Leichen-Reste bringen Verfahren wieder ins Rollen

23.12.2009, 00:00 Uhr
Leichen-Reste bringen Verfahren wieder ins Rollen

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Die Tochter des Theologen Ernst Käsemann arbeitete in den 1970er Jahren in Argentinien, wo sie auch im Widerstand gegen die Militärdiktatur aktiv war. Im März 1977 wurde sie von Sicherheitskräften entführt, gefoltert und zwei Monate später ermordet.

Lebenszeichen aus Folterzentrum

Ihre letzten Lebenszeichen stammten aus dem geheimen Folterzentrum El Vesubio in Buenos Aires, ihre Eltern konnten ihren Leichnam im Juni 1977 über einen Mittelsmann für einen fünfstelligen Dollarbetrag freikaufen.

1999 nahm die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth die Ermittlungen auf. 2003 wurden Haftbefehle gegen Videla und weitere hochrangige Militärs erlassen. Die Bundesregierung hatte 2004 seine Auslieferung beantragt, um ihn unter anderem wegen der Ermordung Käsemanns vor ein deutsches Gericht zu stellen. Argentinien lehnte die Auslieferung ab, der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth blieb nichts anderes übrig, als die Ermittlungsverfahren gegen die ursprünglich 74 Beschuldigten einzustellen.

Verfahren neu aufgerollt

Nun wird das Verfahren nach Informationen unserer Zeitung neu aufgerollt; die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt wieder. Denn in Argentinien wurden nun die Überreste des Leichnams von Rolf Stawowiok gefunden, eines weiteren Opfers der Militärjunta, dessen Schicksal die Staatsanwaltschaft im Zuge der «Argentinien-Verfahren« aufklären wollte.

Spuren am Skelett weisen eindeutig darauf hin, dass Stawowiok erschossen wurde. Bisher musste die hiesige Staatsanwaltschaft davon ausgehen, dass der Mann verschleppt worden war, die Ermittlungen konnten die Umstände nicht aufklären. Und anders als die Familie Käsemann, die wenigstens den Leichnam ihrer Tochter sehen durfte, hatte der Vater von Rolf Stawowiok nie wieder etwas von seinem Sohn gehört.

Ohne Leiche keinen Prozess?

«Zwar gibt es nicht zwangsläufig ohne Leiche keinen Mordprozess«, so Justizsprecher Thomas Koch, «aber nun steht für die Staatsanwaltschaft fest, dass Herr Stawowiok ermordet wurde.« Diese veränderte Beweislage will die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth nun nutzen. Denn die Haftbefehle des Amtsgerichts Nürnberg liegen noch immer vor. Videla ist nur der bekannteste Name, er wird per Interpol gesucht. Argentinien kann er kaum gefahrlos verlassen.

Zwar ist es sehr unwahrscheinlich, dass Argentinien demnächst die früheren Militärs ausliefert, Videla und andere sich im hiesigen Justizgebäude einem Verfahren stellen müssen, doch Auslieferungsgesuche und internationale Haftbefehle gegen Verantwortliche der argentinischen Militärdiktatur seien für die Angehörigen auch «moralische Wiedergutmachung«, sagt der Nürnberger Pfarrer Kuno Hauck, der sich in der Gruppe «Koalition gegen Straflosigkeit«, initiiert vom Nürnberger Menschenrechtszentrum, engagiert.

Geschärfter Blick nach Argentinien

Die Gruppe hatte bereits den Fall Elisabeth Käsemann im Namen der Angehörigen bei der Nürnberger Justiz angezeigt. Das Amtsgericht Nürnberg erließ im November 2003 einen Haftbefehl gegen den früheren Junta-Chef Videla, dies mündete in das Auslieferungsbegehren der Bundesregierung.

Pfarrer Haucks Blick nach Argentinien ist derzeit besonders geschärft: In Buenos Aires werden gerade die in Argentinien ruhenden Strafverfahren wegen Verbrechen während der Diktatur wieder aufgenommen. Darunter sind auch einige Fälle, die die «Koalition gegen Straflosigkeit« seit zwölf Jahren in Deutschland gegen argentinische Militärs juristisch ermitteln ließ. Mit dem Mandat von deutschen Diktaturopfern und deren Angehörigen wurde in vierzig Fällen Anzeige erstattet, die die Staatsanwaltschaft in Nürnberg-Fürth betrieben hat. Elisabeth Käsemann und Rolf Stawowiok sind nur zwei dieser Opfer.

Informationen aus erster Hand

Kuno Hauck erhält Informationen aus erster Hand: Der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck arbeitet seit 1998 im Rahmen der «Koalition gegen Straflosigkeit« daran, die Verbrechen der argentinischen Militärs aufzuklären, er ist derzeit als Prozessbeobachter in Buenos Aires.

Denn die Verfahren in Deutschland hatten zu Haftbefehlen gegen hochrangige Militärs und der Druck zur Wiederaufnahme der Verfahren in Argentinien geführt. Nun tritt die Bundesrepublik mit einem argentinischen Anwalt in dem Käsemann-Prozess als Nebenkläger auf.

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