnberger Grundschule. In den letzten Wochen pflegte er den Kontakt zu Eltern von Klassenkameraden. Das, was er in vielen Gesprächen erlebt hat, nennt er ein "soziales Forschungprojekt" mit dem Ergebnis: Soziale Teilhabe ist mit digitaler Schule nicht vereinbar.


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Er nennt ein Beispiel: Als er in den Weihnachtsferien seinem Sohn das Programm Microsoft Teams installierte, sah er, dass sich nicht einmal die Hälfte der Mitschüler registriert hatte. Er ging auf die Eltern dieser Schüler zu und erfuhr: Die Familien hatten keinen Computer zu Hause, obwohl seitens der Schule Leihgeräte zur Verfügung stehen. Für diese Geräte muss ein Leihvertrag unterschrieben werden, die Eltern haften im Schadensfall. Für einige ein zu hohes Risiko. "Sie haben Angst, in die Schuldenfalle zu gelangen, sollte etwas kaputtgehen", so Drozak. Mit der Zeitung wolle keiner der Eltern sprechen, "sie schämen sich für ihre finanzielle Situation", erklärt er.

Ein Leihgerät löse auch nicht alle Probleme, denn die könne man nur schwer unter Geschwistern teilen. Im Idealfall sollte also jedes Kind sein eigenes Leihgerät haben, um daheim lernen zu können. Für viele Eltern ist das nicht leistbar.

Ein konkreter Fall, dass Eltern aus finanziellen Nöten Angst vor Leihgeräten haben, sei im Schulreferat bislang noch nicht aufgeschlagen, sagt Schulreferentin Cornelia Trinkl (CSU). Ein wertgerechter Umgang müsse natürlich eingefordert werden, "aber unser oberstes Gebot ist: Keiner darf im Homeschooling verloren gehen." Eltern könnten sich jederzeit an das Team "Digitale Schule" der Stadt wenden, die sich um die Verteilung der Leihgeräte kümmert.

Genügend Leihgeräte im Umlauf

Mehrere Tausend Leihgeräte wurden bislang in Nürnberg angeschafft. Vor den Weihnachtsferien wurde seitens der Stadt der Bedarf der Leihgeräte an den Schulen erneut abgefragt. "Auf 83 Schulen verteilen sich über 26.000 Schülerinnen und Schüler – das muss man auch erst einmal stemmen können", sagt der Leiter des Staatlichen Schulamts der Stadt Nürnberg, Thomas Reichert. Mittlerweile sei man, was die Leihgeräte angeht, gut ausgerüstet. Die Laptops und Tablets seien in ständigem Umlauf, um da eingesetzt zu werden, wo sie gebraucht werden.

Reichert versteht, dass viele Eltern mit der derzeitigen Situation überfordert sind. Die Angst, dass sie sich aufgrund der finanziellen Situation keine Leihgeräte für ihre Kinder leisten können, möchte er ihnen nehmen: "Ich kann da nur an die Eltern appellieren: Melden Sie sich! Wir werden immer nach Wegen suchen, dass alle Kinder am digitalen Unterricht teilnehmen können." Einen Schadensfall übernehme in der Regel die Haftpflichtversicherung, so Reichert.

Auch Brigitte Schraml-Morgott vom Gostenhofer Aktivspielplatz hat von den Ängsten rund um die Leihgeräte mitbekommen. "Es langt ja auch nicht, den Kindern ein Gerät mit nach Hause zu geben. Das müssen Eltern wie Kinder auch erst mal bedienen können", sagt sie.


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Denn das sei ein weiteres Problem: Der Umgang beim digitalen Lernen mit Laptops und Tablets ist für die Kinder ungewohnt, auch für die Erwachsenen sei es oft eine Herausforderung, mit digitalen Plattformen konfrontiert zu werden. Nicht alle Eltern können ihre Kinder dabei betreuen, "weil sie nicht das Know-how für die Bedienung oder einfach keine Zeit dafür haben". Diese Kinder seien im Homeschooling auf sich alleine gestellt.

Doch gerade für Erst- und Zweitklässler ist Hilfe besonders wichtig. "Sie kommen ohne die Unterstützung von Erwachsenen nicht aus", sagt Petra Pohl, Schulleiterin der Adalbert-Stifter-Schule. Um auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen zu können, arbeiten die Lehrkräfte an ihrer Schule schülerorientiert und versuchen, alle verfügbaren Kanäle zu nutzen, so Pohl. Ein immenser Kraftakt, wie sie betont.

Hohes Engagement der Lehrer

Jean-Francois Drozak ist begeistert vom Engagement der Lehrkräfte seines Sohnes. Mit Arbeitsblättern, E-Mails, persönlichen Telefonaten und Videokonferenzen versuchen sie, den Fernunterricht für die Zweitklässler am Laufen zu halten. Auch das Team vom Aktivspielplatz gibt sein Bestes. Die ausgefallene Hausaufgabenbetreuung könne man im Lockdown zwar nicht kompensieren, Schraml-Morgott und ihre Kollegen versuchen trotzdem, die Kinder zu beschäftigen: Päckchen mit Mal- und Bastelutensilien, Denkaufgaben und Quizfragen sollen gegen die Langeweile helfen. "Das ist für die Kinder wie auch für uns sehr wichtig", sagt sie.


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Allein mit dem Engagement der Schulen könne das Homeschooling nicht funktionieren, sagt Drozak "Wenn wir Teilhabe wollen, dann braucht es das analoge Klassenzimmer. Lehrkräfte sind unersetzlich." Da immer noch unklar ist, wann es zurück in die Schulen geht, fordert er eine bessere Vernetzung und mehr Miteinander der Eltern. Er ist der Meinung: "Auch wir als Eltern müssen mehr Verantwortung übernehmen. Die Schulen allein können das nicht schaffen. Die, die stärker positioniert sind, müssen die Schwächeren an die Hand nehmen", sagt er. Sein Fazit: "Entweder halten wir alle zusammen oder gar nicht."

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