Kommentar: Plädoyer für eine Denkpause beim Reichsparteitagsgelände

6.10.2019, 05:43 Uhr
Eine Frage, die die Region treibt: Sollte das Reichsparteitagsgelände erhalten bleiben?

© Daniel Karmann dpa Eine Frage, die die Region treibt: Sollte das Reichsparteitagsgelände erhalten bleiben?

Der Umgang mit dem Nazi-Erbe - dem mit Abstand üppigsten, mit dem sich eine deutsche Großstadt herumplagen muss – fordert Nürnberg seit Jahrzehnten heraus. Nun, kurz vor Beginn der millionenschweren Sanierung von Zeppelintribüne und -feld, kann der Eindruck entstehen, dass Nürnberg sich an den Nazi-Steinen verheben, dass das Reichsparteitagsgelände die Stadt am Ende vielleicht doch überfordern könnte.

 

 

Verwunderlich wäre das nicht, schließlich gibt es keine einfachen Antworten auf die Frage, was die richtige Weichenstellung im Umgang mit Hitlers Wahnsinnsbauten im Südosten Nürnbergs ist. Denn Richtig oder Falsch sind Kategorien, mit denen diesem Areal nicht beizukommen ist.

Denn es gibt keinen Königsweg: Ob kontrollierter Verfall (von etlichen Experten favorisiert), Abriss (den kaum jemand ersthaft fordert) oder Sanierung (der eingeschlagene Weg der Stadt, den auch etliche Fachleute für gut heißen), es gibt viele Optionen.

Und dass darüber so ernsthaft und konzentriert wie beim NN-Forum diskutiert wird, ist eine vorbehaltlos gute Nachricht. Das war nicht immer so: Nach Jahrzehnten des Schweigens und Verdrängens folgten Jahrzehnte des Sich-am-Gelände-Abarbeitens. Mit der Eröffnung des Dokuzentrums im Jahr 2001, der Verabschiedung der Leitlinien durch den Stadtrat (2004), einem breit angelegten Symposium 2014 und den jetzigen Plänen stellt sich Nürnberg seit geraumer Zeit mustergültig seiner braunen Vergangenheit.

Nur scheint die Situation in jüngster Zeit etwas festgefahren, die Stadt unflexibel geworden zu sein. Gleich, was seriöse Kritiker entgegnen, reflexartig wird auf den Nürnberger Weg verwiesen. Dabei gäbe es gute Gründe innezuhalten. Wenn der Leiter der niedersächsischen Gedenkstiftung, Jens-Christian Wagner, den Nutzen von Autorennen (Norisring) infrage stellt oder als Alternative zu einer Komplettsanierung eine Teilbegehbarkeit als ausreichend ansieht, sollte darüber zumindest nachgedacht werden. Gleiches gilt für die Frage, welchen erinnerungspädagogischen Sinn es denn ergeben soll, die Rednerkanzel auf der Zeppelintribüne (auch "Führerkanzel" genannt) zugänglich zu halten. Viele Besucher missbrauchen diesen Ort als zweifelhaftes Motiv für noch zweifelhaftere Selfies.

Auch über die Frage der Verhältnismäßigkeit sollte offener als bislang geschehen debattiert werden: Während Opferorte wie die KZ-Gedenkstätten um jeden Euro kämpfen müssen, macht der Bund für Nürnbergs "Nazi-Steine" (Wagner) 40 Millionen Euro locker. Karl Freller, Direktor der bayerischen Gedenkstätten und gewiss kein Gegner der Nürnberger Pläne, verweist zu Recht auf diesen Aspekt. Und warnt eindringlich vor einem Exlodieren der Kosten: Flösse am Ende ein dreistelliger Millionenbetrag in den Erhalt der Zeppelintribüne, wäre dies gegenüber den Vertretern der Nazi-Opfer kaum vermittelbar. Gleiches gilt für den Einwand, in Nürnberg blicke man zu sehr auf die Jahre 1933 bis 1938, also auf die Jubelzeit des Nazi-Regimes.

Festzumachen ist dies unter anderem am kaum beachteten Bahnhof Märzfeld, ebenfalls Teil des Reichsparteitagsgeländes. Von dort aus erfolgten Deportationen von Juden in die Vernichtungslager, hier kamen Kriegsgefangene in Nürnberg an. Dieser eines Gedenkens ebenfalls würdige Ort führt ein Schattendasein.

Liegt der Fokus vielleicht zu sehr auf der Selbstbeweihräucherungsphase (Reichsparteitage) der Nazis, werden die Kriegsjahre ab 1939 mit den NS-Verbrechen bei den Sanierungsplänen zu wenig berücksichtigt? Dies käme einem "mit Gold" gepflasterten "erinnerungspolitischen Irrweg" gleich, warnt in der Zeit der Experte Constantin Goschler.

All dies sind berechtigte, zum Teil erst in den letzten Jahren durch neuere Forschung formulierte Fragen, die nicht leichtfertig vom Tisch gewischt werden sollten. Wenn OB Ulrich Maly über einige der Bedenkenträger wenig respektvoll als "Hörsaal-Historiker" spricht, zeugt das von wenig Souveränität. Genauso falsch wäre es, wenn Kritiker des Nürnberger Weges von "Stadt-Historikern" sprechen würden, wenn es um die Ideengeber für das aktuelle Konzept geht.

Bevor das viele Geld in den Erhalt der Tribüne gesteckt wird, sollten sich alle Beteiligten nochmals die Zeit nehmen, um sich selbst zu vergewissern, ob der eingeschlagene Weg noch immer zeitgemäß ist.

Was muss erhalten werden und was nicht? Und vor allem, warum? Nürnberg hat bislang vorbildliche Arbeit geleistet und sollte nun, quasi auf der Zielgeraden, keinen Fehler begehen. Erinnerungskultur ist in stetem Wandel – das gilt auch und gerade mit Blick auf Nürnbergs Nazi-Erbe.

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