Körperwelten in Nürnberg: Besuch im Kabinett des "Dr. Tod"

7.10.2014, 15:02 Uhr
Das Hauptziel der von Hagens liegt in der Herstellung von Präparaten für die wissenschaftliche Ausbildung.

© C. Helldörfer Das Hauptziel der von Hagens liegt in der Herstellung von Präparaten für die wissenschaftliche Ausbildung.

Gunther von Hagens steht auf dem Dach des Fabrikareals im brandenburgischen Guben, in dem sich sein Plastinarium und damit Tausende von menschlichen Körpern in verschiedenen Stadien der Präparation befinden. Die Gebäude stehen direkt am Ufer der Neiße, die hier die Grenze zu Polen markiert. Unten im Hof schwimmt der bleiche Körper einer toten Giraffe in einem riesigen Bassin. "Am liebsten würde ich auch noch einmal einen Blauwal plastinieren", meint der in den Medien auch gerne als "Dr. Tod" bezeichnete Erfinder einer spektakulären Methode zur Konservierung anatomischer Präparate.

Dafür- und für die weitere Verbesserung seines Plastinationsverfahrens - tüftelt er nach wie vor unermüdlich in einer Kette von Labor-Zimmern, in denen sich zahlreiche Präparate neben skurrilem technischen Gerät wie einer alten Sonnenbank dicht an dicht drängen. Hier glaubt man sich wirklich im Labor eines von seiner Idee besessenen Wissenschaftlers wiederzufinden. Die Räume selbst sind absolut schmucklos, wenn man von den aus früheren Zeiten hängengebliebenen Pin-UpFotos absieht. Sie sorgen jetzt für einen krassen Kontrast zu den OrganAbgüssen, in Kunststoff gehärteten Körperscheiben und anderen Experimental-Präparaten.

 

Station auf dem Quelle-Gelände

Nicht einmal die unerbittlich fortschreitende Parkinson-Erkrankung, die das Sprechvermögen des 1945 geborenen Wissenschaftlers bereits stark eingeschränkt hat, hält den stets mit Hut und Weste gekleideten Joseph-Beuys-Doppelgänger von der Umsetzung seiner Visionen ab. "Mein Vater war schon immer ein absoluter Workaholic", sagt dazu sein Sohn Rurik, der sich nun hauptsächlich um den Betrieb im Plastinarium und die weltweit tourenden Ausstellungen der "Körperwelten" kümmert. Vom 24. Oktober bis zum 11. Februar 2015 macht die Themenschau "Körperwelten - Eine Herzenssache" auch in Nürnberg auf dem ehemaligen Quelle-Gelände Station.

Der Gubener Gebäudekomplex mit seinen kantigen Ziegelbauten strahlt nur von außen Beschaulichkeit und Industrieromantik aus. Am Eingang wird der Besucher dann von Skeletten empfangen, die "originale Gubener Wollhüte" tragen und daran erinnern, dass sich hier einst eine Tuchfabrik befand. Außerdem stellt eine Wand mit reproduzierten Zeitungs-Schlagzeilen unter Beweis, dass Gunther von Hagens Plastinate bereits mindestens genauso viel Pressewirbel verursacht haben wie die Fettecken seines optischen Doubles: Vom Angriff auf die menschliche Würde und makabrer Sensationsgier ist zu lesen, von Hagens alias "Dr. Tod" wird in verschiedenen Sprachen abwechselnd als moderner Frankenstein oder Leichenfledderer bezeichnet. Auch in Nürnberg ist die "Körperwelten"-Ausstellung umstritten.

Das Video vom Plastinarium in Guben wird präsentiert von FrankenFernsehen.tv:

 

Derart eingestimmt, könnte man im Inneren glatt ein modernes Horrorkabinett erwarten. Doch was folgt, ist ein nach allen Regeln der Präsentationskunst ausgestattetes Riesen-Panoptikum zur menschlichen Anatomie und der Geschichte der Plastination. Auch der Hauptzweck der Anlage - die Plastination von menschlichen Körpern - wird in den Rundgang mit einbezogen.

