Nürnbergs schwieriger Umgang mit dem NS-Erbe

Kongresshalle: Die Steine des Anstoßes

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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23.2.2022, 05:55 Uhr
Groß. Das ist der erste Eindruck, wenn man sich der Kongresshalle vom Volksfestplatz aus annähert. Sehr groß.

© Eduard Weigert, NNZ Groß. Das ist der erste Eindruck, wenn man sich der Kongresshalle vom Volksfestplatz aus annähert. Sehr groß.

Was tun mit einem unvollendeten Riesenbauwerk, das - wenn auch nicht für tausend Jahre - noch vielen Jahrzehnten allen äußeren Einflüssen trotzen dürfte? Eine Frage, an der sich Nürnbergs Stadtspitze gerade abarbeitet. Fakt ist: So viel Beschäftigung mit dem größten Relikt des NS-Erbes in der Stadt gab es noch nie. Grund genug für einen genaueren, durchaus persönlich gefärbten Blick.

Die Fakten

Auf dem hufeisenförmigen Grundriss von 275 Metern Länge und 265 Metern Tiefe sollte die größte Halle der Welt entstehen. Nicht weniger sah die Vision Hitlers vor. Umsetzen sollten das die Architekten Franz und Ludwig Ruff (also nicht Albert Speer, der für den Rest des Reichparteitagsgeländes verantwortlich zeichnete). Tatsächlich wurde das Bauwerk nie vollendet, 1935 begonnen, setzte der Zweite Weltkrieg den wahnsinnigen Plänen ein Ende.

Übrig geblieben ist ein Torso, im Grunde lediglich der Toiletten- und Treppenhaustrakt der geplanten Halle, dessen Fassade rund 40 Meter hoch ist und somit knapp die Hälfte der vorgesehen 70 Meter erreicht hat. Genutzt werden sollte die Halle, deren Überdachung, wäre sie denn erfolgt, seinerzeit als architektonische Glanzleistung gegolten hätte, für die Rede Hitlers an die politischen "Führer" der NSDAP. Schon darin manifestiert sich der Irrsinn der NS-Propaganda: Ein solches Bauwerk nur für die wenige Tage andauernden Reichsparteitage anzudenken, zeugt von Größenwahn im Endstadium.

Das kennen die Volksfestbesucher nicht anders: Eine Fahrt mit dem Kettenkarussell bietet einen Ausblick auf die Kongresshalle.

Das kennen die Volksfestbesucher nicht anders: Eine Fahrt mit dem Kettenkarussell bietet einen Ausblick auf die Kongresshalle. © Karlheinz Daut, NNZ

Pragmatisch: Der anfängliche Umgang mit dem Torso

Den US-Soldaten war der Kongresshallen-Torso egal. Sie erkoren das einzig fertiggestellte Bauwerk aus dem Reichsparteitagsgelände, die Zeppelintribüne, als Ziel ihrer Symbolik aus: Dort wurde das riesige Hakenkreuz gesprengt, die in Sichtweite stehende Kongresshalle spielte keine Rolle. Aus den Nachkriegsjahren stammt denn auch die verschämte Bezeichnung des Propaganda-Bauwerks als "Ausstellungsrundbau". Tatsächlich ging es seinerzeit sehr pragmatisch zu: Was im zerbombten Nürnberg nicht zerstört war, wurde genutzt.

So erregte die Öffnung der leerstehenden Räumlichkeiten unter anderem für die Bauausstellung 1949 keinerlei Anstoß. Auch der anschließende Hauptzweck als Lagerraum schien eine äußerst angemessene Umgangsform. Die aufstrebende "Quelle" blieb über Jahrzehnte einer der Hauptmieter, noch heute zeugen Relikte von der Nutzung durch das Versandhaus. Viele anderen Firmen, aber auch etliche städtische Nutzer sind bis heute mit den Räumlichkeiten, denen es (fast) an jeglicher Infrastruktur fehlt, zufrieden. Der Widerspruch gegen die jüngst von der Kommune erfolgte Kündigung der Mietverhältnisse zeugt davon.

1949 wurde die Kongresshalle für die Deutsche Bauausstellung belegt, auf der Balustrade im zweiten Obergeschoß gab es für die Zeit der Schau sogar ein Terrassencafé.

1949 wurde die Kongresshalle für die Deutsche Bauausstellung belegt, auf der Balustrade im zweiten Obergeschoß gab es für die Zeit der Schau sogar ein Terrassencafé. © arc-200411_cd10-20091229-222951-0452.jpg, NNZ

Verworfen: Besondere Ideen hatten keine Chance

Es gab aus heutiger Sicht auch einige absurd anmutende Ideen der Nutzung: 1962 wurde seriös über ein Fußballstadion im Innenhof diskutiert, 1987 über ein luxuriöses Einkaufszentrum samt Wellnessanlagen. Weit gediehen sind derlei Pläne nie. Irgendwie, dieser Eindruck drängt sich auf, wusste niemand so recht etwas anzufangen mit dem Torso. So verwunderte es auch nicht, dass stets die Zeppelintribüne und das Zeppelinfeld der Kongresshalle die Schau im öffentlichen Diskurs gestohlen haben. Dass die überfällige und somit umso verdienstvollere Auseinandersetzung mit dem Nazi-Erbe Nürnbergs in der Steintribüne ihren Anfang nahm, war nur konsequent.

