Zeitzeuge

KZ-Überlebender in Nürnberg: "Ich fühle mich heute jünger als damals"

9.5.2021, 15:47 Uhr
Abba Naor will mit seiner erschütternden Lebensgeschichte vor allem junge Leute ansprechen und für die Gefahren von Rassismus und Antisemitismus sensibilisieren. Mit einem Geschenkkorb bedankten sich die Nürnberger für seinen unermüdlichen Einsatz.

© NNZ Abba Naor will mit seiner erschütternden Lebensgeschichte vor allem junge Leute ansprechen und für die Gefahren von Rassismus und Antisemitismus sensibilisieren. Mit einem Geschenkkorb bedankten sich die Nürnberger für seinen unermüdlichen Einsatz.

Aufgewachsen im litauischen Kaunas, hatte ihn zuerst das Schicksal seines älteren Bruders erschüttert: Der hatte sich, als die Juden längst der übelsten Willkür der Nazis ausgesetzt waren, heimlich in die Stadt geschlichen, um für die Familie Brot zu organisieren. Dafür wurde er hingerichtet. Der kleinere Bruder wurde mit der Mutter nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Abba Naor dagegen kam mit seinem Vater über verschiedene Lager nach Kaufering, einer Außenstelle des KZ Dachau, wo er unter brutalen Bedingungen zum Bunkerbau vergattert war.

"Jeder Tag nach der Befreiung war für mich ein besonderer Tag", sagt er, "aber ich war mit 17 ein alter Mann". Überlebt zu haben, nennt er einen Zufall. Und von Befreiung konnte auch "nur" im physischen Sinn die Rede sein. Seelisch und psychisch wird kein Mensch die erlittenen Demütigungen und Qualen jemals los. "Wie könnte ich meine Familie vergessen, und nur ganz wenige haben überlebt", sagt Naor. Lange konnte er über das quälende Leid nicht reden. Bis ihm klar wurde: "Wenn wir es nicht erzählen, kann es wieder passieren. Es muss also wieder und wieder erzählt werden, solange noch einer da ist, der die Kraft dazu hat."

Zuhören gibt Kraft

Naor hat sie sich bewahrt. Und er scheint geradezu aufzublühen, wenn er mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen kann. "Wenn die zuhören, gibt mir das Kraft", sagt er und berichtet von beglückenden Erfahrungen bei deutsch-israelischen Jugendtreffen. "Da weiß ich nach zehn Minuten nicht mehr, wer woher kommt." Ein Groll gegen Deutschland, weist er Fragen danach ab, sei ihm fremd. Sonst hätte er kaum viele Jahre hier leben können.

Längst ist der mehrfache Vater, Groß- und Urgroßvater in Israel zuhause. "Ich genieße mein Leben, meine Familie, meine Freunde." Zugleich aber verbringt er immer noch oft viele Wochen in Deutschland. Auch in Nürnberg war er schon mehrfach zu Gast, so etwa in der Freien Christengemeinde Langwasser. Stets stellt er sich ganz in den Dienst der großen Aufgabe, der jüngeren Generation zu vermitteln, wie und wo Ausgrenzung, Verfolgung und Erniedrigung anfangen und wohin das führt. "Das ist Schwerstarbeit", merkt er an, die ihm schon hohe Auszeichnungen eingebracht hat.


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Dabei verstehen Kinder oft durchaus mehr als Erwachsene, so seine Erfahrung. Die Bandbreite ist allerdings groß, muss Sandra Schäfer vom Nürnberger Lehrerinnen- und Lehrerverband feststellen. Sie hat Naor schon bei zahllosen Veranstaltungen erlebt und begleitet. Und für eine Fortbildung mit Nachwuchskräften in ein paar Tagen hat sie Naor wiederum gewinnen können.

Empathie früh fördern

Das ist ihr umso wichtiger, als sie sieht wie notwendig solche Aktivitäten sind. Denn Sensibilität und Empathie sind alles andere als selbstverständlich. Da gebe es zwischen den Schularten und auch innerhalb einer Altersstufe enorme Unterschiede. Ganz allgemein müsse eine - freilich behutsame - Beschäftigung mit zentralen Aspekten der NS-Zeit früher beginnen als erst in der 8. oder 9. Jahrgangsstufe. Anknüpfungspunkte oder Identifikationsfiguren wie Anne Frank böten sich dafür in ausreichender Zahl an, meint die Pädagogin.

"Die Zahlen der Opfer des Kriegs und des Holocaust und ihrer Schicksale machen uns noch heute schaudern", sagte Landtagsvizepräsident Karl Freller, der Naor als Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten in diesen Tagen begleitet. "Wer sich mit den Berichten von Zeitzeugen auseinandersetzt, ist danach ein anderer Mensch - und weiß, welch unschätzbarer Wert es ist, in einer Demokratie, in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu leben."

Zu der Veranstaltung unter dem Motto "Nie wieder Diktatur in Deutschland" hatte der Verein "Freundeskreis Deutsche Einheit" eingeladen, dessen Vorsitzender Lutz Quester ebenfalls als Zeitzeuge angesehen werden darf - er war jahrelang in DDR-Gefängnissen inhaftiert, ehe er in Freiheit kam. Als Förderer konnte er die Fristo-Stiftung des gleichnamigen Getränkemarkts gewinnen.

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