Plastinaten für Lehre

"Unser Hauptziel liegt ohnehin in der Herstellung von Präparaten für die wissenschaftliche Ausbildung", betont Rurik von Hagens, der die Geschäftsführung des Unternehmens von seinem Vater übernommen hat. Mit den mittlerweile neun existierenden Körperwelten-Ausstellungen sei es fürs Erste genug. Sie würden deshalb nur noch in Einzelfällen weiter ausgebaut. Die Nachfrage nach Plastinaten für Lehre und Wissenschaft ist laut Rurik von Hagens so groß, dass der Betrieb mit den Lieferfristen zu kämpfen hat. Schließlich dauere der Plastinationsprozess bei einem kompletten Körper rund ein Jahr.

"Wir halten hier alle Bereiche offen, damit die Besucher sehen können, was wir tun", unterstreicht der Geschäftsführer. "Das gilt auch für unsere Produktion, wir sind eine absolut gläserne Fabrik." Neben Einzelbesuchern, die am Wochenende Zutritt erhalten, kommen auch Studentengruppen oder medizinische Experten nach Guben, um sich mit Anatomie und Plastination zu befassen.

«Je älter ich werde, umso mehr empfinde ich das Leben
als große Ausnahme von der Regel des Todes
»

 Gunther von Hagens

Bei einem Besuch der "Lernwerkstatt" ist durchaus eine gewisse Abgeklärtheit im Umgang mit dem menschlichen Körper gefragt. Hier sitzen die Mitarbeiter mit Pinzette und Skalpell vor den bereits mit Formalin konservierten Körpern und entfernen Tag für Tag geduldig Haut, Fett sowie die dünnen Schichten von Bindegewebe, das den Blick auf Muskeln, Organe, Knochen und Sehnen verdeckt. Auf den Tischen liegen Arme, Beine, innere Organe, Torsi und Köpfe von ehemaligen Körperspendern auf ihrem langen Weg vom Leichnam zum Demonstrationsobjekt.

Gruselig oder eklig?

Ist das nicht gruselig oder eklig? Keine Spur, findet die aus der Ukraine stammende Laura Bude, die gerade einen halben Kopf präpariert: „Man darf natürlich nie vergessen, dass dies hier einmal ein Mensch war.“ Gleichzeitig gehe es aber um ein anatomisches Präparat, das nur noch bedingt mit der früheren lebenden Person identisch sei. Die ehemalige Medizinstudentin findet ihre Arbeit jedenfalls erfüllend, vielschichtig und manchmal auch berührend: Bei einem Treffen mit zukünftigen Körperspendern habe einer von ihnen sogar zu ihr gesagt, für ihn sei es eine durchaus positive Vorstellung, „wenn nach meinem Tod einmal eine schöne Frau an meinen Zehen herumzupft“.

Gut 1500 Arbeitsstunden sind nötig, bis ein Plastinat seine endgültige Form angenommen hat. Gewebswasser und Fette müssen noch durch Aceton und dann durch Kunststoff ersetzt werden. Dies geschieht in einem anderen Teil des Fabrikareals. Am Ende wird das Plastinat noch in seine zukünftige Form gebracht, gehärtet und mit Silikonkautschuk bzw. Epoxidharz durchtränkt.

"Die anatomische Zergliederung eröffnet uns die Tiefen der Natur mehr als jede andere Bemühung und Betrachtung", urteilt Johann Wolfgang von Goethe. Und in der Tat: Die echte Raucherlunge in der Ausstellung wirkt überzeugender als Argument gegen den blauen Dunst als jedes Schock-Foto auf der Zigarettenschachtel. Ob die anatomischen Schaustücke unbedingt als Eiskunstläufer, Pokerspieler, fliegender Dämon oder als Liebespaar arrangiert werden müssen, ist eine andere Frage. Die mittlerweile bereits rund 15 000 Körperspender aus aller Welt hat eine mögliche Zurschaustellung in dieser Art und Weise offenbar aber nicht abgeschreckt: „Die meisten sind von der Idee fasziniert, in eine Ausstellung zu kommen“, sagt jedenfalls Rurik von Hagens. Angesichts der großen Plastinate-Nachfrage aus der Wissenschaft stehen ihre Chancen dafür im Moment aber eher schlecht.

In Nürnberg ist vom 24. Oktober 2014 bis 11. Februar 2015 "Körperwelten - Eine Herzenssache" auf dem Quelle-Areal, Fürther Straße 205, zu sehen. ZAC-Card-Besitzer erhalten Rabatt. Infos: www.koerperwelten.de

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