Künstler-Biotop zwischen alten Fabrikhallen

8.4.2010, 00:00 Uhr
Künstler-Biotop zwischen alten Fabrikhallen

© dpa

»Ich spüre immer, da wurde früher viel gearbeitet», sagt die 34-Jährige, während sie in ihrem Atelier Zeichnungen sortiert. »Der Ort gibt viel Energie. Hier waren Menschen, die ihr Bestes gegeben haben.» Immer wieder suche sie sich in der alten Industrielandschaft Plätze, die für Fotoaufnahmen ihrer Kleidungsstücke geeignet seien. Die Designerin gehört zu den mehr als 70 Künstlern, die sich seit 2007 auf dem früheren AEG-Gelände im Stadtteil Muggenhof angesiedelt haben.

Die meisten kreativen Köpfe sind in einem langgezogenen, hellen Bürokomplex aus den 1970er Jahren auf dem Nordareal des Geländes zu finden. Über der Eingangstüre steht »Verwaltungsgebäude 74», rechts und links der Flure reiht sich Atelier an Atelier. In einem von ihnen hat sich Malerin Christine Nikol eingerichtet. Mit Flip-Flops an den Füßen und einem Pinsel in der Hand schlendert sie durch das Zimmer. »Die Lichtverhältnisse sind super», erzählt die 50-Jährige und zeigt dabei auf die große Fensterfront.

Gerade arbeitet sie an einem Gemälde über ihre Familie, überall an den Wänden hängen knallbunte Bilder – immer wieder taucht Micky Maus als Motiv auf. Zwar hat der geschichtsträchtige Ort ihre Kunst noch nicht beeinflusst, sagt Nikol. Aber so schnell wird sie wohl nicht vergessen, wie sie ihr Atelier vor gut einem Jahr vorfand. »Das war früher ein Schulungsraum. Als ich hier reinkam, waren noch Kabel, Elektromotoren und Schläuche in den Schränken.» Besonders »gruselig» sei es unten im Gebäude gewesen. »Da standen noch die Schuhe der Arbeiter», erinnert sich die Malerin.

Lebendiges Treiben herrscht an diesem Tag abseits der Ateliers aber nicht. Wer erwartet, dass auf den Fluren Dutzende kreative Köpfe beisammensitzen und über ihre Werke diskutieren, wird enttäuscht. »Hier ist kein Café, sondern ein Arbeitsraum», stellt Nikol klar. Zwar komme es gelegentlich vor, dass man sich untereinander austausche, aber primär gehe es darum zu arbeiten.

Bertram Schultze, der für die Entwicklung des 160 000 Quadratmeter großen früheren AEG-Geländes zuständig ist, freut sich über das Künstler-Biotop. »Sie beleben das Gelände», sagt der 41-Jährige. Generell sei es wichtig, dass die Räume auf dem Areal an unterschiedliche Branchen vermietet seien – Siemens produziere hier beispielsweise Eisenbahntransformatoren. Vorbild für die Entwicklung des Nürnberger Geländes sei auch die Spinnerei in Leipzig, sagt Schultze, deren Geschäftsführer er ist. In den Hallen der früheren Baumwollfabrik sind rund 100 Künstler zu finden, darunter Stars wie der Maler Neo Rauch. Experten zählen die Spinnerei zu den Top-Adressen der internationalen Kunstszene. Neben den Künstlern möchte Schultze in Zukunft auch Galeristen für das ehemalige AEG-Gelände gewinnen.

»Kunsthandel soll hier noch mehr stattfinden», sagt der Projektentwickler. Dadurch sollten auch mehr Besucher angelockt werden. Bisher gebe es lediglich das Kulturzentrum »Zentrifuge» und ein ehemaliges Pförtnerhaus, in denen Kunst gezeigt werde. »Aber es ist noch nicht gelungen, eine kommerzielle Galerie anzusiedeln», sagt Schultze. Doch längst habe sich auf dem Areal eine kreative Gemengelage zusammengefunden, die auf mehr hindeute. Ira Kugel, dpa

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