Die Kongresshalle, im Volksmund wegen der unverkennbaren Ähnlichkeit längst zum Kolosseum mutiert, stand im Abseits. Lediglich beim Volksfestbesuch diente sie den Nürnbergern als vertraut gewordene Kulisse, im Kettenkarussell sitzend gab sie einen wunderbaren Hintergrund. Und wer über den Durst getrunken hatte, betrat dann auch mal das Innere des Gebäudes, denn Polizei und Rettungskräfte nutzten und nutzen die Räume für ihre Volksfestwachen ebenso wie der Süddeutsche Schaustellerverband.

Aufgehübscht: die Kongresshalle in einer Werbung für Sommerkonzerte.

Aufgehübscht: die Kongresshalle in einer Werbung für Sommerkonzerte. © Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, NN

Sinnstiftend: Der Einzug des Dokuzentrums

Es sollte bis 1994 dauern, als erstmals die Idee aufkam, der Anlage doch noch einen nachträglichen Sinn einzuhauchen: Der Grazer Architekturprofessor Günther Domenig gewann den Wettbewerb und erwies sich als absoluter Glücksfall für den Umgang Nürnbergs mit dem Nazi-Erbe. Allerdings bedurfte es privater Anschubfinanzierung, um das Vorhaben umzusetzen. So setze der Herausgeber der Nürnberger Nachrichten, Bruno Schnell, ein unmissverständliches Signal als er 250.000 Mark für das Vorhaben stiftete.

Seit der Eröffnung 2001 überzeugt das Dokuzentrum wegen seines symbolischen Pfahls, mit dem Domenig die monströse Nazi-Bauweise durchbrochen hat. Die Ausstellung ist mittlerweile in die Jahre gekommen und wird nach einer Umbaupause 2024 zeitgemäß neu präsentiert. Der Umbau ist unter anderem deshalb nötig geworden, weil die anfangs kalkulierte Besucherzahl von 100.000 pro Jahr schon nach wenigen Jahren deutlich übertroffen wurde. Übrigens: Der Südflügel der Kongresshalle wird seit langem kulturell genutzt, dort haben - nach einer Interimsnutzung durch das Schauspielhaus - die Symphoniker ihren Saal und ihre Büros bezogen, im Innenhof des Kopfbaus treffen sich im Sommer Konzertbesucher im Serenadenhof. Die Aussage, kulturelle Nutzung und die Kongresshalle passten nicht zusammen, kann also getrost ins Reich der Fabel verwiesen werden.

Vermittelt die Monstrosität wie das Scheitern: der trostlose Innenhof.

Vermittelt die Monstrosität wie das Scheitern: der trostlose Innenhof. © Isabel Lauer, NN

Der Innenhof: Von Erinnerungsexperten geschätzt, sonst kaum beachtet

Dahin gehört wohl auch die jüngst immer häufiger zu vernehmende historische Aufladung des Innenhofs. Denn dieser hat seit 1945 ein eher tristes Dasein geführt. Wen es bei einem Spaziergang oder einer Radtour mal dorthin verschlagen hat, der traf auf parkende Fahrzeuge, Bauschuttansammlungen (derzeit übrigens wegen des Dokuzentrums-Umbaus erneut zu bewundern). Früher diente das Areal als Abstellplatz für abgeschleppte Autos. Und heute? Werden Erinnerungsexperten nicht müde, auf den unersetzlichen Wert des leerstehenden Hofes zu verweisen.

Nur dort - bis zu solchen Aussagen steigert sich das Narrativ der 2020er Jahre - seien gleichzeitig die Monstrosität und das Scheitern der NS-Propaganda-Architektur zu sehen. Wenn dem so wäre, bleibt die Frage, warum die Zeppelintribüne so aufwändig saniert werden muss? Es gibt nicht wenige Stimmen außerhalb Nürnbergs, die diese Bedeutung des Innenhofes bestreiten. Der Hof eignet sich als besser für einen kleinen Historikerdisput denn als dauerhaftes Tabu.

Die Vision: Kultur zieht dauerhaft ein und deutet das Bauwerk um

Fakt ist: Am Ende des Rundgangs durch das Dokuzentrum werden die Besucher auf das Ende von Domenigs Pfahl geführt. Und von dort fällt ihr Blick in den Innenhof. Dieser sollte also keinesfalls komplett verbaut oder gar durch eine Fassadenerneuerung beeinträchtigt werden. Letzteres würde schon der Denkmalschutz verhindern, unter dem das Gebäude seit 1973 steht. Doch gegen eine kulturelle Nutzung spricht wenig bis nichts. In den Innenräumen der Kongresshalle ohnehin nicht, siehe Dokuzentrum und Symphoniker, die seit Jahrzehnten dort kulturell aktiv sind. Wenn in wenigen Jahren Ateliers und das Staatstheater dort einziehen, die freie Szene sich mit der Hochkultur vermischt, kann das zu einem spannenden Miteinander führen. In den kommenden Monaten werden dafür die Weichen gestellt.

Erstens: Weil der Standort für die Ausweichspielstätte der Oper festgelegt werden muss. Zweitens: Weil ein Gesamtkonzept inklusive einer Dauernutzung des Operninterims konzeptionell fixiert werden sollte. Nürnberg, das sollte am Ende den Ausschlag für einen neuen Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände geben, kann von dem Nazi-Erbe, mit dem keiner so recht etwas anzufangen wusste, auf Dauer sogar profitieren. Indem es den Ungeist der Hitler`schen Propagandabauten durch zeitgemäße Kulturprojekte bricht. So wie das Domenigs Pfahlbau architektonisch vermocht hat, kann dies auch durch eine neue Nutzung gelingen. Nur Mut!

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