Linke Zelle oder Begegnungsort? Zu Besuch am Jamnitzerplatz

11.7.2019, 06:01 Uhr
Am Jamnitzer Platz entlädt sich derzeit die Diskussion um Gentrifizierung in Gostenhof. Der Brunnen, auf den diese Botschaft gesprüht wurde, ist inzwischen stillgelegt.

© Horst Linke Am Jamnitzer Platz entlädt sich derzeit die Diskussion um Gentrifizierung in Gostenhof. Der Brunnen, auf den diese Botschaft gesprüht wurde, ist inzwischen stillgelegt.

Spätnachmittags unter der Woche ist es ruhig auf dem Jamnitzerplatz. Ein paar junge Leute spielen Tischtennis, Mädchen schaukeln. Vor einem Haus am Platz hängen reife Tomaten an Sträuchern. Dahinter auf der Fassade: Graffiti. Wer wissen will, wie ein Teil von Gostenhof tickt, braucht nur die Schmierereien zu lesen. "Fuck the Police", steht an einem Haus. Unter "Police" hat jemand "rich" geschrieben. Irgendjemand hat "more love" darunter gekritzelt. Wie lebt es sich hier? "Der Jamnitzerplatz ist belebt und das ist schön so", sagt ein junger Mann, der gerade seinen Camper putzt. Nur nachts, da könne man eben nicht bei offenem Fenster schlafen. "Die trinken ihr Bier bei 30 Grad und auch bei minus 20 Grad", sagt er. Die Vorkommnisse an den vergangenen beiden Wochenenden hat er nicht mitbekommen – verreist. Der Anwohner sieht die Situation auf dem Platz aber gelassen: "Die wollen halt provozieren."

"Wir wollen niemanden vertreiben"

Alles halb so wild – das meint auch eine, die eigentlich ins Feindbild mancher alteingesessener Gostenhofer passt: eine junge Mutter, die in einem der neuen Reihenhäuser lebt. Viele ihrer Nachbarn haben sich schon über beschmierte Fassaden ärgern müssen. Die Reste einer Farbattacke klebt noch an einem Fensterrahmen ein paar Hausnummern weiter. "Toleranz muss man natürlich schon mitbringen", sagt sie. Unsicher fühle sie sich hier aber nicht, gehe auch dann noch gern vor die Tür, wenn es bereits dunkel ist. "Das ist ein Platz für alle und das ist gut so", sagt sie. Überhaupt: "Wir wollen hier auch niemanden vertreiben", so die junge Frau, die sich in Gostenhof wohlfühlt. Wer denkt, die Reihenhäuser seien luxuriös, der irrt sich. Jeder habe nur ein Minigrundstück, die Gärten seien eher größere Terrassen. Einen Rasen hinter den Häusern anzulegen und zu pflegen lohne sich da gar nicht.

Gustav hat keinen Garten. Es ist 17 Uhr. Er sitzt mitten auf dem Jamnitzerplatz. Man kennt sich. "Wir sind jeden Tag da", sagt der Mann, der im vergangenen Jahr eine Mieterhöhung hinnehmen musste. Zehn Prozent mehr. Die tun weh. Der Jamnitzerplatz sei eben ein Platz, an dem man gemeinsam trinken könne. Hinter Gustav, im stillgelegten Brunnen, liegen die Reste des Lagerfeuers, das am vergangenen Wochenende brannte zwischen vertrocknetem Unkraut. "Wir nehmen unseren Müll immer mit", sagt Gustav. Für den Dreck im Park seien andere verantwortlich. Überhaupt: So wie der Park jetzt angelegt ist, sei es nicht gut. Man bräuchte einen Bereich für ältere Besucher, und einen für Kinder mit einem Zaun drum herum. "Die Eltern können trinken und die Kinder im Blick behalten", sagt Gustav, "und kein Kind geht verloren."

Ein Bekannter von Gustav kommt dazu. Auch er hat ein Bier in der Hand. "Warum richtet die Zeitung nicht ein Fest auf dem Platz aus und sammelt, damit man ihn wieder herrichten kann", will er wissen.


Ärger am Jamnitzerplatz: Jetzt spricht Oberbürgermeister Maly


Die Umgestaltung des Platzes nehmen schon andere in die Hand. Bis Ende September will SÖR den Stadträten ein entsprechendes Konzept vorstellen, wie der Platz wieder attraktiv werden soll. Ausgedacht hat man sich die Pläne nicht einfach allein im Büro – auch die Nutzer wurden nach ihren Wünschen gefragt. Eine Frage aber ist nach wie vor ungeklärt: Viele Nutzer wünschen sich eine öffentliche Toilette – die ist bislang aber nicht eingeplant. Wer muss, der nimmt sich ein Taschentuch und geht hinter Büsche.

Nächste Aktion bereits angekündigt

"Dabei würde doch eine einfache Toilette schon reichen", sagt eine Mutter, "am besten mit einem Schlauch, dann machen wir selbst sauber." Sie ist enttäuscht. Immer wieder waren Politiker auf dem Platz, haben Plakate ausrollen lassen und sich fotografieren lassen – getan hat sich trotzdem noch nichts. "Schämt ihr euch nicht?", das würde sie den Verantwortlichen gerne sagen. Die Polizei fährt ihre Runden um den Platz. "Die machen nur ihren Job", sagt die Mutter. Dass die Beamten Präsenz zeigen, stört sie trotzdem. Weil es blamabel für die Menschen auf dem Platz ist und weil es ihre Tochter stört. "Meine Tochter hat einen guten Instinkt, sie geht nicht zu Betrunkenen und Menschen, die Drogen genommen haben", sagt sie, aber wenn sie die Polizei sehe, habe sie Angst. "Sie fragt dann: ,Mama, haben wir was gemacht?". Die Menschen im Viertel seien eben unterschiedlich – und jeder habe seinen Platz in dem Park, in dem es abends eben auch mal Streit gebe und die ein oder andere Glasscherbe herumliege. "Mich stört niemand", sagt sie. Auch nicht die Linken. "Die sind immer freundlich", sagt sie. Übrigens: "Der eine Mann, der immer die Polizei ruft, entsorgt seinen Hausmüll auf dem Jamnitzerplatz."


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Am Samstag dürfte es auf dem Jamnitzerplatz wieder hoch hergehen. Die revolutionär organisierte Jugendaktion ruft zum gemeinsamen "cornern und sprayen" auf. "Am Samstag wollen wir einen entspannten Tag haben und wie sonst auch unseren Platz nutzen. Gemeinsam abhängen, plaudern, Tischtennis spielen… Außerdem wird es die Möglichkeit geben, ein bisschen zu sprayen."

Mittlerweile hat sich auch Oberbürgermeister Ulrich Maly zur Situation Platz geäußert: "Der Jamnitzerplatz ist für alle da. Wer ihn nutzt, muss sich auch an Spielregeln halten. Dazu gehört unter anderem auch, die Nachtruhe der Anwohnerinnen und Anwohner zu achten. Es geht auch an diesem Ort um den gegenseitigen Respekt", so Maly. "Alles, was mit der notwendigen Rücksicht geschieht, ist in Ordnung", heißt es in der Pressemitteilung, "aber keine Gruppe kann den Platz allein für sich in Anspruch nehmen."

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