Verband feiert 75-jähiges Bestehen 

Kreisjugendring Nürnberg-Stadt: "Viel mehr als nur Freizeitbespaßung"

22.6.2021, 08:23 Uhr
Jessica Marcus ist seit 2017 Vorsitzende des KJR.   

© Michael Matejka, NNZ Jessica Marcus ist seit 2017 Vorsitzende des KJR.   

Frau Marcus, der Kreisjugendring Nürnberg-Stadt wird 75, aber eine große Feier kann nicht stattfinden. Traurig?

Infektionsschutz geht vor. Wir sind froh, dass in der Jugendarbeit überhaupt wieder Präsenzangebote möglich sind.
Ist Ihnen das Thema, wie es den Jugendlichen in der Corona-Krise geht, in der Öffentlichkeit zu kurz gekommen?

Definitiv. Gerade politisch wurden Jugendliche, vor allem auf Landesebene, nicht als Jugendliche an sich wahrgenommen, sondern in ihren Rollen als Schüler oder Auszubildende. Ich hatte oft den Eindruck, dass KJR und Verbandsarbeit als reine Freizeitbespaßung gesehen wird. Das sind wir aber nicht. Wir bieten außerschulische Bildungsarbeit, sind ein wichtiger Anlaufpunkt, was die Ausbildung von sozialen Kompetenzen betrifft, und Ansprechpartner in Krisensituationen.

Damit gelingt ein Brückenschlag in die Vergangenheit, denn der Bildungsauftrag stand auch am Anfang der Geschichte des KJR, die mit der Gründung am 2. Mai 1946 beginnt.

Es war der Wille der Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg, die Jugendverbandsarbeit wieder zum Leben zu erwecken, um demokratische Strukturen zu festigen. Gegründet wurde der KJR von sieben Personen aus sieben Verbänden. Der Vorsitzende Andreas Staudt war gleichzeitig der Jugendamtsleiter der Stadt Nürnberg.

Was prägte die frühen Jahre?

Es war nach dem Drill in Zeiten der Hitler-Jugend Aufgabe, ein Selbstverständnis von Freizeit auszubilden. Intern wollten wir bald mehr Selbstständigkeit. Es kam 1951 zu einer Kampfabstimmung um den Vorsitz zwischen Staudt und dem Pfarrer Norbert Rückert, die der Pfarrer gewonnen hat. Ab da waren wir unabhängig. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, aber es wäre heute nicht mehr vorstellbar, dass jemand aus dem Amt in unserem Vorstand sitzt.

Aus den sieben Verbänden sind 64 geworden, zuletzt kam im Mai der Verein „Jugend in der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken Nürnberg“ hinzu. Warum schließen sich die Verbände im KJR zusammen und machen nicht einfach ihr eigenes Ding?

Man hat mehr Schlagkraft. Kleine Verbände, die komplett ehrenamtlich arbeiten, haben oft wenig Kontakte in die Politik. Wir sind als wichtiger Akteur angesehen. Zudem können unsere Jugendverbände über den KJR Zuschüsse beantragen.

In den 70er Jahren gab es Streit um die Aufnahme der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ). Was war da los?

Nürnberg hat den Bayerischen Jugendring massiv geärgert, weil unsere Vollversammlung immer wieder beschlossen hat, die SDAJ aufzunehmen – und die bayerische Ebene hat immer wieder ihr Veto eingelegt. Die SDAJ ist dann nicht Mitglied geworden, obwohl wir sie in Nürnberg damals gerne dabeigehabt hätten. Heute ist es so, dass wir parteipolitische Nachwuchsorganisationen nicht aufnehmen, aber unsere Verbände sich natürlich politisch positionieren können. Die Jusos sind kein Mitglied, die Falken, die als SPD-nah gelten, aber keine Parteiorganisation sind, schon.

Und der KJR als Dachverband hat doch auch eine politische Haltung, oder?

In den 80er Jahren haben wir uns zum Beispiel in der Friedensbewegung engagiert und uns gegen militaristisches Spielzeug positioniert. Zudem gehört der Kampf gegen Rechtsextremismus zu unserer Identität. Wir repräsentieren eine solche Vielfalt, dass es mit uns nicht zu machen ist, wenn jemand ausgeschlossen werden soll. Mit unserer Einrichtung DoKuPäd leisten wir Erinnerungsarbeit.

Stichwort DoKuPäd: Anfangs war der KJR lediglich Dachorganisation, dann gründete er eigene Einrichtungen.

Unser Ziel ist, den Verbänden nichts wegzunehmen. Mit unseren eigenen Einrichtungen wollen wir neue Wege ebnen. Wenn wir einen Jugendtreff eröffnen, dann versuchen wir, etwas Spezielles zu machen, was es in dieser Form noch nicht gibt. Ein aktuelles Beispiel ist das geplante Kinder- und Jugendhaus für urbane Bewegungskultur und Trendsport. Eine Jugendbildungsstätte wie Burg Hoheneck wiederum ist von einem Jugendverband als Träger kaum stemmbar.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?

Die Schere zwischen den Bildungsschichten geht auseinander, da müssen wir uns entsprechend weiterentwickeln. Dann ist die Zuschusssituation eine Herausforderung. Als KJR haben wir einen Grundlagenvertrag mit der Stadt Nürnberg, da werden wir gut versorgt. Aber die Zuschüsse für die Mitgliedsverbände müssten erhöht werden. Dann die Raumsituation. Es wird immer schwieriger, Räume für Jugendarbeit zu finden.

Sie haben als ehrenamtliche KJR-Chefin prominente Vorgänger wie Ulrich Maly, Reiner Prölß oder Stephan Doll. Ist der KJR ein Karriere-Sprungbrett?

Man sitzt in dieser Position in verschiedensten städtischen Gremien, man hat einen engen Draht zur Politik und gewinnt ein sehr breites Netzwerk. Ich teile die Einschätzung von Uli Maly, der mal gesagt hat, es sei das beste Ehrenamt, das Nürnberg zu bieten hat. Aber es bedeutet auch wirklich harte Arbeit.

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